Zurück zu Mietshäusern

Die Staatsduma bereitet einen Gesetzentwurf vor, Mietshäuser in Russland wiederzubeleben. Demnach könnte diese im Russischen Kaiserreich des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbreitete Immobilienart dazu beitragen, die Wohnbedingungen der Russen zu verbessern.

Das märchenhafte Perzowa-Mietshaus im Zentrum von Moskau (Foto: Viktoria Nedaschkowskaja)

Der Abgeordnete des Parlaments, Wladimir Koschelew, hat einen Projektentwurf für ein Comeback der historischen Immobilienart des Mietshauses in Russland vorgeschlagen. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bauwesen, Wohnungswesen und Versorgungswirtschaft der Staatsduma ist der Ansicht, dass der russische Immobilienmarkt einen weiteren Wohntyp zu den bereits existierenden Arten von Haustypen erhalten sollte. Nämlich den, „den er im Russischen Kaiserreich hatte“.

Konkret handele es sich dabei um die sogenannten Mietshäuser, die nicht für den Verkauf, sondern zur Vermietung gebaut wurden. „Wenn professionelle Investoren in Immobilien investieren, die zivilisiert vermietet werden können, mit klaren Kriterien für Preiserhöhungen, mit Wohnrechten und der Regelung aller Rechte von Vermieter und Mieter“, erklärte der Duma-Abgeordnete.

Das steckt im Namen drin

Im Russischen Kaiserreich gab es keine Möglichkeit, eine Wohnung zu kaufen: Man konnte entweder das ganze Haus erwerben oder eine Wohnung mieten. Alle Häuser gehörten jemandem – und der Eigentümer, ob Einzelperson oder Unternehmen, erzielte Mieteinnahmen oder Rendite. Deshalb wurden die Häuser auch als Mietshäuser oder Renditehäuser bezeichnet. Das Adjektiv im russischen Wortpaar „доходный дом“ (dt. „das Haus, das Einnahmen bringt“ – Anm. d. Red.) beschreibt aber nicht die Verhältnisse zwischen dem Mieter und dem Vermieter, sondern den Ertrag, den der Eigentümer des Hauses erwirtschaftete.

Daher wäre das Wort „Renditehaus“ der historischen Bezeichnung vom Sinn her näher. Da ein Renditehaus an sich auch ein Mietshaus ist, könnte es auch so heißen. Was die Wohnform betrifft, waren diese Objekte Mehrfamilienhäuser.

Ähnlich, aber nicht gleich

In der aktuellen russischen Gesetzgebung gibt es den Begriff „Mietshaus“ nicht. Tatsächlich existieren jedoch Beispiele dafür, dass Eigentümer in Russland nicht nur einzelne Wohnungen oder Appartements, sondern sogar Mehrfamilienhäuser vermieten.

Einige Analoga zu Mietshäusern sind Aparthotels. Sie unterscheiden sich von Mietshäusern dadurch, dass es sich um rein gewerbliche Immobilien handelt und sich die Bewohner nicht unter dieser Adresse registrieren können.

Aus der Geschichte des Mietshauses

Der Bau von Mietshäusern fand in den 1830er und 1840er Jahren in ganz Europa statt. Im Russischen Kaiserreich wurden solche Häusertypen lange nicht gebaut: Stadtbewohner wurden in privaten oder staatlichen Häusern untergebracht, und es gab Gasthöfe für Reisende. Doch die Migration der Bevölkerung, die nach der Abschaffung der Leibeigenschaft begann, führte in russischen Großstädten zu einem massiven Bau der Mietshäuser.

Diese entstanden vor allem in Moskau und St. Petersburg Ende des 19. Jahrhunderts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in den beiden Städten bereits Hunderte von Häusern dieser Art.

Interessant ist, dass die Moskauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Bau von Mietshäusern ähnlich wahrnahmen, wie es bei vielen heute mit Hochhäusern der Fall ist. Die Menschen von damals waren nämlich an kleine Häuser gewöhnt und waren über neue mehrstöckige Bauten alles andere als erfreut. So bezeichnete die Dichterin Marina Zwetajewa Mietshäuser als „sperrige sechsstöckige Scheusale“.

Eigentümer, Mieter und Verteilung

Die Mietshäuser konnten sowohl Einzelpersonen als auch verschiedenen Organisationen gehören, die eine stabile Einkommensquelle suchten. Eigentümer waren mitunter auch Bildungseinrichtungen, Waisenhäuser, Klöster, kommerzielle und wohltätige Vereine.

Im vorrevolutionären Russland machten 40 Prozent des Wohnungsbestands in Moskau Mietshäuser aus. Sie standen damals sowohl wohlhabenden Bürgern als auch Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung. Die Bewohner wurden jedoch – entsprechend ihrem Status – auf verschiedenen Etagen untergebracht.

