
Als Leipzig im Jahr 1015 gegründet wurde, lebten auf dem Gebiet der heutigen Komi-Republik im äußersten Nordwesten von Europa nur Nomaden. Und das blieb noch etliche Jahrhunderte so, bis sich die Sowjetunion anschickte, von einem Agrar- zu einem Industriestaat zu werden und im Vorland des Ural Bodenschätze gefunden wurden. Bald standen auch jede Menge Arbeitskräfte zur Verfügung, um sie zu erschließen.
Erst wurden die „Kulaken“ hierher verbannt, dann bauten Gulag-Häftlinge eine Eisenbahnlinie bis nach Workuta hinter dem Polarkreis, wo andere Zwangsarbeiter die Kohle aus dem Tundraboden holten. In einem Jahr, am 22. August 2021, jährt sich nun die Gründung der Komi-Autonomie zum 100. Mal. 1936 wurde daraus eine Republik – heute eine der größten Regionen im europäischen Teil Russlands ist, größer als Deutschland.
Siegerentwurf per Ausschreibung ermittelt
Das 100-Jährige muss natürlich gefeiert werden. Und hier kommt unvermittelt wieder Leipzig ins Spiel. Die Komi-Regionalregierung in Syktywkar, 1000 Kilometer nordöstlich von Moskau, ermittelte bereits im vorigen Jahr per Ausschreibung ein Logo für die Feierlichkeiten. Es gingen 247 Arbeiten ein. Nach einiger Zeit stand der Sieger fest: Der sympathische Wettbewerbsbeitrag eines Autorenkollektivs spielt auf die Flora und Fauna der Komi-Republik an. Das zentrale Element ist jedoch eine stilisierte „100“, wie von leichter Hand gezeichnet.
Zumindest grafisch kann das Jubiläum also kommen. Ein Brand Book zeigt, was man mit dem Design alles machen kann und wie es also vieltausendfach unter die Leute zu bringen ist: auf Tellern und Tassen, Kugelschreibern und USB-Sticks, Brieftaschen und Kalendern. Man kennt das von anderen Anlässen.
„Unser Gewissen ist rein“
So weit, so gut. Irgendwann tauchten in den lokalen Medien allerdings erste Berichte auf, die den Verdacht nährten, das Logo sei möglicherweise nicht ganz so original wie angenommen. Leser, hieß es, hätten da ein sehr ähnliches Motiv entdeckt: die Zahl genauso schwungvoll, nur keine „100“, sondern eine „1000“. Die Rede ist vom Logo der 1000-Jahr-Feier Leipzigs vor fünf Jahren. Es sieht ganz danach aus, als habe das Komi-Kollektiv bei seinem Entwurf die Zahl einfach nur leicht gedreht und die letzte Null abgeschnitten.
Bis heute gibt es immer wieder Veröffentlichungen zu dem Thema. Im Mittelpunkt steht die Frage: Moment mal, aber das nennt man doch Abkupfern, oder? In einem Beitrag des Portals Pro Gorod aus Syktywkar zu diesem – wie die Autorin schreibt – „Skandal“ äußert sich auch eine der Autorinnen des Komi-Logos, die Architektin und Designerin Anelija Ljanzewitsch. Sie weist den Vorwurf des Plagiats zurück, spricht stattdessen davon, man habe sich vom Leipziger Logo „inspirieren“ lassen, „Anleihen“ davon genommen. Schließlich verfolge man, was sich in der Welt tue, das sei der richtige Weg. Quintessenz: „Unser Gewissen ist rein.“
„Auftraggeber sollte sich davon distanzieren“
Bei der sächsischen Agentur MinneMedia, von der das Logo für 1000 Jahre Leipzig stammt, sieht man das ganz anders. Von der MDZ mit dem Fall konfrontiert, schreibt Geschäftsführer Markus Gabriel aus Leipzig in einer E-Mail-Antwort, es handele sich um keine „Ähnlichkeit“, sondern eine „1-zu-1-Kopie“. Gegen „Inspiration“ und „Beobachtung von internationalen Tendenzen“ sei nichts einzuwenden. „Klar schaut man sich um, was schon mal gut funktionierte und was gerade angesagt ist.“ Dennoch müsse man schon „etwas Eigenes, Schöpferisches entwickeln“ und nicht „Diebstahl“ betreiben.
„Hier hat die größte gestalterische Leistung nicht ein Mensch, sondern die Google-Bildersuche geleistet. Sehr armselig.“
Gabriel weiter: „Schaden nimmt vor allem die Republik Komi. Denn wenn sie ein gestohlenes Logo verwendet, dann sendet sie damit die Botschaft in die Welt: Bei uns werden Ideen nicht erdacht, sondern geklaut, und wir als Republik unterstützen das. Der Auftraggeber sollte sich davon distanzieren und eine neue Jubiläumsmarke beauftragen oder den Zweitplatzierten bevorzugen.“
Tino Künzel