Ausblicke mit Nervenkitzel

Über Moskaus Dächer spazieren und fantastische Ausblicke genießen – das geht bei einer Tour mit Andrej. Am Rande der Legalität führt er seine Gäste über Leitern und durch Dachluken zu Aussichtspunkten, die einem normalerweise verborgen bleiben.

Moskau Dächer: Ungewohnte Ausblicke
Eine Aussicht, wie man sie bei einer üblichen Stadtführung nicht bekommt (Foto: Jiří Hönes)

Wir sind im Treppenhaus eines Wohnblocks in der Moskauer Innenstadt. Im neunten Obergeschoss zieht Andrej einen Bund elek­tronischer und herkömmlicher Schlüssel aus der Tasche. Schnell einen ausgewählt und die Gittertür zum Dachgeschoss ist geöffnet. Wir müssen noch eine Metallleiter hinaufklettern und durch die Dachluke kriechen, dann eröffnet sich ein fantastischer Blick. Die Moskwa, der Kiewer Bahnhof von oben, dahinter thronen die Türme von Moskau City.

Auf dem Dach selbst verlaufen wild verlegte Kabel zu Antennen und Satellitenschüsseln, es gibt kein Geländer, nur eine kleine Mauer am Rand des Dachs. Einmal müssen wir ein wenig klettern. Wir begeben uns auf die andere Seite, wo man in Richtung Zentrum blickt. „Moskau hat nur wenige sehr hohe Gebäude, deshalb sieht man schon von einem solchen Haus hier sehr weit“, sagt Andrej. In der Tat, vieles liegt schon unter uns, Häuser aus den unterschiedlichsten Epochen, Wohnblocks aus Breschnews Zeiten, nagelneue Paläste im orientalischen Stil. Dazwischen versteckt sich gar ein Holzhäuschen, das kurz nach dem Brand von 1812 entstand, als Napoleon die Stadt belagerte.

Eine rechtliche Grauzone

Schon seit acht Jahren führt Andrej Touristen und Einhei­mische auf die Dächer Moskaus. Ganz unbekannte Blicke eröffnen sich dabei. „Es gibt zwar hohe Aussichtspunkte wie den Ostankino-Fernsehturm oder das Hochhaus Federazija, doch kaum einen öffentlich zugänglichen Ort, von dem man auch noch solche Details in der Stadt sieht wie hier“, sagt Andrej, der seinen vollen Namen lieber nicht nennen möchte. Seine Touren bewegen sich schließlich in einem legalen Graubereich. „Es gibt kein Gesetz, dass das Betreten der Dächer explizit verbietet, aber es ist eben Privateigentum“, erzählt er. Im Haus hier hat er einen Deal mit der Frau, die neben der Treppe wohnt, sie hat ihm den Schlüssel gegeben.

Bis in die späten 1990er Jahre sei es problemlos möglich gewesen, auf die Dächer zu kommen so Andrej. Doch seither seien die Zugänge wegen der Terrorgefahr verschlossen. Es sind jedoch andere Dinge, die Andrej wirklich zu schaffen machen. „Vor einigen Jahren wurde das Roofing immer beliebter“, erzählt er. „Diese ganzen YouTube-Videos von Leuten, die auf die Hochhausdächer klettern, die haben natürlich immer mehr Jugendliche dazu animiert.“ Resultat waren Partys auf den Dächern, Alkohol, Ruhestörung. „Die Anwohner waren genervt, was auch für Leute wie mich immer schwieriger wurde.“

Atemberaubender Blick auf die Moskwa

Andrej will uns noch ein anderes Dach zeigen, in der Nähe des Golden-Ring-Hotels. Wir sind im achten Obergeschoss, er bittet uns ruhig zu sein, dass der Hund in einer der Wohnungen nicht bellt. Hier hat er keinen Schlüssel, doch meist sei die Tür offen. Heute leider nicht, wir müssen umkehren.

Mit Andrej über Moskaus Dächer
Seit acht Jahren bietet Andrej seine Dachtouren an. (Foto: Jiří Hönes)

Mehr Glück haben wir auf der anderen Seite der Moskwa. In einem Haus aus Stalins Zeiten wird gerade der Dachstuhl saniert. Auf der Treppe sitzt ein Handwerker und ruht sich aus. „Können wir hoch?“ – „Aber sicher“. Im hölzernen Dachstuhl sitzen Tauben. Wir müssen uns unter Kabeln hindurchhangeln, eine wackelige kleine Holztreppe hinaufsteigen und durch ein Türchen in der Dachgaube steigen. Dann stehen wir quasi am Abgrund. Unter uns die Moskwa und die Metrobrücke, auf der anderen Seite majestätische Zuckerbäckerhäuser. Es regnet leicht und das geneigte Blechdach ist ein wenig rutschig. Das verbeulte niedrige Blechgeländer steigert noch den Nervenkitzel. Doch der Blick ist einzigartig.

Ab 1300 Rubel pro Person ist eine Tour zu haben, sie dauert etwa eineinhalb Stunden. Neben faszinierenden Ausblicken gibt es bei Andrej schier endliche Erzählungen aus der Baugeschichte Moskaus, er ist ein wandelndes Lexikon des Städtebaus. Und für etwas mehr Geld organisiert er auch ein romantisches Dinner oder ein Fotoshooting auf dem Dach. Mehr Infos unter www.hightrip.ru.

Jiří Hönes

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