Die Rolle der Kosaken im modernen Russland

In ihren bunten Kostümen wirken die Kosaken wie eine Folkloretruppe aus längst vergangener Zeit. Dabei erleben sie seit einigen Jahren einen Aufschwung und sollen verstärkt in den Staatsdienst eingebunden werden.

Kosaken
Die Kosaken stehen treu zum russischen Staat. Als Zeichen der Zugehörigkeit nehmen sie seit 2020 an der Siegesparade am 9. Mai auf dem Roten Platz teil. (Foto: Sergej Wedjaschkin/ AGN Moskwa)

Sie gelten als tollkühne Reiter, die in bunten Kostümen und Pelzmützen durch die Steppe reiten, um Russland gegen die Osmanen zu beschützen und in den Wäldern Sibiriens neues Land für den Zaren erobern. Die Kosaken sind ein Mythos der russischen Geschichte. Und spätestens mit Michail Scholochows Nobelpreis-Roman „Der Stille Don“ auch in der ganzen Welt bekannt.

Obwohl der Roman auch mit dem Stalinpreis 1941 die höchste zivile Auszeichnung der Sowjetunion erhielt, sah die Realität völlig anders aus. Zwar kämpften Kosakenbrigaden gegen Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg in den Reihen der Roten Armee und waren auch Teil der anschließenden Siegesparade. Doch bereits 1919 ging der sozialistische Staat derart entschlossen gegen die Kosaken vor, dass sie als soziale Gruppe aufhörten zu existieren.

Wiedergeburt mit Fragezeichen

Erst 1992 leitete der damalige Präsident Boris Jelzin per Dekret die Wiederbelebung des Kosakentums in Russland ein. Doch wie so vieles in den 1990ern war auch das neue Kosakentum sehr widersprüchlich, meint der Chefredakteur der wissenschaftlichen Geschichtszeitschrift „Sibirskij Archiv“ Wladislaw Kokoulin. Überall entstanden Organisationen mit selbsternannten Atamanen. Die zogen Menschen an, die sich als Nachfahren der Kosaken ansahen, die in der Sowjetunion verfolgt wurden. Das wollte man auch visuell zeigen und schloss sich in militärhistorischen Gesellschaften zusammen. „Die Bewegung hatte was von Reenactments, nur dass sie nicht temporär, sondern dauerhaft waren“, schlussfolgert Kokoulin.

Stanislaw Smagin, Publizist und Redakteur des Portals „Politem“, schreibt in seinem Blog, dass die Wiedergeburt des Kosakentums in der Anfangszeit „karnevalesk“ gewesen sei. Vor der Oktoberrevolution habe man sich als einzigartigen Organismus und viele Kosaken sogar als eigenständiges Volk verstanden. All das gab es nach 70 Jahren Sowjetunion nicht mehr. Dementsprechend wurde das Kosakentum im neuen Russland auf einem zerstörten Fundament aufgebaut. Was wir heute erleben, ist eher ein Postkosakentum, konstatiert Wsewolod Solotuchin, Forscher an der Higher School of Economics.

Kosaken auf Patrouille in Moskau während der Corona-Pandemie (Foto: Kirill Sykow/ AGN Moskwa)

Verhältnis zum Staat lange unklar

Der Staat hatte zumindest für lange Zeit ein recht zwiespältiges Verhältnis zu den neuen Kosaken. Smagin meint, dass man aufgrund der angenommenen Freiheitsliebe zunächst davon ausging, die Gruppen nicht vollständig unter staat­liche Kontrolle bringen zu können. In den südrussischen Steppengebieten am Don und Kuban, wo das russische Kosakentum entstand, unterstützen die Regionalregierungen die Kosaken massiv. So gab das Gebiet Krasnodar im Jahr 2020 gut 1,1 Milliarden Rubel (damals 13, 8 Millionen Euro) für Kosaken aus, mehr als für Sport und medizinische Notfallhilfe. Ob solche Summen vernünftig eingesetzt werden, ist manchmal zweifelhaft. Bei seinen Umfragen im Gebiet Rostow gab es immer wieder Stimmen, dass die Kosaken überhaupt nicht zu bemerken seien, schrieb Michail Romanow, Direktor des „Labors zur Erforschung der öffentlichen Meinung“ vor zwei Jahren in einem Beitrag für die „Wedomosti“. Solotuchin spricht sogar davon, dass sich hier Regionalfürsten eine Art persönliche Leibgarde halten.

Wer sind wir – und wenn ja, wie viele?

Längst gibt es Kosaken auch in Gebieten, in denen sie nie gelebt hatten, etwa in Moskau oder in Murmansk. Es mag zwar komisch klingen, dass in der Hauptstadt Kosakenschulen Kinder ausbilden und Patrouillen wie während der Selbstisolation Anfang 2020 für Ordnung sorgen. Diese Phänomene sind nur ein Zeichen des Grundproblems, nämlich der Frage, wer eigentlich Kosake ist.

