Neuer Architekturführer: Augen auf für Moskaus Baukultur

Architektur, erklärt von Architekten: Kürzlich erschien im Hause DOM Publishers die zweite Auflage des „Architekturführers Moskau“. Warum gerade er der dickste Wälzer unter den Führern des Verlags ist, hat uns Autor Peter Knoch erzählt.

Das Thema „Wohnen“ ist einer der Schwerpunkte des Buchs. (Foto: DOM Publishers)

Dass Moskau architektonisch mehr zu bieten hat als den Kreml, Stalins „Sieben Schwestern“ und Plattenbau, das weiß im Prinzip jeder, der schon einmal hier war. Doch was zeichnet die Architektur der Metropole eigentlich aus? „Moskau ist so eine Stadt, da finden Sie an einer Kreuzung ein Holzhaus, einen Supermarkt, eine Kirche und ein Hochhaus“, sagt Peter Knoch, der Hauptautor eines Architekturführers der russischen Hauptstadt, der gerade in zweiter Auflage erschienen ist. „Wenn Sie nach Barcelona, Paris oder Prag fahren, dann haben Sie ein gewisses Bild im Kopf. Und das finden Sie dann auch so vor“, so der Autor. Moskau dagegen sei eine Stadt ohne geschlossenes, einprägsames Stadtbild, vielmehr eine Ansammlung an unzähligen, oft sehr inte­ressanten Einzelgebäuden, wie auch London oder Berlin. „Ich glaube, das war schon immer so“, sagt er. Und er findet auch, dass das so bleiben solle, denn das mache den Reiz der Stadt aus.

Schon beinahe zwei Jahrzehnte lebt der in Berlin aufgewachsene Architekt in Moskau. „Als der Nachwende-Boom in Deutschland vorbei war, da gab es für uns einfach nicht mehr viel zu tun“, erzählt er rückblickend. Wie viele seiner Kollegen, hat er damals den Schritt ins Ausland gewagt. „Hier geht es gerade erst richtig los“, habe ein russischer Kollege ihn ermutigt.

Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert und der Gegenwart

Mitgebracht hat er die Leidenschaft, das berufliche Schaffen der Architekten auch interessierten Laien nahezubringen. Schon in Berlin hat er in den 1990ern Architekturführungen angeboten, in Moskau machte er damit weiter. Sein Kollege Phi­lipp Meuser brachte ihn auf die Idee, aus dem Material ein Buch für seinen damals noch jungen Verlag DOM Publishers zu schreiben. Nach etwa drei Jahren erschien 2011 die erste Auflage, welche längst vergriffen ist. „Bücher von Architekten“ ist das Motto des Medienhauses, das für seine Werke zur zeitgenössischen Architektur 2020 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet wurde.

Das lässt schon erahnen, dass es in der nun erschienenen zweiten Auflage des „Architekturführers Moskau“ nicht nur um Relikte der Zarenzeit und Ikonen des Konstruktivismus geht. „Wir haben versucht, aus allen Zeitepochen etwas darzustellen und nichts auszulassen, nur weil es uns vielleicht nicht gefällt oder es nicht populär ist. Den Schwerpunkt haben wir aber auf das 20. Jahrhundert und die Gegenwart gelegt, sagt Peter Knoch. Von den zahlreichen Architekturführern des Verlags ist der Moskauer der umfangreichste. „Das kommt gerade daher, dass es hier so viele spannende Einzelobjekte gibt“, so der Autor. Und die wollen einzeln beschrieben werden.

Entdeckungen in den Vororten

Natürlich werden der Kreml und die Himmelfahrtskirche in Kolomenskoje in dem knapp 600 Seiten starken Buch ebenso gewürdigt wie markante Stationen der Metro oder die konstruktivistischen Meisterwerke von Konstantin Melnikow. Doch was den Reiz dieses Führers ausmacht, das sind die unzähligen Entdeckungen jenseits der berühmten Bauten, sowohl im Zentrum als auch in den Vororten.

Da ist etwa die in den 1970ern entstandene Bibliothek der Staatlichen Medizinischen Universität in Troparjowo-Nikulino mit ihren ergreifenden Sowjet-Mosaiken, die Szenen aus der Medizin darstellen. Oder die Perowskij-Markthalle in Nowogirejewo, die aus mehreren gestapelten roten Dreieckskörpern besteht.

„Wohnen ist ein Thema, das jeden betrifft“

Besonderer Wert wurde auch auf das Thema „Wohnen“ gelegt. Und das heißt in Moskau vor allem: Massenwohnungsbau. „Wohnen ist ein Thema, das jeden betrifft und wo jeder eine Meinung hat“, sagt Peter Knoch. Und hier wird der Blick des Architekten augenscheinlich: „Diese Bauten entstehen ja nicht aus einem Gestaltungswillen heraus, sondern weil es einen enormen Druck gibt, Wohnraum zu schaffen. Da möchte ich es würdigen, wenn dennoch versucht wird, gestalterisch damit umzugehen.“ So findet man nicht nur ein Kapitel über sowjetische Plattenbau-Serien aus der Feder von Philipp Meusel – einem Fachmann auf diesem Gebiet – sondern auch herausragende Beispiele für Wohntürme der jüngsten Vergangenheit.

Über 550 Bauten werden in dem Buch vorgestellt (Foto: DOM Publishers)

Und was würde der Autor als Geheimtipp empfehlen, wenn man sich auf Entdeckungstour begeben möchte? „Zum Beispiel Chodynskoje Polje, der ehemalige Stadtflughafen. Das ist ein Ort, wo man normaler­weise kaum hinfährt, der aber viel über Moskau sagt“, so Peter Knoch. „Die Situation gibt es ja in vielen Großstädten, dass der alte Flughafen geschlossen wird, das kann man gut vergleichen.“ Während in Berlin erst einmal nichts geschehe, habe man hier recht schnell einen Masterplan für Wohnbebauung samt Park und Einkaufszentren geschaffen und umgesetzt.

Wer mehr solche Entdeckungen machen will, der ist mit dem Buch, bestens ausgestattet. Auch Zuhausegebliebene kommen auf ihre Kosten, denn die Fotos sind zwar – wie für einen Führer üblich – meist kleinformatig, aber von hoher Qualität und oft aus beeindruckenden Perspektiven aufgenommen.

Jiří Hönes

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