Es ist schwer zu sagen, wann diese Geschichte begann. Der Name Ljudmila Nasarewitsch (1892–1977) war lange Zeit bekannt. Die Erinnerungen der „Ärztin Ljudmila Nasarewskaja“ (so war der Name da geschrieben) nehmen fast ein Viertel des Aufsatzes „Rostow am Don“ im „Schwarzbuch“ ein. Diese Sammlung von Dokumenten und Augenzeugenberichten über die Verbrechen der Nazis an der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten der UdSSR und Polens während des Holocaust wurde in den Jahren 1944–1947 erstellt, aber erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf Russisch veröffentlicht.
Der Weg zur Anerkennung
Vielleicht sollte die Arbeit des Rostower Forschers Jewgeni Mowschowitsch, der vor 20 Jahren feststellte, dass Nasarewitsch eine jüdische Familie vor dem sicheren Tod gerettet hatte, als Ausgangspunkt dieser Geschichte dienen. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Anerkennung von Ljudmila Nasarewitsch als „rechtschaffene Person unter den Völkern der Welt“ war die Arbeit von Viktoria Chilkewitsch, der regionalen Vertreterin des Holocaust-Zentrums, die viel für den Fall Nasarewitsch getan hat.
Sie machte die ehemalige Universitätsprofessorin Swetlana Owtschinnikowa ausfindig, die 2022 in einem Seminar zum 80. Jahrestag der Erschießung von 27.000 Einwohnern von Rostow am Don in der Smijowskaja Balka über ihre Begegnung mit Nasarewitsch berichtete. Swetlana Owtschinnikowa, Mädchenname Wesjolaja, ist eine von zwei Schwestern, die dank des Engagements von Nasarewitsch während der Nazi-Besetzung von Rostow am Don gerettet wurden. Ihre Zeugenaussage, die von den Mitarbeitern des Holocaust-Zentrums aufgezeichnet wurde, trug wesentlich zur positiven Entscheidung von Yad Vashem bei.
Erinnerung bewahren
Israelische Experten prüfen die Dokumente sorgfältig, aber, wie llja Altman, Co-Vorsitzender des Holocaust-Zentrums und Professor der RGGU-Universität sagt, „suchen sie leider weder in Russland noch in einem anderen Staat nach den Gerechten“. Yad Vashem hat keine offiziellen Partner in Russland. Die Nominierung von Kandidaten und das Zusammentragen der notwendigen Dokumente ist Forschern und Organisationen zu verdanken, die die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg bewahren.
Eine dieser Organisationen ist das Holocaust-Zentrum. Und natürlich ist diese Arbeit noch lange nicht abgeschlossen. Nach Angaben des Holocaust-Zentrums stehen 256 Personen auf der russischen Liste der „Gerechten unter den Völkern“. Yad Vashem gibt nur die Daten für den 1. Januar 2022 an, zu diesem Zeitpunkt waren 217 Retter aus Russland registriert. Dies erscheint sehr bescheiden, insbesondere wenn man sie mit einer entsprechenden Zahl in der Ukraine vergleicht. Es gibt jedoch eine Erklärung dafür. Ilja Altman: „In der Ukraine lebten zehnmal mehr Juden als in Russland und ungefähr zehnmal mehr von ihnen sind dort umgekommen. Wenn man bedenkt, dass es in der Ukraine etwa 2700 „Gerechte unter den Völkern“ gibt, fällt dieser Unterschied nicht so auf.“
Der Staat sollte mitmachen
Es geht jedoch nicht nur um Relationen. In vielen europäischen Ländern erhalten „Gerechte unter den Völkern“ posthum eine staatliche Auszeichnung. In der Ukraine gibt es eine solche Auszeichnung sowie einen offiziellen Tag, den 14. Mai, an dem der Verdienste dieser Menschen gedacht wird, sagt Ilja Altman in einem Gespräch mit der MDZ. „In Russland hingegen hat kein einziger Gerechter eine staatliche Auszeichnung erhalten. Es gibt nicht nur keinen Tag der Gerechten, sondern auch keinen nationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Dies erklärt unter anderem die weniger aktive Arbeit zur Findung gerechter Menschen in der Welt“, meint der Experte.
Jede Rettungsgeschichte ist ein Teil des Puzzles, aus dem sich die Geschichte des Holocaust zusammensetzt. Ilja Altman und seine Kollegen setzen nicht nur die Suche fort, sondern versuchen auch, einem möglichst vielen Menschen von den Helden zu erzählen. Dies könnte auch helfen, Verwandte von Ljudmila Nasarewitsch zu finden.
Igor Beresin