Frierend und ungewaschen: Deutschland mit den Augen der Russen

Die Gasknappheit ist seit Monaten eines der Hauptthemen in den deutschen Medien. Aber nicht nur dort. Auch in Russland wird ausführlich darüber berichtet. Dabei geht es vordergründig nicht um wirtschaftliche Aspekte, sondern das frierende Europa.

Und wieder ein Beweis, wie kalt es in deutschen Wohnungen ist: Eine Russin ist dem russischen Staatsfernsehen aus München zugeschaltet – in Daunenjacke und Kapuze mit Kunstfellbesatz. Der Boiler (!), sagt sie, habe es noch nicht geschafft, für eine normale Raumtemperatur zu sorgen. Gezeigt wird das Gespräch am 14. Oktober in der Sendung „AntiFake“ im „Ersten Kanal“. Dort werden täglich gleich nach dem Frühstück „Falschmeldungen“ entlarvt. In einer Ankündigung heißt es, den Zuschauer erwarte „schockierende Wahrheit gegen unverschämte Lüge“. (Foto: Screenshot der Aufzeichnung von „AntiFake“ auf 1tv.ru)

Bereits vor Monaten hat ein angeblich aus Deutschland stammendes Plakat die Runde in den russischen sozialen Medien gemacht. Darauf war ein Junge mit einer ukrainischen Fahne zu sehen, dazu die Aufschrift: „Wascht nur diese vier Bereiche, wenn ihr Putin ärgern wollt: Leiste, Achseln, Füße und Po-Falte.“ So könnte „Wasser für die Freiheit“ gespart werden. Sogar der russische Präsident Wladimir Putin äußerte sich Mitte Juli bei einem Forum in Moskau dazu. „Vorgestern wurde mir ein Bild gezeigt, das man in den Medien in Europa verbreitet. Was ist denn das? Sind die alle verrückt geworden?“

In Wahrheit handelte es sich bei dem Plakat allerdings nicht etwa um institutionelle soziale Werbung, sondern um das Werk eines Nutzers sozialer Netzwerke. Doch dass die Europäer arm dran sind und auf die komischsten Einfälle kommen, um ihre Energiekrise zu meistern, passte ins Bild.

Auf diesen Post reagierte sogar Präsident Putin.

„From Russia with Love“

Dass die Europäer allen Grund haben, die Russen zu beneiden, griffen anschließend auch russische Nutzer auf. So startete ein Twitch-Nutzer aus Rostow am Don einen Video-Stream: Gezeigt wurde nichts weiter als ein eingeschalteter Gasherd. Die Überschrift dazu lautete offenbar in Anspielung auf die Kosten: „1,44 Euro/Monat“ und „From Russia with Love“. Im Hintergrund waren russische Lieder zu hören.

Einen Tag später legte ein anderer Nutzer nach, nur war der Schauplatz diesmal nicht die Küche, sondern das Badezimmer. Er ließ heißes Wasser laufen und die Zuschauer daran teilhaben, wie er „die Entchen und die Katze badet“. Der Slogan „Aus Moskau mit Liebe“ durfte auch hier nicht fehlen. Beide Streams gingen schnell viral.

Dass der kommende Winter hart für Deutschland werden kann, ist keine neue Erkenntnis. Die Verknappung der Gaslieferungen hat die Preise nach oben getrieben. In den russischen Medien ist das ein Dauerthema. Die mit dem Staatssender RT nahestehenden Telegram-Kanäle posten oft Witze über das frierende Deutschland. Im Fernsehen laufen große Reportagen. Damit soll das Narrativ unter die Leute gebracht werden, dass die Sanktionen gegen Russland nur Deutschland schaden. Und das scheint Wirkung zu hinterlassen.

„Schrecklich, einfach schrecklich“

In vielen Regionen Russlands ist das Fernsehen die Hauptinformationsquelle. Die wenigsten Russen haben direkte Kontakte nach Deutschland, zu Freunden oder Verwandten, von denen sie etwas aus erster Hand erfahren könnten. Asja (41) kommt ursprünglich aus Moldawien, lebt aber seit 20 Jahren in Russland. „Ist es wahr, dass ihr euch da seltener wascht?“, fragt sie. Eine Bekannte einer Bekannten sei deshalb aus Europa nach Russland zurückgekehrt. Hier fühle sie sich sicherer.

Asja hat noch zu Beginn des Sommers ihre Arbeitsstelle bei einem internationalen Unternehmen verloren, weil die Firma das Land verlassen hat. Aber davon redet sie nicht.

Tamara (79) ist Rentnerin. Sie ist aktiv, nimmt an allen Sportveranstaltungen für Rentner teil, aber das Internet benutzt sie kaum. Als sie hört, dass die MDZ-Autorin zuletzt ein Jahr in Deutschland verbracht hat und gerade erst nach Moskau zurückgekehrt ist, will sie als Erstes wissen: „Musstet ihr da frieren? Ich habe gestern eine Reportage aus Deutschland gesehen – es ist schrecklich, einfach schrecklich. Ein Glück, dass du jetzt in Moskau bist.“

Seit Jahren berichten die staatlichen Kanäle, wie schlecht es um Europa steht. Zuerst waren die Migranten das Übel, dann LGBTQ+, nun ist es das fehlende russische Gas. Mitunter nehmen solche Berichte mehr Raum ein als Inlandsthemen. Bei den Zuschauern kommt die Message an: So schlimm, wie es anderswo ist, kann es zu Hause gar nicht sein.

Alexandra Konkina

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