Der Mann, der die Deutschen vertritt

Die Bundesrepublik hat einen neuen Repräsentanten in Russland. Seit September ist Géza Andreas von Geyr im Amt. Der MDZ hat er die Gelegenheit zu einem exklusiven Porträt gegeben.

Angekommen in der russischen Hauptstadt: Géza Andreas von Geyr vor der Moskauer Skyline (Foto: Nikita Markov/Deutsche Botschaft Moskau)

Dieser Mann ist wer. So wie er da sitzt: im dunkelblauen Tuchjackett, in weiß-hellblau fein gestreiftem Hemd, dezent gemusterter, weinroter Krawatte. Die Beine locker-gelassen übereinander geschlagen. Entspannt-abwartend. Volles, tiefbraunes, leicht naturgewelltes Haar mit grau durchzogenen Schläfen. Ein sanftes Lächeln prägt seine Gesichtszüge bis in die Augen, es scheint von innen zu kommen, nicht übertrieben aufgesetzt. Gekonnte Gestik unterstreicht seine locker fließenden Worte. Dieser Mann ist Géza Andreas von Geyr. Ganz der Botschafter, der er ist. Der der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation.

Sein erster öffentlicher Auftritt vor beinahe drei Monaten war gleich auf sicherer Heimatbasis, beim Fassanstich auf dem diesjährigen Oktoberfest, das traditionell auf dem deutschen Botschaftsgelände Tausende Expats und Einheimische anlockt. „Passt scho“: Schließlich ist Géza Andreas von Geyr Münchner, kein reingeschmeckter, ein geborener – und bei all seiner Weltläufigkeit von offen ausgesprochener Heimatverbundenheit.

Dabei lag die ursprüngliche Heimat eines Teils seiner Vorfahren, seitens beider Elternteile, noch viel weiter südöstlicher, im Österreichisch-Ungarischen, aber auch mit Wurzeln im nördlicheren Deutschland. Familien nobler Herkunft, deren adelig privilegiertes Leben spätestens in den 1950er Jahren ein Ende fand. Géza Andreas wurde 1962 in der bayerischen Landeshauptstadt geboren. Dort wuchs er im gediegenen Stadtteil Solln in einem eher gutbürgerlichen, zwar der eigenen Traditionen bewussten, aber wenig elitär geprägten Elternhaus wohlbehütet auf, wie er sich dankbar erinnert. Obwohl Einzelkind, habe er sich nie alleine gefühlt, mit Freunden Fußball gespielt (noch heute Anhänger von TSV 1860 München), Wald und Flur durchstreift.

Aufgewachsen „zwischen Menschen ohne Scheuklappen“

Die Natur lockt ihn bis heute, alpines Skifahren ist sein Lieblingssport geblieben. Jetzt hier, in Mega-Moskau, durchstreift er, wenn immer es zeitlich geht, zu Fuß eher die Stadtstraßen, um sein neues Zuhause aus nächster Nähe zu erfahren. Doch die beiden Söhne, Maximilian hat gerade sein Studium beendet, Alexander absolviert gerade ein Auslandssemester, und die bald 15-jährige Tochter Anna, seien sein eigentlich großes Hobby, obwohl sie alle getrennt voneinander lebten, bekennt der geschiedene Vater.

Dazu kommt seine Partnerin, die versucht neben der Berliner Arbeit möglichst oft auch in Moskau an seiner Seite zu stehen. So sicht- und spürbar er seine herausragende Stellung mit Stil und Haltung verkörpert, so nahbar und offen entpuppt er sich als ganz privater Mensch. Er sei eben im katholisch-religiös geprägten Süden der Republik in einem Lebensrhythmus mit solidem Wertegerüst groß geworden: „Unter empathischen Menschen ohne Scheuklappen, die sich umeinander kümmern und sich nicht verbiegen lassen“, wie er sich selbst erklärt.

Er macht einen zurückhaltend-bescheidenen Eindruck, bei aller berechtigter Zufriedenheit ob des bislang Erreichten, ohne spürbare Eitelkeiten. Der Bayer gibt unumwunden sein Repertoire an deutsch-mentalitätsbedingten und staatsdienlichen Verhaltensweisen zu: Disziplin, Fleiß, Planung, Organisation. Diese Merkmale kommen ihm leicht über die Lippen. Die sieht er auch jetzt gerne bei seinen gut 360 Leuten, die an ihn berichten, zumindest aber bei seiner Führungsriege.

Die Arbeit als Leidenschaft

Diese beschreibt ihn tatsächlich als fordernd, zieht aber genauso gerne mit, weil er es einfach auch vorlebe: ein nie enden wollender Marathon von Visiten, Reden und Diskussionen mit lokalen politischen Institutionen, Zivilgesellschaften, bei deutschen Kultur-Einrichtungen, Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, anderen diplomatischen Missionen, Stehempfängen, Arbeits- und Gala-Essen und dann im Chefbüro des weitläufigen Botschaftsgeländes bei internen Konferenzen noch mit Bergen von schriftlicher Arbeit – die sich abends bisweilen selbst noch auf der Mittelarmlehne seiner Dienstlimousine stapelt. Schließlich sitzt er ja auch seit knapp drei Monaten der weltweit größten deutschen Gesandtschaft vor. In einem nationalen Umfeld, wie es aufgrund der seit einigen Jahren empfindlich gestörten politischen Beziehungen herausfordernder nicht sein könnte.