So befanden sich in den Erdgeschossen oft Geschäfte, Stände und Salons. Die Obergeschosse waren für Büros vorgesehen, obwohl dort auch Wohnungen entstehen konnten. Kaufleute, Industrielle und Aristokraten wohnten im dritten, als prestigeträchtig geltenden Stockwerk. Weiter oben wohnten Studenten, Angestellte und pensionierte Militärangehörige.

Mietzeit und -höhe

Die Miethöhe im Mietshaus hing von der Lage des Gebäudes, der Anzahl der Zimmer, der Etage und den vom Vermieter erbrachten Leistungen ab. Eine Wohnung wurde entweder für ein Jahr oder für eine Saison, die oft neun Monate betrug, gemietet: Viele Moskauer zogen im Sommer gerne aus der Stadt in gemietete Datschen, und dann sanken die Preise für Stadtwohnungen deutlich.

Wer sich keine eigene Wohnung leisten konnte, mietete Zimmer, oft für mehrere Personen – dann wurde die Miete pro Bewohner berechnet.

Schicksal der Mietshäuser nach 1917

Die Ära der Mietshäuser endete in Russland mit der Machtübernahme der Bolschewiki im Jahr 1917. Nach der Revolution wurden sie verstaatlicht und in die berühmten kommunalen Wohnungen, in denen oft gleich mehrere Familien gewohnt haben, verwandelt.

Im Jahr 2003 entstand aber in Moskau das erste Mietshaus-artige Gebäude seit dessen Abschaffung. Es bestand aus 47 Wohnungen, die hauptsächlich von Ausländern gemietet wurden, die in Russland arbeiteten, sowie von Geschäftsleuten aus der Region. Obwohl das Haus fast immer zu 90 Prozent belegt war, blieb der Erfolg aus. Der Grund: Investoren hielten das Projekt für zu kostspielig.

 Fester Bestandteil des Stadtbildes

Zwar wurden die Mietshäuser in der Sowjetunion nicht wie ursprünglich genutzt, abgerissen wurden sie dennoch nicht. Auch heute prägen sie etwa in Moskau das Bild der Stadt.

Zu den berühmtesten Häusern dieser Art gehört in Moskau das  Perzowa-Mietshaus unweit des Kremls, das Anfang des 20. Jahrhunderts im neorussischen Stil erbaut wurde. Zu den bekannten Bewohnern des „Märchenhauses“ zählte der Revolutionär Lew Trotzki. Heute beherbergt das Gebäude die Büros des russischen Außenministeriums.

Das Filatow-Mietshaus oder das „Haus unter einem Glas“ (Foto: Viktoria Nedaschkowskaja)

Ein weiteres Beispiel ist das Filatow-Mietshaus in der Ostoschenka-Straße. Viele, die am Gebäude vorbeikommen, bemerken das ungewöhnliche Element nicht, das dem Mietshaus zu seinem zweiten Namen, „Haus unter einem Glas“, verhalf. Nämlich das in Form eines umgekippten Glas gebaute, emporragende Dach.

Um das Haus ranken sich mehrere Geschichten. Die bekannteste ist, dass der Kaufmann Filatow das Feiern so sehr mochte, dass er beinahe sein ganzes Geld verprasst hätte. Nachdem er es aber geschafft hatte, mit dem Trinken aufzuhören, baute er ein Mietshaus, auf dessen Dach er ein umgedrehtes Glas symbolisch platzierte. Viele meinen jedoch, dass dieses Detail lediglich auf den Wunsch der Architekten zurückzuführen sei, es von anderen Mietshäusern abzuheben. Heute ist es ein Wohnkomplex mit Appartements.

Offenbar keine schnelle Umsetzung

Die Idee einer Wiederbelebung von Mietshäusern in Russland ist nicht neu. Vor etwa zwanzig Jahren äußerten sich die Befürworter zuversichtlich, dass sich Investoren einem solchen Projekt anschließen würden – doch dies geschah nicht.

Zum Stein des Anstoßes wurde die Frage der Effektivität der Investitionen: Nach damaligen Berechnungen würde es etwa 20 bis 30 Jahre dauern, bis sich die Kosten für den Bau solcher Häuser amortisiert hätten. Die dem Projekt skeptisch Gegenüberstehenden meinen nun, dass sich die Amortisationszeit, falls sie sich geändert habe, nur verlängert habe – und es sei unwahrscheinlich, dass sich jemand bereiterklären werde, zu solchen Bedingungen und für einen solchen Zeitraum Geld zu investieren.

Kritiker des Projekts bemängeln zudem, dass Investoren nicht verstehen würden, wie stark die Preise für die Instandhaltung dieser Gebäude steigen würden. Hinzu komme die Konkurrenz durch bereits bestehende Immobilien: In Moskau und St. Petersburg gebe es ein Überangebot an Mietwohnungen. Für Kleinstädte spiele dieser Aspekt jedoch keine Rolle: Es bestehe nämlich keine große Nachfrage nach Mietwohnungen, und die Bevölkerung verfüge nur über ein begrenztes Budget für solche Ausgaben.

Viktoria Nedaschkowskaja

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