Dietrich Brauer: Karriere im Namen des Herrn

Moskau ist ein Magnet für Menschen aller Couleur, mit ungewöhnlichen Talenten, mit erstaunlicher Schaffenskraft. Die MDZ stellt sie vor - diesmal Dietrich Brauer, Oberhirte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland.

Brauer

Erzbischof Dietrich Brauer /Foto: Privat

Dietrich Brauer war jüngst in argem Stress. Aber im sowohl beruflich wie persönlich höchst positiven. Einmal wegen Martin Luther. Der hatte just vor 500 Jahren mit seinen Thesen eine religiöse Weltbewegung gestiftet. Eine Feierlichkeit jagte die andere. Außerdem hatte Brauer Ende Oktober Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Gotteshaus zu Gast. Der freudige Grund: die Rückübereignung der Kathedrale St. Peter und Paul mitten in Moskau.

Schon vor weit über hundert Jahren errichtet, war 1938 mit der religiösen Nutzung Schluss. Der letzte Pfarrer wurde zusammen mit dem gesamten Kirchenvorstand erschossen. Aus dem geweihten Bauwerk machten die Sowjets erst einen Konzertsaal. Dann richteten sie in aller Gefühlskälte das Kino „Arktika“ ein, letztlich ein Filmstudio. Und 1957 trugen sie sogar die Turmspitze ab. Erst 2008 wurde dem Gotteshaus, frisch renoviert, seine eigentliche Bestimmung wieder staatlich zuerkannt.

Mit deutschen und russischen Wurzeln

Brauer ist ein himmlisch Berufener mit irdischer Steilkarriere. Er ist der erste Geistliche mit deutschen und russischen Wurzeln, der Erzbischof der ELKER wurde, der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland. Aber er ist genauso für den Riesenrest des Landes zuständig. Und das bereits seit dem Frühjahr 2014. Da war er gerademal 32.

Auf die Anrede mit seinem bislang höchsten Rang legt er Wert. Aber nicht aus Eitelkeit. Da pocht er zum einen auf die Tradition des Titels und noch vielmehr auf die damit verbundene Verantwortung. Die Position versprach dem so jugendlich wirkenden Oberhirten auch den entsprechenden Auftritt bei den langwierigen Verhandlungen über die Rückgabe der Stammkirche. Da musste er sich sozusagen von Pontius zu Pilatus bis in die russische Regierungsspitze vorarbeiten, um über den Segen für das ehrgeizige Vorhaben zu verhandeln.

Nationalität? „Lutherisch!“

Brauer wurde in eine Familie mit deutschen und russischen Wurzeln hineingeboren. Der ostpreußischer Uropa war als Glasbläser ins Russische Reich ausgewandert und der Vater bei der Geburt des Sohnes 1983 als Ingenieur in Wladiwostok eingesetzt. Seine Mutter, ebenso mit teils deutschen Vorfahren, war Musiklehrerin. Als Brauer anderthalb Jahre alt war, ging es nach Moskau.

Zuhause wurde auch Deutsch gesprochen, bei ihm ist jedenfalls kaum ein Akzent herauszuhören. Wird er heute nach seinem eigenen Nationalitätsempfinden gefragt, dann sagt er so selbstbewusst wie fröhlich: „Lutherisch.“ Die Ursprünge seiner religiösen Zuwendung liegen in seiner Jugend.

Von Kaliningrad bis Wladiwostok

Nach dem Zerfall der UdSSR waren immer wieder Leute mit deutsch-russischer Vergangenheit bei seinen Eltern zu Gast, die auf ihre Dokumente für die Ausreise gen Westen warteten. In zahllosen Gesprächen mit ihnen spürte er, dass nur der unerschütterliche christliche Glaube sie durch so viele Jahre der Ausgrenzung, Verfolgung, Deportation und Not getragen hatte. Dann kam ihm durch Zufall die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach auf Schallplatte zu Gehör. Musik und Texte, in die er sich immer mehr vertiefte, trafen ihn gleichsam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

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Erzbischof mit Anhang: Frau Tatjana und die beiden Kinder Artur und Anna /Foto: Privat

Heute umfasst sein Sprengel ganze 300 Gemeinden mit an die 40 000 Mitgliedern. Von Kaliningrad bis nach Wladiwostok, vom hohen Norden bis in den tiefen Süden. Dabei unterstützen ihn 50 Pfarrer und eine Heerschar von ehrenamtlichen Helfern. Trotzdem halten ihn seine geistlichen und weltlichen amtlichen Pflichten mindestens die Hälfte seiner Dienstzeit auf Achse.

