Die fehlenden Parts: Stimmen zur Abschaltung von RT-Kanälen auf Youtube

YouTube hat zwei deutschsprachige Auftritte des staatlichen russischen Auslandssenders RT (Russia Today) dauerhaft gelöscht. Im Netz sorgt das für kontroverse Reaktionen. Eine Auswahl.

Ging es hier nur um das Was oder auch um das Wer? Youtube hat bei zwei RT-Kanälen durchgegriffen. (Foto: Screenshot Youtube)

Ende September waren die Kanäle RT DE und „Der fehlende Part“ von heute auf morgen nicht mehr auffindbar. Youtube hatte sie gesperrt und entfernt. Als Grund wurde ein eklatanter Verstoß gegen die Hausordnung geltend gemacht: RT sei wegen Fehlinformationen zu Covid-19 zunächst verwarnt worden und habe eine Woche lang keine neuen Videos hochladen dürfen, stattdessen aber versucht, die Sperre zu umgehen und auf den zweiten Kanal auszuweichen.

Was genau an der Berichterstattung zu der Verwarnung geführt hatte, konkretisierte Youtube nicht. Nach Angaben von RT handelte es sich um vier Videos aus dem Zeitraum von Februar bis August 2021. Sie selbst sind nicht mehr verfügbar, können in Textform aber auf der RT-Webseite weiter abgerufen werden. Einer trägt den Titel: „,PCR-Test weist keine Infektion nach‘– Immunologe Stadler erneuert Kritik nach COVID-19-Genesung“. In dem Artikel vom 23. August werden Aussagen des prominenten (und umstrittenen) Schweizer Immunologen Beda Stadler aus der Schweizer Presse zitiert, in denen er sich kritisch mit bestimmten Corona-Maßnahmen auseinandersetzt.

Das ist bei Youtube offenbar unerwünscht. In den Community-Richtlinien lässt sich nachlesen, was bei der Google-Tochter als „medizinische Fehlinformation über Covid-19“ gilt, nämlich Inhalte, „die im Widerspruch zu medizinischen Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder lokaler Gesundheitsbehörden stehen“. Welche Inhalte das im Einzelnen sind, ist detailliert und mit Beispielen aufgelistet.

Man mag das Vorgehen fragwürdig finden, aber es ist immerhin transparent. Und im Fall von RT scheint so reagiert worden zu sein, wie es gängige Praxis ist. In den Stellungnahmen von russischer Seite klang das freilich ganz anders. RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan schrieb auf Telegram, es sei ein „wahrer Medienkrieg“ im Gange, und erklärt habe ihn „der Staat Deutschland dem Staat Russland“. Sie hoffe, dass nun die Deutsche Welle und andere deutsche Medien in Russland verboten und die Büros von ARD und ZDF geschlossen würden.

Auch das russische Außenministerium griff in einer Verlautbarung zu denkwürdigen Formulierungen. Einem „Akt beispielloser Informationsaggression“ sei RT ausgesetzt, „himmelschreienden Maßnahmen“, „mit offensichtlicher Duldung, wenn nicht auf Drängen der deutschen Seite ausgeführt“. In einen geopolitischen Zusammenhang gestellt wird die Abschaltung der deutschen Youtube-Kanäle von RT auch mit der Bemerkung, man wolle ja nicht an ein „Info-Barbarossa“ (so im russischen Originaltext) glauben. Eine auch nur potenzielle Parallele eines Streits um Freiheit und Regeln im Internet zum Plan Barbarossa, dem deutschen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion, zu ziehen – viel weiter kann man in der eigenen Rhetorik wohl nicht gehen.

Das Echo zu dem Fall fiel ansonsten gemischt aus. Nachfolgend in Auszügen einige Kommentare.

Der Fotograf und Urbanist Ilja Warlamow, einer von Russlands bekanntesten Bloggern, auf seinem Youtube-Kanal

Wer mich regelmäßig schaut, der weiß, wie ich zu Staatspropaganda, zu Margarita Simonjan und zu Russia Today stehe. Irgendwelche Sympathien wird man mir da kaum unterstellen. Aber Zensur ist nie gut und richtig. Jetzt fallen alle über Deutschland und die deutschen Medien her, die mit der Sache ganz bestimmt nichts zu tun haben. Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien nach dem Motto: Die Deutschen haben bei Google angerufen und gesagt „Sperrt doch mal Russia Today, die sind uns ein Dorn im Auge!“ Das ist albern.

