Die unbekannten Kämpfer: Russlanddeutsche in der Roten Armee

Sie gehören zu den weniger bekannten Seiten des Zweiten Weltkriegs – die Russlanddeutschen in der Roten Armee. Robert Klein war einer der wenigen, der die höchste Auszeichnung der UdSSR – Held der Sowjetunion – erhielt. Doch Klein war nicht allein. An seiner Seite kämpften auch Georgier, Kasachen und Ukrainer, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Trotz seiner russlanddeutschen Herkunft durfte Robert Klein in der Roten Armee gegen Hiterdeutschland kämpfen – und wurde zum Helden. (Foto: Militärhistorisches Museum Orjol)

„Der Plan zur Einnahme der Kommandantur wurde schon am Vorabend ausgearbeitet. Robert Klein, Gennadij Milentenkow und Grigorij Alexejenko hatten deutsche Uniformen an, ich eine der Polizei. Außer Robert Klein konnte niemand von uns Deutsch und wir durften nur auf seinen Befehl handeln. Wir kamen so unerwartet an den Eingang der Kommandantur, dass wir fast mit der Wache zusammenstießen. Schnell versperrte er uns mit dem Gewehr den Weg, aber Klein rief ihm irgendwas auf Deutsch zu und die Wache riss sich zusammen. Dann kamen zwei Partisanen und brachten ihn weg. Wir gingen schnell in das Büro des Kommandanten. Anscheinend erwartete er so spät keine Besucher mehr und blickte ratlos auf den ‚Major‘. 

– Hände hoch!, befahl Robert Klein. Ich rate Ihnen, sich nicht zu widersetzen … Das bringt nichts. 

Im Angesicht der Mündungen unserer Maschinengewehre erhob sich der Kommandant langsam aus seinem Stuhl und hob die Hände. Offiziere und Soldaten folgten seinem Beispiel.“ (Aus dem Roman „Partisanenpfad“ von Kasym Kajsenow) 

„Wie haben sie es nur geschafft, solche waghalsigen Operationen durchzuführen!?, fragt Marina Samarina, während sie das Buch zur Seite legt. Samarina ist Lehrerin am Lyzeum Nr. 18 im zentralrussischen Orjol und Organisatorin sowie Leiterin des Schulmuseums „Spiegel der Geschichte“. Man könnte sagen, dass Robert Klein wunderbar Deutsch sprach. War er doch Russlanddeutscher aus Kamyschin im Gouvernement Saratow. Aber wie viel Durchhaltevermögen, Mut und Selbstbeherrschung braucht man, um sich dermaßen ruhig in die Höhle des Feindes zu begeben. Kommandos so zu erteilen, dass weder die Stimme, noch die Geschichtsmuskeln zittern. Das verdient Bewunderung“. 

Wehrdienst aus Berufung

Das Leben von Robert Klein, Aufklärer einer Partisaneneinheit im Zweiten Weltkrieg, war voller Zufälle und Überraschungen. Nach der Schule erlernte Klein zunächst den Beruf des Webers, um dann das Kraftfahr-Technikum abzuschließen und in einer Maschinen-Traktoren-Station zu arbeiten. 1932 wurde er in die Armee eingezogen und in den Fernen Osten geschickt. Hatte Klein an eine militärische Laufbahn gedacht? Wohl kaum, wäre da nicht dieses eine Treffen gewesen. 

 „Als er Kursant des Schützenregiments Nr. 77 war, wurde er gerufen, um ein kaputtes Auto am Straßenrand unweit der Kaserne zu reparieren“, erklärt Wjatscheslaw Schamajew, Heimathistoriker aus Kamyschin. „Gemeinsam mit dem Fahrer haben sie das Auto schnell repariert. Ein paar Tage später kam der Kommandant auf ihn zu und fragte ihn, ob er nicht Panzeroffizier werden wolle. Und Klein sagte zu.“ Es hatte sich herausgestellt, dass er das Auto von Wassilij Blücher (Anm. d. Red.: Befehlshaber der Besonderen Fernostarmee und einer der höchstrangigen Militärs der Sowjetunion) repariert hatte. So begann die Militärkarriere des jungen Mannes. 

