
des Verlags „Prosweschenije“ (Aufklärung) Nadeschda Kolesnikowa (v.l.n.r.) (Foto: Wassili Kusmitschonok/AGN Moskwa)
„Die Ideen an sich sind richtig. Es ist gut für ein Kind, eine Lebensstrategie für die Gründung einer Familie zu haben und zu wissen, dass die Familie der Rückhalt und die Unterstützung ist. Aber es kann nicht massenhaft eingesetzt werden. Ich glaube, dass es für Kinder aus unvollständigen Familien, in denen die Eltern geschieden sind, retraumatisierend sein wird.“
„Wie werden die verwaisten Kinder darauf reagieren, wie viele Fragen werden sie haben?“
„Das Lehrbuch ist für alle. Glauben Sie also, dass es für alle geeignet ist? Ich glaube, das ist nicht der Fall. Und die Kinder, die bereits eine vollständige Familie haben und die nötige Unterstützung erhalten, werden dieses Lehrbuch nicht brauchen.“
Dies sind einige der Kommentare der ersten Leser des Lehrbuchs „Familienkunde. Meine Familie“ für die Klassen von 5 bis 7. Nina Ostanina, die Mitautorin und Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Familienschutz, Vaterschaft, Mutterschaft und Kindheit, stellte eine digitalisierte Version des Lehrbuchs auf Telegram. Das war vor allem auf das große öffentliche Interesse an dem Buch zurückzuführen.
Seit diesem Schuljahr ist das Fach Familienkunde Teil des Zusatzprogramms in der Schule. Es handelt sich um einen Teil des Fachgebiets „Gespräche über Wichtiges“. Dabei sollen 34 Unterrichtsstunden dem Thema „Familie“ gewidmet werden. Derzeit bieten Schulen in 42 der 89 Regionen Russlands dieses Fach an.
Worum geht es?
Bis März 2025 gab es kein modernes Lehrbuch, auf das sich ein Lehrer bei der Durchführung eines solchen Unterrichts stützen konnte. Jeder Fachlehrer kann solche Kurse unterrichten. Das Handbuch umfasst fünf Abschnitte, die von der Familiengeschichte, dem Wert der Beziehung der Enkelkinder zu den Großeltern, der Haushaltsführung und der Schaffung eines günstigen Familienklimas handeln. Weitere Themen sind die Vermeidung von Konflikten in der Familie, die Förderung der Familienzusammenführung, die gesunde Lebensweise, die Ehe, die staatliche Unterstützung für Familien mit Kindern sowie die Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern.
Das Lehrbuch ist illustriert, es finden sich Comics darin, und am Ende jedes Abschnitts gibt es einen QR-Code, mit dem zusätzliche Materialien aufgerufen werden können.
Kein Domostroi
Viele Medien haben dieses Handbuch mit Domostroi (einer Sammlung von Regeln zu verschiedenen Aspekten des menschlichen Lebens aus dem 16. Jahrhundert) verglichen. Aber es gibt nur ein Zitat aus diesem Buch, das besagt, dass eine Frau ihrem Mann in allem gehorchen muss. Es wird zitiert, um die patriarchalische Familienstruktur der Vergangenheit zu veranschaulichen. „Die patriarchalische Familie hat ihre Stellung aufgegeben, an ihre Stelle ist die sogenannte partnerschaftliche Familie getreten, in der die Gleichheit der Ehegatten, die durch gegenseitige Sympathie und gemeinsame Verantwortung für die Erziehung der Kinder verbunden sind, vorherrscht“, schreiben die Autorinnen des Lehrbuchs.
Im Allgemeinen handelt es sich um ein klassisches Lehrbuch, das traditionelle Werte fördert, und daran ist nichts auszusetzen. Ja, in dem Lehrbuch steht, dass die Ehe nur eine Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau ist (aber etwas anderes ist in der modernen russischen Agenda auch nicht vorstellbar). Es sagt den Schülern auch, dass wir uns um die Großeltern kümmern sollen, dass wir mit ihnen mehr über die Vergangenheit der Familie sprechen sollen, um unsere Wurzeln zu kennen. Aus dem Lehrbuch kann man lernen, wie man einen Stammbaum „anlegt“, was angesichts des großen Interesses der Russen an der Ahnenforschung nützlich ist.
Verärgerte Kritiker
Die Kritik in den sozialen Medien, dass das Lehrbuch die vollständige Familie „fördert“ und Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen, traumatisieren könnte, ist nicht vollkommen berechtigt. Im Abschnitt über Eltern heißt es, dass es Familien gibt, in denen es beispielsweise nur eine Mutter und eine Großmutter gibt, und dass auch eine solche „Kombination“ eine Familie ist.
Die Mitverfasserin des Lehrbuchs, die Psychologin Xenija Mossunowa, wurde auch unter die Lupe genommen. Der Priester und orthodoxe Blogger Pawel Ostrowski wies auf Mossunowas Fachgebiet hin: Sie ist die Autorin des Buches „Der Ruf der Sippe“ über den Einfluss der Vorfahren auf unser Schicksal. „Falls es jemand nicht weiß: Sippenkunde ist eine Pseudowissenschaft der esoterischen Richtung, was man leicht überprüfen kann, wenn man zum Beispiel Xenijas Geschichte in ihrem Buch liest, wie sie Menschen berät“, schrieb Ostrowski in den sozialen Medien. Im Lehrwerk sind aber keine Spuren von Esoterik zu erkennen.
Die Abgeordnete Nina Ostanina setzte sich für ihre Mitautorin ein und warf Pawel Ostrowski vor, sich nicht ausreichend an traditionelle Werte zu halten. Sie fügte Screenshots aus seinen sozialen Netzwerken bei, auf denen er Fragen von Anhängern auf ironische Weise beantwortete. Konflikt ist Konflikt, aber Ostanina versprach, dass die Arbeit an dem Lehrbuch fortgesetzt wird. Inzwischen gibt es ein Lehrbuch für die Klassen 5 bis 7 und für die Klassen 8 bis 9 zu kaufen. Und sie sind immer noch nicht verpflichtend für die Schulen.
Ljubawa Winokurowa