Aber ich frage mich, warum Leute aus Kalifornien auf der ganzen Welt über Gut und Böse entscheiden. Ich als Zuschauer will mir mein eigenes Urteil bilden. Ich brauche niemanden, der mir Informationen vorkaut, ich kann selber kauen und ich kann Kacke von Pralinen unterscheiden. Wenn euch stinkt, dass die Leute Kacke gucken, dann produziert eben mehr Pralinen. Mir hat nicht gefallen, dass man Trump gesperrt hat, mir gefällt nicht, wenn man Nawalny und andere sperrt und ich will nicht, dass YouTube anfängt, uns zu sagen, worüber man sich auf der Plattform austauschen darf und worüber nicht. Das führt zu nichts Gutem.

Der Moskauer Medienanwalt Fjodor Krawtschenko auf Radio Swoboda (vom russischen Gesetzgeber als ausländischer Agent gelistet)

Jeder neue Nutzer, der auf Youtube einen Kanal einrichten will, erklärt sich mit den Nutzungsbedingungen einverstanden. Sie sehen vor, dass Youtube sowohl einzelne Beiträge als auch Kanäle als Ganzes wegen Verstößen gegen die Richtlinien sperren und löschen kann. Für Youtube sind solche Vollmachten notwendig, um auf der Plattform jene Atmos­phäre zu unterhalten, die Milliarden Menschen dorthin zieht. Aus meiner juristischen Sicht schränkt Youtube die Freiheit der Macher von Russia Today zur Verbreitung von Information in keiner Weise ein, weil Youtube diese kostenlose Dienstleistung gar nicht erbringt. Genauso wenig, wie jemand zu Russia Today kommen und sagen kann: „Gebt uns eine halbe Stunde und verbreitet unseren Standpunkt.“

Meinungsfreiheit bedeutet, dass der Staat die Medien bei der Verbreitung von Information nicht gängeln darf, doch es existiert keine Verpflichtung von Bürgern und Unternehmen, gegenseitig etwas zu verbreiten. Dessen ungeachtet erklärt Roskomnadsor (die russische Medienaufsichtsbehörde – d. Red.) ohne jede Handhabe schon seit mehreren Jahren regelmäßig, man habe Facebook, Youtube oder andere Internetplattformen aufgefordert, diesen oder jenen Content wieder freizuschalten. Oft sind diese Forderungen absurd. Als sich der TV-Moderator Wladimir Solowjow ärgerte, dass seine Sendungen aus den Trends von Youtube verschwunden waren, machte sich Roskomnadsor für ihn stark. Die Behörde verlangte von Youtube, die Videos nicht einfach nur zu verbreiten, sondern bevorzugt zu verbreiten, und wertete eine Nichtbevorzugung als Verletzung der Rechte Solowjows. Mit Rechten hat das selbstverständlich überhaupt nichts zu tun.

Die Sprachwissenschaftlerin und Medienpädagogin Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Berlin, auf Telepolis

Kaum ist der Jubel um das Deplatforming von KenFM verhallt, da fallen die Reaktionen auf das Abschalten des russischen Auslandssenders RT DE und des Sendeformats „Der fehlende Part“ durch Youtube ähnlich kurzsichtig aus. Ich hoffe zur Ehrenrettung der journalistischen Zunft, dass das Schweigen oder gar Bejubeln der Zensur-Maßnahme an purer Angst liegt und nicht etwa an Einfältigkeit.

Angst wäre noch am verständlichsten, denn jeder kritische Stellungnehmer setzt sich dem Verdacht der Gemeinmachung aus – natürlich nur, weil wir es verlernt haben, strukturelle Missstände unabhängig vom Gegenstand zu benennen beziehungsweise diejenigen, die ein solches Strukturproblem erkennen, nicht gleich in einen Topf zu werfen mit dem Inkriminierten. Nein, man muss kein Freund von RT sein, um die Entwicklung bedenklich zu finden. 

Tino Künzel

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