Brauer geht es auch um die Anerkennung seiner Kirche

Natürlich stehen die Gottesdienste im Mittelpunkt. Nicht gerade hochaufgeschossen, geht, steht und sitzt er dabei kerzengerade. Immer wirkt er hochkonzentriert und hochkontrolliert, ernst, aber freundlich, eindringlich ohne Frömmelei. Gebete und liturgische Teile werden in Deutsch und Russisch gesprochen, die Predigt nur auf Russisch.

Beim Singen übertönt sein satter Bariton fast die Gemeinde. Dabei hat er seine Stimme nie professionell ausbilden lassen. Zum Abschluss wird jedes Mal das Abendmahl gefeiert, allen Besuchern persönlich die Hand gereicht, im Vorraum gibt es Kaffee und Kuchen. Dem Erzbischof geht es schlicht darum, die wieder auferstandene Gemeinde zu stabilisieren, Menschen zusammenzuführen und ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu geben. Und auch um die hiesige gesellschaftliche Anerkennung seiner Kirche.

Vielleicht sogar mit Schule

In der Kathedrale St. Peter und Paul haben rund tausend Menschen Platz, an die hundert sind regelmäßig dabei. Immerhin – bei einer eingeschriebenen Mitgliederzahl von etwa 500 Gläubigen. Für den jungen Erzbischof ist der Kirchenraum auch ein kulturelles Zentrum. Bei den zahlreichen Musikdarbietungen verschiedener Genres ist oft fast jeder Platz besetzt. Irgendwann sollen auch Kinder noch mehr einbezogen werden.

Seine beiden, der neunjährige Artur und die fünfjährige Anna, bilden sozusagen die Keimzelle. Sogar an eine Schule denkt er, so wie es früher einmal war. Denn auf dem Gelände gibt es noch Häuser, die mal zur Kirche gehörten, aber immer noch staatlich genutzt werden – von den Geheimdiensten FSO und FSB.

Einfach so Steuereinnahmen gibt es nicht

In seine Frau Tatjana hat er sich während der theologischen Ausbildung verliebt. Sie ist ebenso Pfarrerin, widmet sich aber mehr den notwendigen administrativen Aufgaben. Dazu gehört auch das Planen und Auftreiben der nötigen Finanzmittel. Einfach so Steuereinnahmen, das gibt es hier nicht.

Gelder fließen zum Beispiel von Spendern und Partnerschaften mit Kirchen in anderen Ländern wie der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber sehr beschränkt. Den Großteil muss die Kirche selbst aufbringen. Die ehepartnerschaftliche Zusammenarbeit mit demselben Ziel erleben beide als Segen. In der Familie schöpfe er Kraft und finde Entspannung.

Klerikal-brüderlicher Dialog

Mit der katholischen, orthodoxen, jüdischen und islamischen Geistlichkeit im Lande ist Brauer im klerikal-brüderlichen Dialog: „Schließlich gibt es nur einen Jesus Christus“, sagt er. Dieser Berufene im violetten Oberteil, mit weißem Rundkragen und großem, güldenen Kreuz vor der Brust, meint es ernst, ehrlich, weckt Vertrauen. Gerade wenn er mit einem Lächeln auf den Lippen und in den Augen leise wünscht: „Mir wam“, „Friede sei mit euch“. Dabei hat das russische Wort „mir“ sinnigerweise gleich zwei Bedeutungen: Welt und Frieden. Ein frommer Wunsch, ein schöner Traum. Denn „in Russland kann man nicht viel planen“. Hier herrsche schon immer eine unberechenbare Umarmung von Leben und Tod. Da kann der Glaube doch ein Trost sein. Daher rührt wohl auch sein missionarischer Eifer. Menschen Hoffnung und Zukunft geben. So sind Seelsorger.

Frank Ebbecke

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