Wie eine russische Familie ein deutsches Schloss rettet

Ein Haus zu sanieren kostet viel Arbeit, Zeit und Geld. Erst recht, wenn es sich um ein altes Schloss handelt. Doch die Sorokins ließen sich davon nicht abschrecken. Für ihren Traum zog die Familie von Südrussland in die Nähe der Ostsee und hat seitdem viel über alte Handwerkstechniken und moderne Bürokratie gelernt. Die MDZ hat Familie Sorokin besucht.

Schloss
Die Sanierung von Schloss Waldau geht nur langsam voran. (Foto: Ljubawa Winokurowa)

Von Russlands westlichster Großstadt Kaliningrad sind es nur 15 Kilometer bis nach Nisowje. Wer sich in den verschlafenen Ort begibt, der bis 1946 Waldau hieß, entdeckt ein wahres Kleinod. Denn mitten im Dorf befindet sich das Schloss Waldau. Seit 2007 steht das im Mittelalter begonnene Gebäude unter Denkmalschutz. Trotzdem zeigten die Menschen in der Gegend wenig Interesse an ihrem Schloss. Bis die Familie Sorokin kam. 

Der Zufall verschlug die Familie an die Ostsee

Dass Nadeschda und Sergej Sorokin sich einmal mit mittelalterlicher Architektur auskennen, in Abfallhaufen nach antiken Türklinken suchen und aus Gips kleine Reliefs gießen würden, hätte das Ehepaar aus dem südrussischen Belgorod wohl nicht gedacht. Denn eigentlich sind die beiden Unternehmer, verkaufen Bio-Zusatzstoffe für Tierfutter. 2012 führte sie eine Dienstreise in das Gebiet Kaliningrad. Auf dem Heimweg hielten die Sorokins zufällig in Nisowje an, erblickten das Schloss und verliebten sich in das Anwesen. 

Eine Schönheit ist das Schloss Waldau eher auf den zweiten oder dritten Blick. Das Dach ist morsch, die Fenster kaputt und der Putz bröckelt. Die Sorokins waren trotzdem angetan. „Ich weiß selbst nicht, warum ich mich in Waldau verliebt habe. Wir sind vor zwei Jahren hierher gezogen. Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem ich mir nicht den Kopf darüber zerbreche, warum ich das gemacht habe“, meint Nadeschda. Dabei wohnt die fünfköpfige Familie (mit den Kindern Sawelij, Pawel und Jelena) hier nur zur Miete. Denn das Schloss gehört der Kirche, die es nicht verkaufen möchte.

Ein Ort mit langer und bewegter Geschichte 

Waldau war zunächst die Sommerresidenz des Großmeisters des Deutschen Ordens. Der berühmteste Bewohner war Albrecht von Brandenburg-Ansbach, erster Herzog Preußens, der mit der dänischen Prinzessin Dorothea verheiratet war. 1697 kehrte Peter der Große während seiner Großen Gesandtschaft, der Reise des Zaren nach Westeuropa, ein. Im 19. Jahrhundert wurde Waldau zu einer Lehranstalt, zunächst für Landwirte, später für Lehrer. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Anwesen unbeschadet. Bis 2005 wurde hier noch unterrichtet, zuletzt als Berufsschule. Als das Schloss allmählich baufällig wurde, zog die Berufsschule aus und 2007 wurde die orthodoxe Kirche neue Eigentümerin. Danach entdeckte die Dorfjugend das Anwesen für sich und traf sich hier heimlich zum Rauchen. Mit der Ankunft der Sorokins fand dieses „intellektuelle Freizeitvergnügen“, wenn auch nicht sofort, ein Ende.

Das Schloss Waldau besteht aus drei Gebäuden: dem Seitenflügel, dem Schloss selbst und einem privaten Museum, das Enthusiasten eröffneten. Saniert wird nach und nach. Für den gesamten Komplex brauchen die Sorokins wohl ihr ganzes Leben. Bisher haben sie zumindest den Seitenflügel restauriert und empfangen hier Gäste.

Der sanierte Seitenflügel, in dem die Sorokins ihre Gäste empfangen. (Foto: Ljubawa Winokurowa)

In kleinen Schritten gegen viele Probleme  

Große Pläne haben Nadeschda und Sergej nicht. „Wir haben verstanden, dass etwas ganz anderes herauskommt, wenn man etwas Großes plant. Wir machen kleine Schritte“, sagt Nadeschda. Einer der ersten Schritte war, die Dorfjugend zu „deaktivieren“. Denn die machte nur zu gern Lagerfeuer im Schloss. Doch von den Behörden bekamen sie keine Unterstützung. Da half nur Einfallsreichtum. Nachdem Sergej Licht verlegte, wurden Rauchen und Lagerfeuer uninteressant. Ein weiteres Problem waren Schatzjäger. Auch gegen die mussten sich die Sorokins schützen – und installierten Videokameras. 

Doch die Sorokins haben nicht nur mit ungebetenen Gästen zu kämpfen, sondern auch mit der Bürokratie. Bauunterlagen brauchen oft drei bis sechs Monate. „Die Arbeit an historischen Objekten ist ein Geduldsspiel. Man kann nicht einfach irgendetwas machen. So nehmen allein die Projektierungsunterlagen für den Brandschutz auf dem Dach neun Bände ein“, erläutert Nadeschda. Diese Arbeiten finden gerade statt. „Die Anwohner fragen uns, warum wir keine Dachziegel verlegen. Wir machen das nicht, weil wir erstens bisher nicht sanieren, sondern Brandschutzmaßnahmen vornehmen, auch damit das Haus nicht vergammelt. Zweitens gibt es in Kaliningrad nicht genügend Dachziegel. Und um sie von anderswo zu bekommen, reicht das Geld nicht. Allein für diesen Abschnitt haben wir fünf Millionen Rubel (73 500 Euro) bezahlt“, so Nadeschda weiter.