Nachdem er die Panzerschule in Uljanowsk an der Wolga abgeschlossen hatte, diente er im Gebiet Rostow. 1941 wurde Kleins Einheit in die Ukraine verlegt. Nach einer schweren Verwundung fand er sich anschließend hinter feindlichen Linien wieder. Der Verletzte wurde von den Einheimischen gepflegt. Wieder genesen, trat Klein als „Volksdeutscher“ eine Arbeit in der Wagenhalle des Gebietskommissariats Perejaslawl an. In dieser Zeit knüpfte er Verbindungen zu Partisanen der Tschapajew-Einheit. 

Sohn und Enkel treten in Kleins Fußstapfen

Robert Klein gründete eine richtige Panzerfahrer-Dynastie. Auch Sohn Igor und Enkel Robert beendeten die Panzerschule in Uljanowsk. Soldatendynastien sind in Russland nicht selten. Sind doch die Väter oft Vorbild. Interessanter ist der Einfluss Robert Kleins auf das Leben von Artjom Uglanow, einem Schüler aus Orjol. Nach Uglanow einen Aufsatz über Klein geschrieben hatte, änderte er schlagartig seine Lebenspläne. „Bevor ich von Klein erfuhr, interessierte ich mich für Geschichte und Journalismus. Die Biografie dieses Helden der Sowjetunion hat mein Bewusstsein verändert und ich habe mich an der Armeehochschule eingeschrieben. Ich bin jetzt in meinem letzten Jahr.“

Als Schüler war Artjom Uglanow Führer im Museum „Spiegel der Geschichte“. Begeistert erzählte er seinen Gästen Ausschnitte aus Kajsenowas „Partisanenpfad“ 

„Man hatte entschieden, den Kommandanten des Dorfes Malyj Bukrin, der bei Partisanen und Einwohnern keine Gnade kannte, an ein Volksgericht zu übergeben. Für seine Verbrechen wurde er zum Tod durch Erschießen verurteilt. 

– ‚Warum sind Sie so streng zu mir?‘, fragte der Kommandant. 

– ‚Ihre Gräuel verdienen diese Strafe!‘, antwortete Klein. 

– ‚Sie sind doch Deutscher‘, sagte der Kommandant, ‚und töten einen Deutschen‘.

– ‚Ja, ich bin Deutscher‘, fuhr ihm Robert Klein entgegen, ‚wir bestrafen Sie aber nicht dafür, dass Sie Deutscher sind, sondern Faschist und Schlächter‘.“  

Die Erinnerung bewahren

„Ja, ich habe auf den Schultern Kowpaks gesessen“ (Sydir Kowpak war ukrainischer Partisanenführer und Generalmajor der Roten Armee, Anm. d. Red.). Kleins Enkel Robert ist sichtlich stolz auf die Bekanntschaft mit dem legendären Partisanen. „Nach dem Krieg wurde mein Vater nach Orjol abkommandiert. Dort hat er den städtischen Fuhrpark wiederaufgebaut. Ob er seinen Kindern und Enkeln vom Krieg erzählt hat? Er war ein richtiger Partisan. Wenn wir etwas über den Krieg wissen wollten, hüllte er sich in Schweigen. Oder er schlug vor, Schach zu spielen. Nichts hat er gesagt. Er wollte wohl nicht vom Schrecken erzählen …“ 

Stolz zeigt der Enkel ein Foto aus dem Jahr 1945. Es zeigt vier Helden der Sowjetunion: Sydir Kowpak, Pjotr Werschigora, David Bakradse und Robert Klein. 

Nach dem Krieg blieben die Waffengefährten befreundet. Oft besuchten sie sich gegenseitig. „Bei uns zu Hause war immer der Dastarchan gedeckt“, sagt Mensulu, die Schwiegertochter von Kasym Kajsenow. „Die Waffengefährten unseres Atas (Vater, gemeint ist Kasym Kajsenow, Anm. d. Red.) kamen oft zu uns nach Alma-Ata, auch Robert. Unser Ata war ein guter und großherziger Mensch.

