Randgebiet mit Potenzial: AHK-Experte über Russlands Fernen Osten

Anfang September fand in Wladiwostok das 6. Östliche Wirtschaftsforum statt. Im MDZ-Interview berichtet AHK-Geschäftsführer Tim Knoll über die Stimmung vor Ort und die wirtschaftlichen Möglichkeiten im Fernen Osten Russlands.

AHK-Geschäftsführer Tim Knoll (Foto: AHK)

Trotz Corona-Pandemie fand das Östliche Wirtschaftsforum in diesem Jahr mit Wirtschaftsvertretern vor Ort statt. Herr Knoll, Sie waren in Wladiwostok. Wie war die Stimmung auf dem Forum?

Die Stimmung war insgesamt sehr gut, auch wenn im Vergleich zum vergangenen Forum 2019 nur ungefähr halb so viele Teilnehmer anwesend waren. Das mag wohl auch daran gelegen haben, dass weniger Ausländer vor Ort waren.

Was war für Sie persönliches das Highlight des Forums?

Dass der gesamte Ferne Osten, der zwar 40 Prozent der Fläche Russlands umfasst, aber nur acht Millionen Menschen beheimatet, kompakt auf dem Forum zusammengefasst ist. Auf einer Messefläche von rund einem Kilometer sieht man, wie facettenreich der Ferne Osten ist. Wir haben mit Gouverneuren, Ministern und Entwicklungsgesellschaften von acht Regionen gesprochen. Es ist spannend und schön zu sehen, wie viel sich dort seit einigen Jahren entwickelt. Und wie europäisch es doch in Asien sein kann.

Das Östliche Wirtschaftsforum ist eine relativ junge Veranstaltung. Welche Bedeutung hat die Veranstaltung für die Region in dieser Zeit bekommen?

Es geht darum, zu zeigen, was in der Region passiert. Und darum, eine Plattform für Projekte und Business zu bieten. Das ist gut gelungen. Aus deutscher Sicht ist die Region natürlich immer noch weit weg. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum im Verhältnis zu Zentralrussland und dem Ural weniger deutsche Firmen präsent sind.

Auf dem Forum wurden über 380 Verträge im Wert von 49 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Ein Rekord, wie es offiziell heißt. Überraschen diese Zahlen angesichts der Corona-Situation in Russland und der jahrelangen wirtschaftlichen Stagnation?

Die auf dem Forum unterzeichneten Verträge und Absichtserklärungen beweisen: Trotz aller Schwierigkeiten entwickelt sich die Region. Vielleicht nicht so schnell, wie vor ein paar Jahren erhofft, aber auch nicht so langsam, wie Kritiker vermutet hatten. Die russische Regierung betreibt einen erheblichen Aufwand, damit es in den Regionen vorangeht. Insbesondere bei der Infrastruktur, aber auch im Bemühen, ausländische Investitionen an Land zu ziehen. Die kommen im Fernen Osten mehrheitlich aus dem asiatischen Raum. 

International gab es neue Verträge mit neun Ländern. Deutschland gehört nicht dazu. Ist das ein Zufall oder ein Zeichen, dass der Ferne Osten noch nicht im Fokus der deutschen Wirtschaft ist? 

Dass die deutsche Wirtschaft nicht so präsent ist, liegt vor allem an der Geographie und an der niedrigen Einwohnerzahl. Nichtsdestotrotz sind große deutsche Unternehmen wie Siemens, Linde und Liebherr seit langer Zeit im Fernen Osten tätig. Auch mittelständische Spezialbauunternehmen sind vor Ort. Einige Flughäfen wurden im Fernen Osten unter deutscher Leitung gebaut. Je wichtiger die Region für Russland insgesamt wird, desto stärker wird sich die deutsche Wirtschaft an ihrer Modernisierung beteiligen. 

Die russische Regierung hat mehrere Investitions- und Entwicklungsprogramme aufgelegt. Spürt man die Programme? Und profitieren davon auch deutsche Unternehmen?

Die Programme sind spür- und auch erlebbar. Es ist schon beachtlich und beeindruckend, was in den vergangenen Jahren an Infrastruktur entstanden ist. Aktuell laufen viele Projekte, etwa im Wohnungs- und Industriebau, bei Straßen und Brücken, Häfen und Flughäfen. Das sind alles Projekte, in die sich deutsche Firmen gut einbringen können und zum Teil schon aktiv sind.

In Zukunft wird es verstärkte Investitionen in Umwelttechnologien geben. Für deutsche Firmen gibt es hier viele Möglichkeiten, sich mit ihren Produkten und Innovationen einzubringen.

Gibt es denn bereits Umwelttechnikprojekte im Fernen Osten Russlands?

Es gibt zahlreiche Projekte im Bereich Umwelttechnik. In Tschukotka, Jakutien, Kamtschatka und Sachalin sind Windanlagen in Betrieb. Bis 2025 strebt Sachalin Kohlenstoffneutralität an. Klimaschutz ist in Russland Chefsache, spätestens seit Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens. Das betrifft auch den Fernen Osten des Landes. Deutsche Firmen sind hier mit ihrem Know-how und ihrer Technik gut positioniert.

Heißt das, wir können in Zukunft einen Windpark von Siemens vor der Küste Wladiwostoks erwarten?

Siemens ist ja mit Wladiwostok und dem russischen Fernen Osten vertraut. Hier haben aber durchaus auch Mittelständler die Möglichkeit, in das Geschäft einzusteigen. Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und diese Unternehmen haben sicher Chancen, hier ein gutes Geschäft zu machen.

Ist denn für einen deutschen Mittelständler der Schritt
in den Fernen Osten sinnvoll oder vielleicht nicht doch zu groß?

Prinzipiell sage ich ja zum Schritt in einen neuen Markt. Aber das ist immer eine komplexe Entscheidung. Wenn es ein passendes Projekt gibt, lohnt es sich auf jeden Fall. Es lohnt sich auch, wenn es eine Unternehmerreise in das Gebiet gibt, auf der man sich mit dem Markt vertraut machen und seine Chancen ausloten kann. Das will die AHK im nächsten Jahr wieder in Angriff nehmen.

Mit China, Südkorea und Japan hat die Region drei starke Nachbarn. Ist das für deutsche Unternehmen ein Vor- oder Nachteil?

Das ist weder eine Gefahr noch eine Chance. So funktioniert Marktwirtschaft heute.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, würden Sie im Fernen Osten etwas aufbauen? Würden Sie es machen und in welchem Bereich?

Auch wenn ich persönlich finde, dass es sehr weit ist, würde ich es machen. Da es allerdings schon einen AHK-Regionalbeauftragten für den Fernen Osten gibt, müsste ich mir etwas anderes suchen.  Man sagt immer: „Wer nichts wird, wird Wirt“. Einer Kneipe am Pazifikstrand in Wladiwostok wäre ich nicht abgeneigt.

Die Fragen stellte Daniel Säwert

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