Stille neu erleben

Moskau ist eine laute und dynamische Stadt mit einer Unmenge an Eindrücken. In einem neuen Museum können Großstädter erfahren, was ihnen am meisten fehlt – Stille. Und das auf eine vielseitige und interaktive Weise. Die MDZ hat das Museum „In der Stille“ besucht.

Pantomime ist eine mögliche Ausdrucksform, wenn man nicht sprechen kann. (Foto: Museum „In der Stille“)

Bereits der Weg zum Museum „In der Stille“ im Kusminki-Park lässt den gestressten Großstädter ein wenig runterkommen. Denn das Gebäude ist umgeben von der schönen Natur des Parks, die einen auf den Besuch einstimmt. „Die Stille fordert dich heraus“, heißt es auf einem Schild am Eingang. Ich fühle mich bereit für diese Herausforderung.

Das Museum „In der Stille will zwei Welten näher zusammenbringen: die der Schwerhörigen und Gehörlosen und die der Hörenden. Es sind zwei Welten, die im Alltag oft nebeneinanderher existieren. Im Museum können die Besucher in die ihnen unbekannte Welt der Stille eintauchen, Rollen tauschen und die Perspektive wechseln.

Die Guides, die die Besucher durch das Museum führen, sind alle schwerhörig oder gehörlos. Bevor die einstündige Tour losgeht, zeigt mein Guide Mitja die wichtigsten Regeln: mächtige schallgedämpfte Kopfhörer aufsetzen, das Handy ausschalten und nicht sprechen. Und in Corona-Zeiten natürlich Mundschutz aufsetzen.

Die erste Aufgabe besteht darin, Gebärdensprache zu verstehen. Während Mitja das Wort zeigt, müssen wir aus drei Antworten wählen. Gar nicht mal so einfach, dafür aber sehr spannend. Und manchmal lag ich sogar richtig. Gleich darauf wird es aktiv. Wir sollen selbst Worte mit Mimik und Gestik beschreiben. Eigentlich war ich darin immer gut. Aber wie erklärt man Russland, Deutschland oder Japan ohne Worte? Während ich versuche, den ganzen Körper zu benutzen, lerne ich einiges über mich selbst und die eigene Stärke.

Gebärdensprache ist emotional und eindeutig

Weiter geht es mit dem Fingeralphabet, bei dem Buchstaben durch verschiedene Handformen wiedergegeben werden. Um mit Gehörlosen zu kommunizieren, reicht das Alphabet allerdings nicht. Denn in der Gebärdensprache drückt eine Geste ein Wort oder einen ganzen Satz aus. Auch der Gesichtsausdruck und die Bewegung des Mundes spielen eine Rolle. Mitja bringt uns ein paar Ausdrücke bei. Ich merke, um wie viel klarer, emotionaler und ehrlicher Gebärden als das gesprochene Wort sind.

Im nächsten Raum wird es praktisch. Wir schlüpfen in die Rollen von Käufer und Verkäufer. In völliger Stille und ohne die Möglichkeit, unseren Gesichtsausdruck zu nutzen, müssen wir zeigen, was wir kaufen wollen, wie etwa eine Bohrmaschine oder ein Klebeband. Ich bin kurz davor aufzugeben, will anfangen zu reden und erklären, dass ich einige Sachen nicht kenne. Doch egal, wie sehr ich in meine gewohnte Umgebung zurückkehren möchte, ich schaffe es, „in der Stille“ zu bleiben.

Die Guides bringen den Besuchern auch Gebärdensprache bei. (Foto: Museum „In der Stille“)

Am Ende der Tour erleben wir, wie Schwerhörige und Gehörlose Musik fühlen. Dieser Teil wurde in Kooperation mit dem Theater „Nedoslow“ – in dem alle Schauspieler schwerhörig oder gehörlos sind – konzipiert. Er zeigt, wie viel Potential die Gebärdensprache als künstlerisches Ausdrucksmittel hat und wie leidenschaftlich und stark die Menschen sind. Besonders wenn sie etwas machen, was sie wirklich lieben.

Museum verwischt Grenzen zwischen den Welten

Nach der Tour bleiben in mir lauter positive Emotionen und Tausende von Fragen an den Guide Mitja. Ich habe von ihm viel gelernt. Dass viele Menschen einen Gebärdennamen haben, der sich auf ihre besonderen Merkmale bezieht und individuell im Freundes- und Familienkreis vergeben wird. Und dass es in jedem Land eine eigene Gebärdensprache und noch eine internationale gibt, beispielsweise. Russisch ist dabei eine der schwersten Sprachen. Irgendwie hatte ich das erwartet. Von Mitja habe ich auch gelernt, dass die Hörenden in der Kommunikation mehr Probleme haben, als Schwerhörige oder Gehörlose. Mein „Danke“, das ich in Gebärdensprache gelernt habe, versteht er zumindest ohne Probleme.

Das Museum „In der Stille“ verwischt die Grenzen zwischen den Welten der Hörenden und Gehörlosen. Und ich merke, dass wir noch viel lernen müssen. Nicht nur Gebärdensprache, sondern auch Offenheit. Im Museum lernt man nicht nur anderen, sondern auch sich selbst mehr zu vertrauen und seine innere Stimme zu hören.

Das junge Museum hat viele Partner und große Pläne. Der Museumsgründerin Maria Ajsina schwebt bereits ein konkretes Projekt vor. In Quests sollen gemischte Teams aus Hörenden und Gehörlosen interaktiv kommunizieren und gemeinsam Rätsel lösen. Außerdem soll ein Gebärdensprachkurs angeboten werden. Die Nachfrage ist bereits groß. Zukünftig möchte das Museumsteam das Programm auch in anderen Städten präsentieren, um mit dem einzigartigen Konzept „In der Stille“ Inklusion und Diversität zu fördern.

Das Museum „In der Stille“ hat täglich geöffnet. Die Touren kosten ab 650 Rubel. Mehr Informationen gibt es auf museuminsilence.ru

Maria Bolschakowa

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