Jelisaweta, 18, Moskauer Staatliche Pädagogische Universität (MGOU)
Von der Sonderoperation habe ich an der Hochschule erfahren. Einer unserer Dozenten hat mit uns darüber gesprochen. Und uns auch erklärt, warum das eine Sonderoperation ist und kein Krieg. Fällt das Wort Krieg, denkt man automatisch an ein Vorgehen gegen die Bevölkerung. Die Sonderoperation dagegen dient der Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine mit dem Ziel, die Einwohner der Volksrepubliken LNR und DNR zu schützen.
Man hat uns gleich gesagt, wir sollten uns mit Meinungsäußerungen zurückhalten, nicht zu Demos gehen, nichts in sozialen Netzwerken posten – „sicher ist sicher“. Unsere Lehrkräfte stehen selbst auf dem Standpunkt, dass alles seine Ordnung hat und es keinen Grund gibt, sich einzumischen. Wir werden überwiegend von älteren Leuten unterrichtet. Accounts von ihnen in sozialen Netzwerken zu finden, hat sich als Ding der Ummöglichkeit herausgestellt. Das Internet nutzen sie nicht besonders aktiv. Selbst Nachrichten in Messengerdiensten bleiben teils lange unbeantwortet.
Die Aufregung an unserer Uni rund um die Sonderoperation hat sich nach den ersten zwei Wochen gelegt, wurde seitdem nur von bestimmten Meldungen neu entfacht, etwa vom Einschlag einer ukrainischen Rakete in der Region Belgorod. Die meisten Studenten meiner Hochschule wohnen selbst weit weg von Moskau im Umland, sind teilweise mehr als zwei Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.
Aber größere Sorgen machen sich alle inzwischen eigentlich nur wegen des Geldes. Die Preise sind zuletzt dermaßen gestiegen, dass man Angst haben muss, am Ende ohne Abschluss dazustehen. Nicht jede Familie hat genug Geld, um studierenden Töchtern und Söhnen finanziell unter die Arme zu greifen und das auch durchzuhalten, wenn alles teurer wird.
Arssenij, 18, Russische Staatliche Medizinische Pirogow-Universität
Ich kann nicht für die gesamte Universität sprechen, aber kardinale Veränderungen in ihren Mauern sind mir seit Ende Februar nicht aufgefallen. In meinem Umfeld ist die Stimmung zwar ziemlich radikal, aber an der Uni wird nicht groß darüber geredet. Von den Dozenten lässt ab und zu jemand einen Spruch vom Stapel, manchmal im Sinne der Opposition, meist im Sinne der Regierung.
Ich habe an sämtlichen Friedensdemos in Moskau teilgenommen. Es war klar, dass wir damit nichts groß ausrichten können, doch wir wollten uns zumindest zeigen und unsere Meinung zum Ausdruck bringen. Anfangs waren wir viele, doch die Zahl sank in der Folge kontinuierlich. Die Polizei ging hart gegen die Teilnehmer vor. Manche wurden sogar für stillen Protest in Form von Bändchen oder winzigen Aufschriften mitgenommen. Am Ende hielt die Angst die Leute davon ab, weiter auf die Straße zu gehen.
Darja, 23, Moskauer Industriedesign-Institut (MChPI)
Die ganze Situation hat sich auf den studentischen Alltag nur sehr bedingt ausgewirkt. Klar, die Sanktionen erstrecken sich auf viele Gebiete, davon sind auch das Bildungswesen, Computerprogramme, Internetseiten und so weiter betroffen. Aber in Russland konnte man schon immer Alternativen zu teuren Lizenzprodukten finden. Das ist nichts Neues und kein Problem.
Im Studienbetrieb wird die aktuelle Lage ansonsten kaum angesprochen, höchstens im Einzelfall, wenn jemand vorhat, später in Europa zu arbeiten oder dort sein Studium fortzusetzen. Im Privaten spielt das Thema auch keine Rolle. Wobei: Über die Teuerungswelle wurde dann doch geredet. Aber bei uns steigen die Preise jedes Jahr. Alle sind schockiert, alle fragen sich, wie sie eigentlich über die Runden kommen sollen. Aber irgendwie kommen sie jedes Mal über die Runden.
An Protestaktionen hat aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis niemand teilgenommen. Einige Leute meines Alters aus anderen Universitäten verstehe ich nicht. Sie sind gegen die russische Führung. Denen ist wahrscheinlich einfach nicht klar, was uns unter einer anderen Führung und einer anderen Politik erwarten könnte.
Wie sich unser Land in dieser Situation verhalten hat, wird wohl die beste Lösung gewesen sein. Ich habe persönliche Kontakte zu Einwohnern der Ukraine und westlicher Länder. Meine Meinung bilde ich mir auf Grundlage dessen, was ich von denen höre, nicht aus dem Fernsehen, das ich kaum schaue.
Alexander, 22, Higher School of Economics
Ich habe festgestellt, dass unsere Lehrkräfte von Facebook und Instagram, die in Russland als extremistisch eingestuft wurden, zu VKontakte gewechselt sind. Dort posten sie ihre Expertenmeinung zu den aktuellen Ereignissen. Ich habe mir einige Accounts angeschaut und dort gelesen, dass Russlands Vorgehen in der Ukraine notgedrungen ist. „Wir konnten nicht anders“, heißt es da. Das kam für mich unerwartet und hat in Studentenkreisen für heftige Diskussionen gesorgt.
Zu den Demos ist niemand von meinen Bekannten gegangen. Wir sind jung, wir haben das ganze Leben noch vor uns. Da möchte man sich nicht selbst ans Messer liefern. Einerseits ist es absolut sinnlos, auf die Straße zu gehen. Andererseits sind wir besonders angreifbar. An unserer Uni wurden noch im Februar punktuelle Warnungen ausgesprochen, dass die Teilnahme an Protestaktionen zum Ausschluss vom Studium führen kann.
Anmerkung der Redaktion: Für diesen Beitrag wurden etwa 40 Studierende um Auskunft gebeten. Die meisten weigerten sich, auch nur irgendetwas zu sagen, selbst wenn ihnen Anonymität zugesichert wurde. Von den wenigen, die sich äußerten, haben wir nur die Vornamen angegeben und einige davon auf Wunsch der Betroffenen geändert.