(Un)verpacktes Leben: Moskaus erster Supermarkt ohne Plastikmüll

Der Kaffee im Pappbecher, das Mittagsessen in der Plastikbox und der Supermarkt-Einkauf im Polyethylenbeutel: Ein Laden macht nun Schluss mit dem Verpackungswahn und möchte so Moskaus Müllproblem angehen.

Ohne Plastik: Der „Zero Waste Shop“ bietet Lebensmittel lose an. /Foto: Katharina Lindt.

Plastikfrei zu leben, ist schwer. Aber machbar, sagt Larissa Petrakowa. Die junge Russin hat ihr Leben vor knapp einem Jahr umgekrempelt und sich der Zero-Waste-Bewegung angeschlossen. Die erfährt weltweit große Aufmerksamkeit. Die Idee: So wenig Müll wie möglich produzieren. Petrakowa feilt daran. Landete früher ein Sack pro Tag im Müllschlucker, dauert es heute über eine Woche bis dieser voll ist. Eigentlich könnte es noch weniger sein. Ihr Mann und ihre Kinder adaptieren die neue Lebensweise Schritt für Schritt. „Hat man erst einmal begriffen, warum man das macht, dann gibt es keinen Weg zurück“, sagt die 37-Jährige.

Aus dem radikalen Umdenken machte die junge Frau sogar ein Geschäft. Weil Petrakowa keinen Supermarkt fand, der Produkte lose zum Verkauf anbietet, eröffnete sie kurzerhand selbst einen Laden ohne Verpackung. Er ist zwar nicht der erste in Russland, Petrosawodsk war schneller, aber der erste in Moskau. Kunden bringen ihre eigenen Dosen oder Gläser mit und füllen die gewünschten Waren nach Gewicht ab.

So möchten Aktivisten dem Verpackungswahnsinn entgegen wirken. Allein Russland produziert nach Angabe von Greenpeace 30Milliarden Plastiktüten im Jahr, zwei Milliarden davon teilen und verkaufen die vier größten Einzelhandelsketten in Russland, nämlich Magnit, Aschan, Diksi und X5 Retail Group. Und in den nächsten zehn Jahren soll die Produktion weltweit Experten zufolge nicht abnehmen, sondern um 40 Prozent steigen.
Die Anfahrt zum Zero-Waste-Shop von Petrakowa ist lang, wenn man nicht gerade im Bezirk Strogino im Nordwesten von Moskau wohnt. Doch viele Moskauer scheint die Lage nicht zu stören. „Sie fahren quer durch Moskau, um hier einzukaufen und kommen immer wieder“, erzählt Petrakowa, vom Erfolg des Ladens selbst ein wenig überrascht. Vor allem an den Wochenenden sei es voll. „Viele wollen sehen, wie ein Laden ohne Verpackung aussieht.“

Die Box-City an der Metro-Station Mjakinino in Moskau. /Foto: Katharina Lindt.

Bewusster einkaufen

Schlicht und funktional wirkt das Geschäft, das sich in der „Box City“ aus Containern an der Metrostation Mjakinino befindet. Links und rechts stehen Holzregale und an den Wänden sind Spender montiert, die Lebensmittel wie Reis, Nudeln, Öl und Gewürze beinhalten. Auch Seife, Putzmittel und Hygieneartikel sind erhältlich. Ganz ohne Verpackung kommt der Supermarkt dann doch nicht aus. Cremes in Glastiegeln oder Trinkflaschen sind käuflich – allerdings aus ökologischem Material, das im Laden zur Wiederverwendung abgegeben werden kann.

Die Kunden sind jung. „Unsere Kommunikation läuft praktisch online ab, dort, wo sich unsere Zielgruppe aufhält“, sagt Petrakowa. Seitdem auch Printmedien über den Unverpackt-Laden berichten, kommen viele Rentner vorbei, erzählt Petrakowa. „Sie erinnern sich gerne an die Zeit, als sie in der Sowjetunion mit einer Blechkanne Milch holen gegangen sind.“ Vielleicht lockt auch der Preis. Manche Produkte sind bis zu 40 Prozent günstiger als im herkömmlichen Supermarkt. Denn der Kunde zahlt nicht für die Verpackung und kauft die Menge, die er wirklich braucht. „So vermeidet man, dass Lebensmittel in der Tonne landen“, fügt Petrakowa hinzu.

Umdenken nach Müll-Protesten

Das scheint nicht nur ein weiterer Trend aus dem „Westen“ zu sein, sondern eine Notwendigkeit vor dem Hintergrund der Umweltproteste. Als der Gestank von der Mülldeponie „Jadrowo“ die Stadt Wolokolamsk in diesem Frühjahr erreicht hatte, gingen Menschen auf die Straße. Sie forderten ihre Schließung und eine Lösung des Problems – bislang mit wenig Erfolg. Moskau ist laut Greenpeace für ein Fünftel des gesamtrussischen Abfalls verantwortlich. Pro Kopf sind das 500 Kilogramm. Ein Moskauer produziert damit doppelt so viel Abfall wie ein Durchschnittsrusse. Zum Vergleich: Nach Zahlen des Umweltbundesamts wirft man in Deutschland jedes Jahr pro Kopf eine halbe Tonne Haushaltsmüll weg.

Eine Umfrage des Moskauer Umweltamtes zeigt, dass der Wille zum Umdenken da ist: 30 Prozent der Einwohner sind aktuell bereit, Müll zu trennen.

Nachhaltige Verpackung: Zahnbürste aus Bambus, Zahnpulver und Shampoo im Glas. /Foto: Katharina Lindt.

Umdenken muss auch die Industrie, meint Petrakowa. So habe der Nudelhersteller „Barilla“, der in Moskau produziert, eine verpackungsfreie Bestellung in Säcken abgelehnt. „Sie haben schlicht keine Säcke und können nicht so leicht ihre Geschäftsprozesse ändern, um uns zehn Kilogramm zu liefern. Große Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich anzupassen, weil sie überhaupt nicht flexibel sind“, so die Unternehmerin. Da seien kleinere Unternehmen schon kooperativer und gehen auf das ungewöhnliche Anliegen ein. Aber auch da kann es zu Missverständnissen kommen. Ein Teehersteller versprach, die Ware in einem Fünf-Kilogramm-Sack zu liefern. Am Ende wurde der Tee, abgepackt in 500-Gramm-Plastiktüten, in ihrem verpackungsfreien Supermarkt entladen.

Katharina Lindt

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