Mehr Schauspieler, mehr Sänger und vor allem mehr Produkte, mit denen man auf dem Weltmarkt auch Geld verdienen kann. Ende September legte Ministerpräsident Michail Mischustin einen Entwicklungsplan vor, der die russische Kreativindustrie bis 2030 an die Weltspitze führen soll.
Angesichts der aktuellen Lage ist das ein ambitioniertes Ziel. Denn noch hinkt Russland hinterher, meinen zumindest die Autoren des Digest „Entwicklung der Kreativindustrien in Russland“, den die Moskauer Higher School of Economics im vergangenen August veröffentlichte.
Gut 4,9 Millionen Russen (6,8 Prozent der Arbeitnehmer) verdienten ihren Lebensunterhalt im Jahr 2019 in der Kreativindustrie und erzielten dabei eine Bruttowertschöpfung von 104,6 Milliarden US-Dollar (2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Im internationalen Vergleich liegt man damit aber nur im unteren Mittelfeld. Denn in den meisten Ländern macht die Kreativindustrie drei Prozent des BIP aus, beim Spitzentrio Italien, Großbritannien und Australien sogar gut das Doppelte. Genau dort sieht Mischustin Russland in den kommenden Jahren. Er strebt einen Anteil von sechs Prozent des BIP und einen Markt an, in dem 15 Prozent der Arbeitnehmer tätig sind.
Mehr Import als Export
Wie steinig der Weg bis dahin sein kann, verdeutlichen andere Zahlen. Denn momentan ist die russische Kreativwirtschaft volkswirtschaftlich ein Minusgeschäft. Im Vorpandemiejahr 2019 wurden bei einem Import im Wert von 16,1 Milliarden US-Doller lediglich Produkte für 8,9 Milliarden US-Dollar ausgeführt. Michael Gerschman, Direktor des Zentrums für wissenschaftstechnische, innovative und Informationspolitik am Institut für statistische Forschungen und Wissensökonomie der HSE und einer der Autoren des Digest, weist darauf hin, dass Russland hauptsächlich günstige Waren wie Bücher, Zeitungspapier, Möbel und Tapeten exportiert. Und das vornehmlich ins nahe Ausland. Hier, so Gerschman, gibt es viel Entwicklungspotenzial.
Welche Maßnahmen Mischustin neben Steuererleichterungen und Gelder per Gießkanne ergreifen will, ist noch nicht bekannt. Experten weisen aber bereits darauf hin, dass man zunächst einmal den Begriff der Kreativwirtschaft klären müsse. Denn noch immer verstehen die meisten darunter ausschließlich Film, Theater und Musik und damit Sphären, die unter staatlichem Einfluss stehen.
Sowjetisches Erbe wird gerade abgelegt
In Russland begreife man die Kreativwirtschaft immer noch als Arbeit, die die Menschen nicht unbedingt brauchen. Das sei ein sowjetisches Erbe, dass die Gesellschaft gerade erst abstreife, sagt Polina Moltschanowa, Design-Direktorin des Medienunternehmens RBK, im Gespräch mit der MDZ. Moltschanowa ist seit zehn Jahren in der Branche tätig und hat in Werbe- und Designfirmen gearbeitet. Und hat in dieser Zeit einen Markt erlebt, der in erster Linie stagniert. Sicher könne man als Designer in Russland noch etwas erreichen und auch sich selbst verwirklichen, sagt sie. Schließlich leben wir in einer kapitalistischen Welt, in der Werbung und Design die Nachfrage nach einem Produkt bestimmen oder gar erst erschaffen.
Dass russische Designer aber auch international eine Rolle spielen könnten, glaubt Moltschanowa nicht. Dafür gebe es in den anderen Ländern viel zu gut ausgebildete Menschen. Wirklich wachsen könne die russische Kreativindustrie eher im Computerbereich. Russische IT-ler genießen bereits einen guten Ruf in der Welt. Und russisches Webdesign hat in den vergangenen Jahren stark aufgeholt und ist in vielen Bereichen sogar besser, als die Produkte aus den USA oder Europa, ist Moltschanowa überzeugt. Eine rasante Entwicklung und anziehende Nachfrage nach russischen Produkten beobachtet sie auch beim Gamedesign. Allgemein könne sich die russische Kreativindustrie in relativ jungen Bereichen viel besser entwickeln und auch international erfolgreich sein. Auch weil hier die Konkurrenz nicht so groß ist, glaubt Moltschanowa.
Einstellung muss sich ändern
Für einen Erfolg müssen aber die Menschen begreifen, dass die Kreativwirtschaft eine ernste Angelegenheit ist. Moltschanowa unterrichtet selbst junge Menschen und Berufseinsteiger und erlebt, dass in den Köpfen immer noch ein falsches Bild vorherrscht. Viele Russen verstehen nicht, dass es weniger um künstlerisches Schaffen geht, als um Verhandeln und Kommunikation mit Kunden. Viele geben dann schnell wieder auf. Auch, weil die Verdienstmöglichkeiten immer noch sehr gering sind, erklärt Moltschanowa. Mischustins Plan sieht sie daher positiv. Staatliche Unterstützung könne wirklich helfen, dass die Menschen eine andere Einstellung zur Kreativindustrie bekommen und diese sich weiterentwickelt. Wenn denn die richtigen Bereiche gefördert werden.
Daniel Säwert