Über Donald Trump ist in den letzten Wochen unendlich viel geschrieben worden. In einer Kakophonie aus apokalyptischen Befürchtungen auf der einen und überzogenen Hoffnungen auf der anderen Seite, droht das eigentlich Revolutionäre an seiner Wahl unterzugehen. Trump ist der erste Präsident einer neuen Epoche.
Der Milliardär kam ins Amt, weil seine hochprofessionelle Mannschaft soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter so perfekt wie nie zuvor nutzte. Dem Kandidaten und seinem Team gelang es, das in den vergangenen Jahren stetig gewachsene Unbehagen über Globalisierung und die Washingtoner Machtelite in 140-Buchstaben Tweets zu kanalisieren. Für alle sichtbar, aber nur wenig thematisiert, ist Trumps Sieg deshalb Ausdruck einer Zeitenwende und Krise. Ihr Kern liegt im Aufeinanderprallen moderner Kommunikationsmittel mit den Institutionen der repräsentativen Demokratie wie sie im 19. und 20. Jahrhundert gewachsen sind. Damals wurde das allgemeine Wahlrecht erkämpft, nach dem Bürger unabhängig von sozialem Stand, Hautfarbe und Geschlecht ihre Stimme an ihre Vertreter delegieren.
MAKE AMERICA GREAT AGAIN!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) February 4, 2017
Nun aber kann ein spontaner oder gut überlegter Tweet des amerikanischen Präsidenten eine außenpolitische Krise auslösen, so als hätte er sich nach langer öffentlicher Debatte und sorgfältigem Abwägen im Nationalen Sicherheitsrat entschieden, einen Flugzeugträger-Verband in ein Spannungsgebiet zu entsenden. Ein Tweet kann den Börsenkurs eines Unternehmens minutenschnell abstürzen lassen, mehr als ein neues, von Abgeordneten über Monate vorbereitetes Gesetz. Ich habe nie viel von marxistischen Ideen gehalten. Dass neue Formen des Wirtschaftens aber neue Regierungsformen und Gesellschaftssysteme hervorbringen, liegt auf der Hand: Agrargesellschaften haben den Feudalismus geboren, an dessen Spitze Monarchen standen, die industrielle Revolution den Kapitalismus und Kommunismus. Auch die digitale Revolution und die mit ihr einhergehenden Informationstechnologien werden die Art verändern, wie wir zusammenleben und wie wir künftig regiert werden – und regiert werden wollen. Dass darüber so gut wie keine Debatte geführt wird, ist ein Versagen nicht nur der Politik, sondern der intellektuellen Eliten insgesamt.
Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Sie ist unbequem, weil sie den kritischen Blick auf uns selbst verlangt. Es ist deshalb ebenso absurd wie gefährlich, wenn gelegentlich so getan wird, als sei an allem Übel der russische Präsident schuld. Wladimir Putin soll hinter dem Brexit stecken, Trump an die Macht gebracht und in „Europa ein Bündnis ihm gewogener Parteien aufgebaut haben“, wie es jüngst in einem führenden deutschen Medium hieß.
Soviel Macht und Einfluss hat auch Putin nicht. Das Aufkommen nationalistischer Parteien und der drohende Zerfall der Europäischen Union sind hausgemacht. Wer alles auf ein Feindbild abschiebt, verschleiert den eigenen Anteil an der Krise und schreckt davor zurück, selbst Verantwortung zu übernehmen. Die Zeitenwende, an deren Beginn wir stehen, verleitet zur Schwarz-Weiß-Malerei, verträgt sie aber nicht. Es geht darum, Platon und Aristoteles, Jean-Jacques Rousseau, Charles Montesquieu und John Locke, die Urväter und Väter der Demokratie, ins 21. Jahrhundert zu bringen. Es geht darum, dem Populismus eines Präsidenten oder Herrscher wirkliche Volksbeteiligung entgegenzusetzen. Es geht um eine Modernisierung der Demokratie, wie wir sie bisher kannten. Wenn die Dinge gut bleiben sollen, dürfen sie nicht so bleiben wie sie sind.