Das moderne Kosakentum hat bis heute die Frage nicht geklärt, was es eigentlich sein möchte. Eine ethnische Gemeinschaft oder ein Stand, in dem jeder dem Staat dienen kann? Bei der Volkszählung 2002 bezeichneten sich noch 140 028 Menschen als Kosaken, 2010 waren es mit 67 573 nicht mal halb so viele. Besonders interessant: Eigentlich gelten die Kosaken nicht als eigenständiges Volk in Russland. In den genannten Volkszählungen konnte man zwar Kosake angeben, wurde aber letztendlich als Russe gezählt. Bei der Volkszählung im vergangenen Jahr bemühte sich die Regionalregierung von Rostow darum, den kosakischen Nationalismus voranzutreiben. Die knapp 1,5 Millionen Einwohner hatten die Möglichkeit, sich als orthodoxe oder Don-Kosaken zu bezeichnen. Die Ergebnisse der Volkszählung liegen noch nicht vor. Glaubt man Russlands obersten Ataman Nikolaj Doluda, sind die offiziellen Zahlen viel zu niedrig. Doluda spricht von bis zu 700 000 Menschen, die in Kosakenverbänden organisiert sind.

In der Volkskultur sind die Kosaken vor allem für ihre Tänze bekannt. (Foto: AGN Moskwa)

Starke Bindung an den Staat

Im Juli 2021 sorgte Jurij Tschaika, Bevollmächtigter des Präsidenten im Nordkaukasus für Aufregung. Er forderte, innerhalb der Nationalgarde Rosgwardija Kosaken­einheiten zu bilden. Damit könne man Vertrauen in der Bevölkerung schaffen und gleichzeitig einen Teil zur neuen Staatspolitik gegenüber den Kosaken beitragen. Die sieht vor, bis 2030 Kosaken verstärkt für den Staatsdienst zu gewinnen. Kremlsprecher Dmitri Peskow erteilte dem Plan eine Absage, schließlich seien die Kosaken bereits in staatliche Strukturen eingebunden. Auch Wladimir Trut, Professor an der Staatlichen Technischen Universität des Dons, weist gegenüber dem „Kommersant“ darauf hin, dass Tschaikas Vorschlag überholt ist. „Sie patrouillieren wie sowjetische Druschinniki, auf unentgeltlicher Basis. Oder die Kosakengemeinschaften unterzeichnen einen Vertrag mit staatlichen Strukturen, die ihnen symbolisch ein paar Tausend Rubel pro Monat zahlen“, so Trut.

Ataman Doluda nannte sogar konkrete Zahlen. 30 000 seien es „im Staats- oder anderen Dienst“, davon die Hälfte in den Sicherheitsorganen, fast 10 000 im Katastrophenschutz und 4200 im Umweltschutz. „Ich bin überzeugt, dass die Ableistung des Staatsdienstes für Kosaken zukünftig eine Beschäftigung mit Prestige sein wird und mehr Menschen daran teilnehmen. Der Wunsch, seiner Heimat zu dienen und das Vaterland zu verteidigen, liegt den Kosaken in den Genen und die Traditionen werden von Generation zu Generation weitergegeben“, freute sich Doluda im vergangenen Dezember über die Schaffung von Jobs für Kosaken. Die werden aber zunächst in den Wäldern verteilt. Mehr als 6000 offene Stellen möchte das Umweltministerium mit Kosaken besetzen.

Der Fall Ukraine

Mit Beginn der „Sonderoperation“ übernahmen die Kosaken in einigen Regionen die Organisation und Verteilung von Hilfsgütern. Die Terek-Kosaken sprachen von 90 Tonnen, die man in den Donbass gebracht habe. Aus anderen Regionen hieß es, man werde alles tun, wenn die Hilfe der Kosaken benötigt wird. In einem Video, das der Staatssender RT verbreitet hat, sind zwölf bewaffnete Don-Kosaken zu sehen. Sie sind bereit, ihr Land zu verteidigen, sagen sie in die Kamera.

In manchen Fällen hat die Staatstreue der Kosaken jedoch ihre Grenzen. So wehren sich die Orenburger Kosaken dagegen, auf der Straße für Ordnung zu sorgen. Innenpolitik sei nicht ihre Angelegenheit, erklärte Ataman Jaroslaw Manzewitsch. Auch die Aktivisten von Schijes haben die Kosaken in guter Erinnerung. Denn die erklärten, die Menschen bei ihrem Kampf gegen eine illegale Mülldeponie zu unterstützen. Bis zu 5000 sollen bereit gewesen sein.

Daniel Säwert

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