Zeitumstellung: Was die Stunde geschlagen hat

Am letzten Sonntag im Oktober werden in Deutschland die Uhren wieder eine Stunde zurückgestellt. Es könnte das letzte Mal sein, denn eine große Mehrheit hat den Wechsel zwischen Sommer- und Normalzeit satt. Dessen Abschaffung ist für 2019 sogar europaweit angekündigt. Russland hat sie bereits hinter sich. Mit welchen Erfahrungen?

Moskau ist Berlin die eine Hälfte des Jahres eine Stunde voraus, die andere Hälfte – den Winter über  – sind es zwei. Aber man könnte auch von ein paar Jahren sprechen. Denn was in Deutschland auf einmal heiß diskutiert wird, nämlich nicht länger im Frühjahr und Herbst an der Uhr zu drehen, hat Russland  schon vor Jahren vollzogen, sogar zweimal. 2011 wurde dauerhaft die Sommerzeit eingeführt, 2014 dann die Winterzeit. Seitdem ist das Thema durch.

Damit sind die Russen nun interessierte Zuschauer einer europäischen Debatte, die ihnen sehr bekannt vorkommen dürfte und die mit denselben Argumenten für oder gegen einen Verzicht auf die Zeit­umstellung geführt wird wie damals bei ihnen. Gerade erst haben die Deutschen in einer repräsentativen Forsa-Umfrage für die Kranken­kasse DAK mit großer Mehrheit bekundet, die Uhren nicht mehr umstellen zu wollen. Vier von fünf Befragten waren dieser Meinung. Als Grund wurden unter anderem Belastungen für Gesundheit und Gemüt genannt. „Viele Menschen leiden unter dem ständigen Wechsel“, sagte DAK-Vorstand Andreas Storm.

Tickt nach der Winterzeit: Russlands berühmteste Uhr am Spasskij-Turm des Kreml. © Wikimedia Commons / Benjamín Núñez González

Bereits im Sommer hatte eine Online-Befragung der EU-Kommission zu einem ähnlichen Ergebnis geführt. Von 4,6 Millionen Teilnehmern aus EU-Staaten – darunter gut drei Millionen aus Deutschland – votierten 84 Prozent für die Abschaffung der Zeitumstellung. Besonders viele Fürsprecher gab es dafür prozen­tual in Finnland, Polen und Spanien. Mehrheitlich für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung sprachen sich Griechen und Zyprer aus.

Allerdings war die Umfrage weder repräsentativ noch bindend. Trotzdem versprach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, man werde handeln. „Die Menschen wollen das, wir machen das“, sagte er im ZDF.

Im Frühjahr 2019 soll demnach ein letztes Mal verbindlich auf Sommerzeit umgestellt werden. Anschließend bleibt es jedem Mitgliedsland überlassen, ob es ganzjährig Sommer- oder Winterzeit bevorzugt. Eine Aussage dazu erwartet die Kommission aber bereits bis April, weshalb sich offenbar Widerstand gegen einen solch engen Zeitrahmen regt. In jedem Fall müssen die Pläne noch von den Regierungen der EU-Länder und dem Europaparlament gebilligt werden.

In Russland, das keine derartigen Rücksichten zu nehmen braucht, war das alles etwas einfacher. Im Februar 2011 gab der damalige Präsident Dmitrij Medwedew bekannt, die Zeitumstellung werde per Herbst desselben Jahres aufgehoben. Die Entscheidung wurde mit dem fraglichen ökonomischen Nutzen, Klagen aus der Bevölkerung und Meinungen aus der Ärzteschaft begründet. Im März 2011 wurden die Uhren auf Sommerzeit umgestellt – dabei sollte es dann bleiben. Das entsprach zweifellos dem Mehrheitswillen und klang ja auch toll: Irgendwie würde der Sommer die Menschen also auch durch den Winter begleiten, der in Russland verbreitet das halbe Jahr dauert. Ein wenig mehr Licht und Wärme erhofften sie sich davon. Doch dann kam der erste Dezember und damit das, was scheinbar niemand vorausgesehen hatte: Die Stunde mehr Tageslicht am Abend fiel kaum ins Gewicht, weil sie noch auf der Arbeit oder dem Nachhauseweg verbracht wurde. Dagegen war es morgens stockdunkel und wurde erst am Vormittag so richtig hell. Die Medien überboten sich mit Berichten, bei denen Grundschüler gezeigt wurden, die im Schein von Taschenlampen durch den Schnee zur Schule stapften, und ihre besorgten bis empörten Mütter. 2014 korrigierte sich Russland und führte die Winterzeit ein. Von Unmut war fortan nichts mehr zu vernehmen.

Dazu muss man allerdings wissen, dass auch die Winterzeit in Russland eine verkappte Sommerzeit ist. 1930 wurden nämlich die Zeiger auf Beschluss der Sowjet­regierung um jeweils eine Stunde zur jeweiligen Zeit­zonenzeit vor- und seitdem nie mehr zurückgestellt. Diese sogenannte „Dekretzeit“ ist es, die heute wieder gilt.

Und was wollen nun die Deutschen? In einer „Focus“-Umfrage plädierten 51 Prozent für die Sommerzeit. Lehrer warnen. Nicht dass die Deutschen im ersten sommerzeitlichen Winter eine böse Überraschung erleben wie seinerzeit die Russen.

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