
„Ich war damals vier Jahre alt“, erinnert sich der Ingenieur Sergej Tretjakow, „ich erinnere mich, dass wir die Eröffnung der Spiele im Fernsehen verfolgt haben. Die ganze Stadt war damals voll von Symbolen und Logos. Ich habe heute noch eine Thermoskanne mit dem Olympia-1980-Emblem und einen Mischka aus Gummi.“ Mischka – das war der Bär, der damals als Maskottchen der Spiele diente.
Er war auch im Westen recht beliebt, auch wenn manche Länder die Spiele boykottierten, darunter die Bundesrepublik Deutschland und die USA. Die Athleten vieler anderer westlicher Länder traten unter der Olympiaflagge anstelle ihrer Nationalflagge an – aus Protest gegen den zuvor erfolgten Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan.
Spezielle Busse für die Olympiade
Doch die Kinder ahnten von den politischen Spannungen nichts. Sergej erinnert sich, dass damals die Haltestellen in der Metro in zwei Sprachen angesagt wurden. Und an spezielle Minibusse der Marke RAF. „Die ‚Rafiks‘, wie wir diese Busse nannten, hatten sonst Sitze entlang der Wände, man saß sich gegenüber. Für Olympiade gab es welche mit Sitzen Reihen.
Man konnte zum Fenster hinausschauen. Das gefiel mir! Es gab auch mehrteilige Minibusse für die Gäste der Olympiade, wie kleine Züge. Die waren danach noch lange Zeit im WDNCh im Einsatz.“ Und dann die Musik: Sergej Tretjakow erinnert sich an den Olympia-Song von Tynis Mjagi.
Der estnische Sänger hatte damals den Auftrag erhalten, die offizielle Hymne für die Spiele zu schreiben. Die Disco-Nummer „Olympiada“ ist ein typisches Kind ihrer Zeit. Doch auch westliche Musik fand den Weg nach Moskau: „Aus dem Fenster auf der anderen Seite des Hofs lief die ganze Zeit Adriano Celentano“, erzählt Tretjakow.
Die Bettler waren plötzlich verschwunden
Jelena Kurlowa war damals fünf Jahre alt. „Meine Oma wohnte in der Nähe der Metrostation Sokol am Leningradskij Prospekt, gegenüber der Allerheiligenkirche. Manchmal, wenn ich meiner Großmutter war, gingen wir mit ihr in die Kirche. Auf dem Rückweg gab mir meine Großmutter ein paar Kopeken, die ich den Bettlern in der Unterführung geben sollte.“ Kurz vor den Olympischen Spielen, so erinnert sich Jelena, waren Bettler dann plötzlich aus der Unterführung verschwunden, wohin auch immer.
Einen besonderen Eindruck machten auch die westlichen Getränke, die mit den Spielen in die Stadt kamen und die zuvor niemand gekannt hatte. Zum Beispiel Saft in Tetra-Packs mit Strohhalm. „Ich trank eine Menge davon. Einmal schwollen meine Augen davon an wie die Hölle. Den gab es normalerweise nicht in den Geschäften zu kaufen. Meine Eltern ergatterten jedoch ein riesiges Paket von dem Zeug und mein Bruder und ich sind sofort darüber hergefallen“, so Jelena.
Tschechisches Bier und Fanta
Während sich die Kleinen am Saft berauschten, gab es für die Erwachsenen ein neues Bier-Erlebnis: „Es wurde angefangen, tschechisches Bier zu verkaufen“, so Jelena Kurlowa. „Mein Vater hat sich ein Paket davon besorgt und mehrere Monate lang abends eine Flasche aufgemacht. Sonst hat Papa nie Bier getrunken. Vermutlich hat ihm einfach das Schiguli nicht geschmeckt“, fügt sie schmunzelnd hinzu.

Auch unser Chefredakeur Igor Beresin hat vor allem Erinnerungen an Getränke. Er war damals neun Jahre alt. „Ich habe damals zum ersten Mal Fanta getrunken!“ Das Sportereignis an sich hat ihn gar nicht furchtbar interessiert. „Ehrlich gesagt hat es uns damals mehr beschäftigt, ob Mario Kempes, Paolo Rossi oder Karl-Heinz Rummenigge der bessere Fußballer ist. Leichtathletik war uninteressant.“
Den Fackelzug verpasst
Spannender war das Drumherum. „Wir wohnten damals in Tschertanowo, da lebten viele Arbeiter der ZIL-Werke. Wir hatten erfahren, dass die Athleten, die das Olympische Feuer begleiten, keine Profisportler waren, sondern Arbeiter dieses Werks. Der Zug kam von Podolsk her und wir waren uns sicher, dass sie durch unser Viertel kommen würden.“ Doch die Jungs wurden enttäuscht, die Fackelträger hatten eine andere Route eingeschlagen.
Unvergesslich blieb auch eine Kopfbedeckung: „Die ganze Stadt hat damals so einen komischen Hut getragen. Den musste man sich aus Pappe falten, es gab ihn in verschiedenen Farben.“ Und auch er war beeindruckt von der vielen Werbung und den Logos: „Die Züge waren voll von diesen Logos, sowas hat es vorher nie gegeben.“
Jiří Hönes