Das verlangt ihm ein sicheres Gespür und so einiges Geschick im tagtäglichen Umgang mit ständig wechselnden Partnern und Problemen ab. Der ebenfalls körperlich fitte Endfünfziger schafft das und scheut, wenn nötig, auch „eine klare Kante“ nicht, verspricht er. Als seine inhaltliche Richtschnur fordert er trotz gebotener diplomatisch-verbindlicher Tonlage von sich selbst stets „Klarheit und Substanz“. Irgendwann auch auf Russisch, die schwierige Sprache lernt er gerade.

Hätte er nicht den diplomatisch-politischen Weg eingeschlagen, dann wäre er wohl Journalist geworden, sinniert er. Die soliden Grundfeste dafür schuf er bereits mit seiner Studienwahl: Geschichte, Kommunikationswissenschaften, Politik. Erst immatrikulierte er sich an der LMU in München, später ging es weiter in Budapest, Wien und Washington. 1991 gelang ihm der Einstieg in den Auswärtigen Dienst. Nach drei Jahren schon Leiter der Rechts-, Konsularabteilung der deutschen Botschaft in Marokko. Seine weiteren Karrierestufen: Referent für Außenbeziehungen bei der Europäischen Kommission in Brüssel.

Ein bewegter Werdegang

Ab 2000 in gleicher Funktion in der Europa-Abteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin. In der Arbeitsgruppe Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion und tätig für Wolfgang Schäuble, damals im Vorsitz für Außen-, Verteidigungs- und Europa-Politik. 2006 dann Referatsleiter der Außen- und Sicherheitspolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt. 2010 bis 2014 Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. 2014 bis Sommer 2019 Ministerialdirektor der Abteilung Politik im Bundesverteidigungsministerium. Nach fast 20 Jahren im inneren Kreislauf der großen Politik „in tausenden Bereichen“, wie er sagt, dabei unzählige Reisen auf alle Kontinente, da sollte es dann aber doch wieder auf Dauer raus in die Welt gehen.

Von Russland und seinen Lenkern hatte er bereits dezidierte Vorstellungen nach zahlreichen Stippvisiten in Moskau. Und mit seinen tiefgreifenden Kenntnissen und Erfahrungen in der europäischen Sicherheitspolitik ist er hierzulande ja nicht gerade fehl am Platze. In welche Position und Verantwortung er auch immer hochgelobt wurde, geschah das wegen solcher unisono angehängten Prädikate wie er sei „intelligent und klug, mit praktischem Verständnis für globale Politik“.

Er fühlt sich von Haus aus christlich-demokratischen oder christlich-sozialen Prinzipien verpflichtet, schätzt zugleich das Miteinander mit Kollegen, deren Überzeugungen, auch wenn diese anders sein sollten, ebenfalls erkennbar sind. Der konservativ gepolte Freidenker beherzigt die tiefgehende Erkenntnis seines Vorgängers im Amt, Rüdiger von Fritsch, über die bilateralen, historisch gewachsenen Beziehungen zwischen beiden Ländern: „Uns verbindet mehr als uns trennt.“

Den Blick nach vorne gerichtet

So verspricht er, „den Daumen auf den Puls des Landes zu legen“, um auch gegenüber Berlin ein Bild vom heutigen Russland zu zeichnen, das „adäquat“ sei – und umgekehrt ebenso. Dabei setzt er seine Hoffnung auf die wieder erstarkende Annäherung der jüngeren Generationen – „in ihren Vorlieben und Zielen, ihrer Lebensgestaltung, ihren Sorgen und Sehnsüchten“. Der gestandene Europäer betont, dass Russland schon allein aufgrund seines „historisch wichtigen Verhältnisses“ unbedingt zu Europa gehöre. Und angesichts der großen Zukunftsfragen obendrein.

Er pflegt eine dialektfreie, hochdeutsche Sprache, hält sauber artikulierte Reden, in welchem sozialen Umfeld er auch ist, in gemessenem Tempo mit emotional geprägten Ausflügen in höchstpersönliche Erlebnisse und enthält sich weitgehend leerer Worthülsen. Ein Mann der eher leisen Töne, kaum vorstellbar, dass ihm die Stimme mal ausrutscht und durchgehen könnte – selbst wenn mal die „klare Kante“ gefragt sei. Herzenswärme, darum ginge es doch schließlich, fordert er, Kaltherzigkeit möge zwar kurzfristig und taktisch Wirkung zeigen, sei aber doch wenig nachhaltig.

Géza Andreas von Geyr. Nur auf das „von“ legt er Wert, nicht auf den vererbten Adelstitel oder positionsgegebene Ehrenbezeichnungen. Das „von“ sei schließlich integraler Bestandteil seines Familiennamens und damit auch seiner Identität. Ein Botschafter zum Anfassen, sozusagen, einfach ein empathisch-sympathischer Mitmensch.

Frank Ebbecke

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