Ohne sie geht gar nichts auf Moskaus Baustellen. Bei Wind und Wetter verrichten Arbeitsmigranten aus Zentralasien Schwerstarbeit für die Erneuerung der russischen Hauptstadt. Dieses Bild soll bald der Vergangenheit angehören. Nach dem Motto „Russians First“ will das Rathaus die Malocher aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach und nach mit Russen aus der Provinz ersetzen. Der Vizebürgermeister für Stadtentwicklungspolitik und Bauwesen Andrej Botschkarjow kündigte gegenüber der Handelszeitung RBK an, er wolle „einen Aktionsplan entwickeln, der es uns ermöglicht, auf den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte auf den Baustellen in Moskau zu verzichten.“ Überhaupt sollen weniger Menschen auf dem Bau arbeiten. Der Plan sieht vor „nur ein Drittel der Menschen zu benötigen, während ihre Gehälter zwei- bis dreimal höher sein sollten.“ Außerdem will man doppelt so schnell bauen.
Auf Moskaus Baustellen fehlen Arbeiter
Wirft man einen Blick auf die momentane Situation des Moskauer Bauwesens, wirken die Ambitionen der Stadt umso größer. Auch, weil während der Pandemie sind viele Arbeitskräfte in ihre Heimat zurückgekehrt. Von den 120 000 Arbeitsmigranten vor Corona sind nun nur noch 40 000 übrig. Insgesamt sind derzeit 60 000 Arbeiter im städtischen Bauwesen registriert. Nach Schätzungen der Stadt fehlen 40 Prozent Arbeitskraft. Der Leiter des Moskauer Bauaamts Rafik Sagrutdinow will weitere 15 000 Arbeiter anwerben. Liest man diese Zahlen, so scheint das Vorhaben der Stadt etwas widersprüchlich. Doch die Wunderwaffe, die alles richten soll, hat Botschkarjow schon parat. Technologie heißt das Zauberwort, auf das die Behörden setzen. Etwa eine Maschine, die selbstständig Mörtel auf Wände aufträgt.
Auch sollen die Bauarbeiter besser ausgebildet werden. Die migrantischen Arbeiter bringen wenig bis kaum Fachwissen mit. In Zukunft sollen gut ausgebildete Einheimische tätig sein. Vorbilder sind Großbritannien und Finnland, wo man laut Botschkarjow keine Migranten benötigt. Die neuen Arbeitsformen werden bereits bei einzelnen Projekten umgesetzt. „An einer Reihe von Standorten wurde beispielsweise mit 450 Beschäftigten geplant, und der Auftragnehmer kommt mit 170 aus“, so der Vizebürgermeister. Aktuell bekommen Migranten in der Regel 50 000 bis 60 000 Rubel (600 bis 700 Euro). Laut Botschkarjow lehnen einige sogar Angebote für 80 000 Rubel (960 Euro) ab. Diese eigentlich sehr guten Gehälter sollen verdoppelt werden, damit die Arbeit für Russen aus der Provinz attraktiv wird.
Ausbildung müsste umgestellt werden
Soweit die Theorie. In der Praxis sehen Experten wie der Ökonom Artur Safjulin einige Hindernisse. In einer Kolumne für „Nastojaschtscheje Wremja“* schreibt er, dass die Ausbildung für Bauarbeiter radikal verändert werden müsse. Sie müssten lernen, mit den neuen Technologien umzugehen. Ansonsten seien diese nutzlos. Ihre Qualifikationen reichten derzeit nicht aus. Gibt es also überhaupt eine große Transformation auf den Baustellen, dann erst in fünf bis zehn Jahren, so die Meinung des Experten. Programme, welche den Auszubildenden das nötige Know-how liefern, seien noch nicht weit verbreitet.
Darüber hinaus müssen junge Russen bereit sein, sich von der Aussicht auf einen Bürojob zu verabschieden, um stattdessen bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad auf einem Gerüst zu stehen. Im Moment wollen das nur wenige. Ob sich die Lage bei höheren Löhnen ändert, bleibt abzuwarten. Ein Job auf dem Bau ist und bleibt, auch mit technologischen Hilfen, körperliche Schwerstarbeit.
Im Bauwesen komplett auf die „Gastarbeitery“ zu verzichten, scheint fast unmöglich. Eine „Entwicklungs-Roadmap“ der russischen Regierung sieht vor, bis 2024 fünf Millionen Migranten ins Land zu holen. Eine Verdrängung ausländischer Arbeitskraft sieht anders aus
Emil Herrmann
*Das Medium gilt in Russland als ausländischer Agent.