Er hat seine Kinder und Enkel vergöttert! Wissen Sie, all diese ehemaligen Kämpfer haben ihre Kinder und Enkel geliebt! Einmal ist der Ata mit seinem Sohn Bulat in die Ukraine zu Grigorij Alexejenko (bei den Partisanen hieß er „Saschko“) gefahren. Der hat ihn gebeten, Bulat zur Erziehung dazulassen!“

Das Andenken wird wachgehalten

Die Partisanen und Helden der Sowjetunion leben heute in der Erinnerung weiter. In Kamyschin wurde eine Bronzebüste für Robert Klein aufgestellt. Auch im Heimatmuseum hat er einen besonderen Platz. Und Wjatscheslaw Schamajew forscht weiter. 

In Orjol befindet sich an Kleins ehemaligem Wohnhaus eine Gedenktafel und das Lyzeum Nr. 18 bemüht sich darum, seinen Namen tragen zu können. Schüler wollen Klein auf dem Troizkoje-Friedhof bestatten lassen. Unterdessen organisieren Mitglieder des „Spiegels der Geschichte“ Treffen mit den Verwandten Kleins. 

Die Kinder Kasym Kajsenows haben eine Homepage für ihn eingerichtet. Mehrere kasachische Schulen tragen seinen Namen. Und im Gebiet Ostkasachstan wurde sogar ein Dorf nach ihm benannt. 

Ein Sieg, gemeinsam errungen

„Der Sieg ist ein gemeinsamer“, sagt die Erste Stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur Olga Martens, „und sie alle haben dazu beigetragen, der Deutsche Robert Klein, der Ukrainer Sydir Kowpak, der Kasache Kasym Kajsenow, der Georgier David Bakradse. Jetzt ist es an uns, die Generation der Enkel, die Erinnerung an diese Helden wachzuhalten! Wir sind die letzte Generation, die die Veteranen noch persönlich kennt. Aus erster Hand haben wir die Geschichten unserer Großväter über den Krieg, unserer Großmütter über die schwere Arbeit im Hinterland, unserer Eltern über den Hunger im Krieg und den Jahren danach gehört. Wir müssen unseren Kindern nicht nur die Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg erzählen, sondern auch dafür sorgen, dass die Geschichte nicht umgeschrieben wird und unseren unverrückbaren Blick auf den gemeinsamen Sieg weitergeben. 

Mögen sich am 9. Mai Russen, Ukrainer, Deutsche, Kasachen, Belarussen und alle anderen, deren Großväter und Urgroßväter gekämpft haben, an einem großen Tisch versammeln und die Gläser auf diejenigen erheben, die gemeinsam gekämpft haben!“ 

Jekaterina Kaier

Russlanddeutsche in der Roten Armee

Bereits kurz nach der Machtergreifung Adolf Hitlers wurden in der Sowjetunion für Russlanddeutsche Aufnahmebeschränkungen für die Rote Armee eingeführt. Trotz einer verordneten Entlassungswelle gehörten zum Zeitpunkt des deutschen Überfalls im Juni 1941 immer noch mehr als 33 000 Russlanddeutsche der Roten Armee an, die überwiegende Mehrheit davon stammte aus der Wolgadeutschen Republik. Ab September 1941 wurden die Deutschen aus ihren Einheiten entfernt und in Arbeitslager geschickt. Sie bildeten den Kern der sogenannten Arbeitsarmee, in der die Deutschen Zwangsarbeit leisten mussten. Ungeachtet der zunehmenden Repressionen gelang es einigen Deutschen, in der Roten Armee zu bleiben, teilweise durch die Änderung des Nachnamens. Auch in den zahlreichen Partisaneneinheiten waren sie aktiv. Insgesamt kämpften über 64 000 Russlanddeutsche gegen Hitlerdeutschland. Viele erhielten für ihre Leistungen Orden, 14 wurden zu „Helden der Sowjetunion“ ernannt.

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