Schlossbesitzer zu sein, ist Freude und Fluch zugleich

Das Gelände von Schloss Waldau ist schön, aber verwildert. Hier wachsen jahrhundertealte Kastanien und ein 200 Jahre alter kaukasischer Nussbaum. Die Umweltbehörden schauen regelmäßig vorbei, um den Zustand der Bäume zu kontrollieren. Schlossbesitzer zu sein, ist Freude und Fluch zugleich. Aber die Sorokins klagen nicht. 

„Die Jungs kennen die Geschichte des Schlosses, können viel erzählen. Sie lieben es, Führungen anzubieten und sind traurig, wenn niemand da ist. Momentan ist es ruhig, aber am Sonnabend kommen Schüler vorbei. Dann ist das Schloss wieder belebt“, sagt Nadeschda. Der älteste Sohn Sawelij ist ein guter Fremdenführer. Er weiß alles über die Schlosskeller, wie hier Wein und Bier gelagert wurden, wie die Lebensmittel aufgehängt wurden, damit die Mäuse nicht rankommen konnten. Mäuse gibt es auch heute noch im Keller – Fledermäuse. Vom Keller führt Sawelij in das Erdgeschoss des Schlosses, wo die Eltern übernehmen. Hier sind bisher ein paar Zimmer saniert. Genutzt werden sie für Workshops. 

Familie Sorokin hat ihren Entschluss bis heute nicht bereut. (Foto: Ljubawa Winokurowa)

Auf der Suche nach Originalteilen

Ständig finden die Sorokins Fliesen, Relieftstücke und andere ehemalige Teile des Hauses. Wo sie sich einmal genau befanden, kann man heute nicht mehr sagen. Aber dank moderner Computertechnik können sie eine Reliefmalerei wiederherstellen. Der Kaliningrader Bildhauer Fjodor Moros hat den Sorokins beigebracht, wie man aus Silikonformen Gipsreliefs gießt. Zukünftig dienen sie als Schmuck für das Haus.

In den Workshops können die Teilnehmer auch ihre eigenen Reliefs gießen. Von den Machern unterschrieben werden sie zu einem Teil der Geschichte des Schlosses. Außerdem kann man alte Möbel aufpolieren. Nicht alle Anwohner versuchen etwas aus dem Schloss „herauszunehmen“, einige bringen auch Sachen. Alte Kommoden und Nachtschränke, sogar antike Öfen. „Ein älterer Mann kam zu uns und meinte, dass in seinem Keller seit Ewigkeiten ein zerlegter Ofen liegt. Da er nicht wusste, was er damit machen soll, hat er ihn uns angeboten“, erinnert sich Nadeschda. Sergej und der Bildhauer Moros haben den Ofen schließlich abgeholt. 

Die Zukunft heißt Event-Tourismus

Im Schloss befindet sich auch Sergejs Werkstatt. Hier fertigt er selbst die gotischen Spitzbogenfenster aus Holz an! Genauso wie die Eingangstür. Und es gibt einen Korb mit allem möglichen antiken Kram – Holzgriffe und Haken, bei denen keiner weiß, wofür sie sind. „Wissen sie, wie man jahrhundertealten Dreck los wird? Zahnpasta hilft da nicht. Dazu braucht man Schweineurin. Lachen Sie nur, aber das hilft wirklich“, rät Sergej. Moderne Technik hilft nicht immer weiter. Die Sorokins sind mit Hilfe von Büchern tief in die Geschichte eingetaucht. Nicht nur aus Spaß, sondern aus praktischem Nutzen. So hat Sergej das halbe Gebiet Kaliningrad nach Lehm abgesucht. Denn er hatte gelesen, dass man im Mittelalter Wände und Böden mit Lehm bedeckte, damit kein Wasser eindringt. Und Waldau ist von Zuflüssen des Flusses Pregel umgeben. 

Irgendwann im vergangenen Frühling entdeckten die Sorokins Keime einer unbekannten Pflanze. Wie sich herausstellte, war es Spargel. „Bis dahin hab ich Spargel nur in Blumensträußen gesehen“, gibt Nadeschda zu. Die Keime wurde einst auf Veranlassung der Dänin Dorothea ausgesetzt. Aus der wilden Pflanze wurde die Sorte „Waldau“, die jetzt auf zwei Hektar im heimischen Belgorod wächst. Dort ist es wirtschaftlicher. Übrigens, „Waldau“ ist im russischen Register für landwirtschaftliche Kulturen überhaupt erst die zweite einheimische Sorte. Verkauft wird der Spargel in Restaurants in Moskau und St. Petersburg. In diesem Sommer können die Schlossbesucher in den Genuss des Gemüses kommen. 

Im Sommer wird der Spargel gefeiert

Das Spargelfest am 27. Juni gehört zu den Kulturereignissen des Gebiets Kaliningrad. Die Sorokins haben sich entschieden, ihr Schloss durch Event-Tourismus bekannt zu machen. Vergangenes Jahr war die Familie bei einem Treffen von Schlossbesitzern in Lettland und hat dort ihr Konzept vorgestellt. Und dafür ein sehr wohlwollendes Feedback bekommen. Vor allem dafür, dass Nadeschda und Sergej ihre Söhne für das Schloss begeistern konnten. „Sie wollen bei uns vorbeikommen, um zu lernen. Das müssen Sie sich mal vorstellen!“, ist Nadeschda begeistert.

Noch wartet viel Arbeit auf die Sorokins im Schloss Waldau. Doch Familie und Anwesen sind für die Zukunft gerüstet. 

Ljubawa Winokurowa

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