Was ein russischer Diplomat über Deutsche gelernt hat

Wladimir Polenow ist seit 1974 russischer Diplomat. Mehrfach war er in Deutschland tätig. Seine Erlebnisse hat er jetzt in dem Buch „Pelmeni po bawarski“ (Pelmeni auf bayrisch) niedergeschrieben. Im MDZ-Interview spricht er über seine Erlebnisse in Deutschland und darüber, wie man mit Deutschen verhandelt.

Polenow

Wladimir Polenow unterrichtet heute an einer Universität. /Foto: Igor Solowjow

Sie haben während Ihrer Zeit in Deutschland viele Ereignisse miterlebt. Welches ist Ihnen am stärksten in Erinnerung geblieben?

Ich bin kurz vor dem Fall der Mauer nach Moskau zurückgekehrt. Ehrlich gesagt hatte ich damals nicht das Gefühl, dass sich in Deutschland ernsthafte Veränderungen anbahnen. Halb scherzend gemeint, haben die damaligen Ereignisse, die zweifelsohne einmalig im Berufsleben eines Diplomaten sind, mich einen beträchtlichen Teil meines wohlverdienten Urlaubs gekostet. Drei Wochen nach meiner Rück- kehr nach Moskau musste ich sehr intensiv an den Unterlagen mitarbeiten, die später zum Abschluss des „Zwei-plus-vier-Vertrags“ geführt haben.

Wie würden Sie die deutsch-russischen Beziehungen charakterisieren?


Trotz der aktuellen negativen medialen Einstellung in Deutschland bin ich überzeugt, dass es im historischen Kontext gesehen nur eine kleine Episode bleiben wird. Ich habe diese These in meinem jüngst erschienenen Buch „Pelmeni po bawarski“ versucht zu begründen. Darin habe ich auch das „unerklärliche“ Geheimnis gegenseitiger Anziehung von Deutschen und Russen geklärt. Ich glaube, dass wir in den Deutschen Eigenschaften und Werte sehen, die uns fehlen und die wir gerne hätten. Und die Deutschen wiederum „scannen“ uns. Die vielen Jahrhunderte, die wir miteinander zu tun haben, sind der Schlüssel der deutsch-russischen Beziehungen und das Pfand für die weitere Entwicklung.

Planen Sie, „Pelmeni po bawarski“ für Ihre Freunde und Kollegen aus Deutschland zu übersetzen?

Natürlich wünsche ich mir, dass sie es lesen können. Aber eine Übersetzung nimmt viel Zeit in Anspruch. Ich habe es bis heute nicht geschafft. Vielleicht findet sich ja in Deutschland ein Interessent. Im Buch habe ich versucht, meine Erinnerungen an besondere und interessante Menschen, die ich in Deutschland getroffen habe, niederzuschreiben. Die wichtigste Botschaft des Buches ist, im Leser den Wunsch zu wecken, hinter den Horizont zu blicken, sich eine neue Welt zu erschließen, sich auf Reisen zu begeben und geistig reifer zu werden.

Was ist das Besondere an den Verhandlungen mit deutschen Diplomaten?

Man muss sich dessen bewusst sein, dass jede Verhandlung nicht nur die Behauptung nationaler, sprich staatlicher Interessen bezweckt, sondern auch vom Suchen nach einer Balance mit anderen Vertragspartnern begleitet wird. Und das bedeutet des Öfteren Kompromisse.

Soweit ich mich erinnere, sind Verhandlungen mit Deutschen sowohl kompliziert als auch leicht. Sie sind schwierig, weil sie im Hegelschen Sinne dazu neigen, ein Gleichheitszeichen zwischen dem „Königreich der Gedanken“ und dem „Königreich der Wahrheit“ zu setzen. Das bedeutet, dass sie felsenfest an der Durchsetzung bereits festgeschriebener Formulierungen arbeiten. Leicht, weil sie überzeugenden Argumenten gegenüber offen sind und fest zu ihrem Wort stehen, egal ob schriftlich oder mündlich. Das verbindet uns.

Bei der Arbeit mit Deutschen muss man jedes Wort abwägen, nichts darf mehrdeutig sein.

Im diplomatischen Corps steht Generationswechsel an und damit auch neue Werte.

Ein Generationswechsel ist etwas Natürliches und bietet die Möglichkeit, einen evolutionären Prozess voranzutreiben. Die beste Garantie gegen jegliche Verwerfungen ist die Kontinuität in der Herangehensweise an bilaterale Fragen und Zusammenarbeit. Zusätzlich bedarf es des Professionalismus und der Unvoreingenommenheit der für den entsprechenden Bereich der Außenpolitik verantwortlichen Staatsmänner und auch Diplomaten. Man sollte einander hören und verstehen können. In jedem Fall sollte man aufeinander zugehen.

Sie unterrichten künftige Diplomaten auf Deutsch. Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?


Um mit den Deutschen zusammenzuarbeiten, sollte man alles wissen – Sprache, Kultur, Geschichte und mehr. Man sollte wissen, wie der „deutsche Michel“ denkt und fühlt. Und wir müssen für die andere Seite auch intellektuell anziehend werden. Nur das garantiert die Fortführung gegenseitiger Kontakte. Anders ausgedrückt wirkt hier immer noch das alte Rezept: Lernen, lernen, lernen.

Die Fragen stellte Marina Muraschko.

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