Putin: „Welcome“

Russland wird auf die Aussetzung des Visaerleichterungsabkommens von 2007 durch die EU nicht seinerseits mit Beschränkungen des Reiseverkehrs reagieren. Man verzichte auf Gegenmaßnahmen, erklärte unter anderem Präsident Putin. Allerdings ist die Zahl der Besucher aus der EU ohnehin eingebrochen.

Moskauer Sehenswürdigkeiten: der Kreml und der Park Sarjadje (Foto: Tino Künzel)

Es war auch bisher alles andere als einfach mit dem Hin- und Herreisen zwischen der Europäischen Union und Russland. Ein Visum für den Einlass zu benötigen, also Zeit und Geld aufwenden und sich überprüfen lassen zu müssen, bevor es überhaupt losgehen kann, entspricht nicht wirklich den Vorstellungen braver Bürger vom Reisen im 21. Jahrhundert. Immerhin: Beide Seiten haben das Verfahren im Jahr 2007 vereinfacht und ein Abkommen geschlossen, das die Visavergabe abkürzte und preiswerter machte. Dieses Abkommen hat die EU nun zum 12. September ausgesetzt.

Russen haben damit keinen sogenannten privilegierten Zugang zu Schengen-Visa mehr. Die Kosten steigen wieder von 35 auf 80 Euro, die Bearbeitungszeit kann gut und gern über einen Monat betragen. Es müssen mehr Dokumente beigebracht werden und Anträge auf Touristenvisa genießen bei den Konsulaten eine geringe Priorität.

Die Entscheidung des EU-Rats auf Empfehlung der EU-Kommission ist ein Kompromiss. Denn vor allem Russlands unmittelbare Nachbarn, die baltischen Länder und Finnland, hatten auf noch weitergehende Maßnahmen gedrängt. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, dann hätten sich die EU-Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Visasperre für Russen verständigt, zumindest für russische Touristen. In der Frage waren die Außenminister der EU-Länder bei einem Treffen Ende August in Prag jedoch gespalten. Nun macht die EU die Tür nur halb und nicht ganz zu. Einreisen aus Russland bleiben weiter prinzipiell möglich, werden aber erschwert.

Einige Grenzen für fast alle Russen dicht

Die Staaten, denen das nicht reicht, ergreifen teils eigene Maßnahmen. Estland, Lettland, Litauen und Polen haben zum 19. September ihre Grenzen für Russen geschlossen, bis auf „begründete Ausnahmen“. Damit sind vor allem verwandschaftliche Kontakte gemeint. Inhaber von Touristen-, Kultur-, Sport- oder Businessvisa werden abgewiesen. Begründet wird das in einer gemeinsamen Erklärung mit „ernstzunehmenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit“. Die Erklärung enthält auch einen Satz, den zuvor bereits die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas geäußert hatte. Er heißt: „In die EU zu reisen, ist ein Privileg, kein Menschenrecht.“

Auch Finnland hat zuletzt beschlossen, keine Touristen mehr ins Land zu lassen. Zuvor war die Vergabe von Touristenvisa zum 1. September bereits heruntergefahren worden. Anträge konnten nur noch montags und lediglich in vier Konsulaten eingereicht werden.

Damit sind es nun schon zehn EU-Länder, die keine Touristenvisa mehr an russische Staatsbürger ausstellen. Darunter sind jedoch keine Schwergewichte wie Deutschland, Frankreich, Spanien oder Italien. An ihre Adresse gerichtet, hatte der polnische Regierungssprecher Piotr Müller jüngst mangelnden „Mut“ beklagt.

„Die sollen ruhig kommen“

Russland will im Gegenzug die Visavergabe nicht einschränken. Reisenden Steine in den Weg zu legen, entspreche nicht den eigenen Interessen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Wir sind interessiert daran, dass uns Touristen besuchen, darunter auch aus jenen Ländern, die wir unfreundlich nennen.“ Die Ausländer sollten mit eigenen Augen sehen, dass zu Hause über Russland „Lügen“ verbreitet würden.

Regierungschef Michail Mischustin erklärte, Russland werde sich nicht einigeln, denn „nicht Isolation, sondern Sicherheit und Stabilität“ seien im russischen Interesse. Präsident Wladimir Putin sagte auf dem Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok, man werde von sich aus keine Kontakte unterbinden. Man wolle, dass junge Leute kämen, um zu studieren, dass ausländische Wirtschaftsvertreter in Russland ihren Geschäften nachgingen. „Welcome, die sollen ruhig kommen und hier ihre Arbeit machen.“ Dasselbe gelte für Sportler und Künstler. „Was soll daran schlecht sein?“

Russland will nach Angaben des Außenministeriums noch in diesem Jahr sogar E-Visa für Bürger aus 52 Staaten einführen, darunter auch die EU-Länder. Geplant war das bereits für Anfang 2021, doch die geschlossenen Grenzen im Zuge der Pandemie machten dem Vorhaben damals einen Strich durch die Rechnung.

EU-Russlandtouristen meist aus Deutschland

Doch wird Russland überhaupt noch als Reiseland wahrgenommen? Die Zahl der Einreisen war zuletzt jedoch minimal. Nach Einschätzung des russischen Verbandes der Tourismusindustrie sind heute 95 bis 97 Prozent weniger Touristen aus aller Welt zu verzeichnen als noch vor drei Jahren. Im zweiten Quartal sind nach Angaben des FSB rund 76.000 Ausländer aus EU-Staaten nach Russland eingereist, davon lediglich ca. 3000 zu touristischen Zwecken. Der Anteil der Deutschen (1837) unter den Touristen war größer als der aller übrigen EU-Staatsbürger zusammengenommen.

Insgesamt wurden im zweiten Quartal rund 10.000 Einreisen von Deutschen gezählt. Im selben Zeitraum des Jahres 2019 waren es noch mehr als 169.000 gewesen.

Was umgekehrt die Russen betrifft, so berichtete der Tourismusindustrieverband kürzlich, dass mehr als 60 Prozent der Auslandsreisen auf die Türkei entfielen. Der Luftverkehr zwischen Russland und der EU liegt seit dem Frühjahr auf Eis. Mit dem Einreisestopp einer Handvoll Nachbarländer werden auch die Möglichkeiten, auf dem Landweg in die EU zu gelangen, immer geringer.

Tino Künzel

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