
Die Schule Nr. 3 in Kostroma, die Schule Nr. 21 in Syktywkar und das Gymnasium Nr. 6 in Tomsk liegen einige Tausend Kilometer auseinander, aber sie verbindet viel mehr, als sie trennt. Alle drei Schulen sind nicht nur auf Deutschunterricht spezialisiert, sie nehmen auch am Kooperationsprogramm der deutschen Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) beim Auswärtigen Amt teil. Wenn die dortigen Schüler bei einer Prüfung im letzten Schuljahr die fließende Beherrschung der deutschen Sprache nach Stufe B2/C1 nachweisen, dann erwerben sie das Deutsche Sprachdiplom (DSD). Es berechtigt zur Bewerbung für ein Hochschulstudium in Deutschland.
Über Jahre und Jahrzehnte war das ein tolles Argument für die Wahl von Deutsch als Fremdsprache und für den Besuch einer DSD-Schule in Russland. Die Chance, an einer deutschen Hochschule zu studieren, wurde als attraktives Sprungbrett ins Berufsleben verstanden. Aber gilt das überhaupt noch? Im deutsch-russischen Verhältnis wird neuerdings jegliche Zusammenarbeit hinterfragt. Zum Politikum kann dabei nahezu alles werden.
Rund 80 DSD-Schulen in Russland
Auf einer vom Goethe-Institut erstellten Weltkarte von Deutsch-Partnerschulen sind mit Stand vom April dieses Jahres 1098 Schulen verzeichnet, die das Deutsche Sprachdiplom anbieten. In Russland beläuft sich die Zahl demnach auf 82. Nur 32 davon befinden sich in Moskau und St. Petersburg, die übrigen sind über das gesamte Land verteilt. Man kann sich vorstellen, was es bedeutet, so ein Netzwerk aufzubauen und mehr noch, es zu pflegen.
Die mündlichen DSD-Prüfungen werden in der Regel in Anwesenheit eines ZfA-Mitarbeiters abgelegt. Diese regionalen Koordinatoren haben ihren Sitz an den Vertretungen Deutschlands in Russland. Wie sich die angekündigte Schließung der Konsulate in Kaliningrad, Jekaterinburg und Nowosibirsk auf die Betreuung der DSD-Schulen auswirken wird – ungewiss. Die ZfA wollte über ihre Arbeit unter den aktuellen Umständen nicht mit der MDZ sprechen.
Große Aufregung in Perm
Derweil ist die Schule Nr. 12 in der Millionenstadt Perm aus dem DSD-Programm ausgestiegen. Den Anstoß dazu habe das Bildungsamt des betreffenden Stadtbezirks gegeben, hieß es nach einer Versammlung der Schulleitung, bei der auch Eltern anwesend waren. Gründe wurden nicht genannt. Der Schritt folgte jedoch auf Medienberichte, die wiederum auf Posts in einem Telegram-Kanal namens „Recken des Prikamje-Gebiets“ Bezug nahmen und sogar überregional Wellen schlugen. Der Kanal ist anonym, seine Autoren veröffentlichen unter Pseudonym. Den Inhalten nach zu urteilen, handelt es sich um lokale Mitglieder der Wagner-Gruppierung mit Kampferfahrung in der „militärischen Sonderoperation“.
Aus diesen Kreisen wurde der Schule mangelnde patriotische Gesinnung und eine „antirussische Haltung“ vorgeworfen. Sie habe es abgelehnt, die Kämpfer bei Klassenstunden vor den Kindern auftreten zu lassen. Unter Mitwirkung des Bildungsamts der Stadt wurde ein Treffen anberaumt, an dem von Seiten der Schule die stellvertretende Direktorin teilnahm. Über sie schrieb einer der Männer später in dem Telegram-Kanal, sie habe sich als „echter, heimtückischer und brutaler Feind“ herausgestellt, der „von ganzem Herzen alles hasst, was uns teuer ist“.
Auch Vertreter des Geheimdienstes FSB wurden in der Schule vorstellig. Letztlich räumte unter anderem die langjährige Direktorin Jelena Rakinzewa ihren Posten. Sie hatte sich gegen Druck von außen und politische Agitation an ihrer Schule verwahrt und dabei auch auf entsprechende russische Gesetze verwiesen.
Ungewissheit über die Zukunft
An anderen Schulen mit Deutschprofil geht die Verunsicherung um, was die nächsten Monate bringen werden. Im zu Ende gegangenen Schuljahr seien die DSD-Prüfungen mehr oder weniger wie immer abgenommen worden, erfuhr die MDZ aus Schulen in Kostroma, Syktywkar, Tomsk und Moskau. Dort macht man sich allerdings große Sorgen um die Zukunft. Genaueres scheint zum jetzigen Zeitpunkt niemand zu wissen. Man hoffe auf das Beste und dass „alles wieder wie früher“ werde, sagt eine Pädagogin. Allerdings, so eine andere, bewerbe sich in letzter Zeit kaum noch jemand an einer deutschen Hochschule.
An der Schule Nr. 3 in Kostroma haben die Schüler der obersten Klassenstufen sechs Stunden Deutsch pro Woche. Die Klassen werden dabei geteilt, damit der Unterricht intensiver ist. „Bei uns ist alles schon auf den ersten Blick eng mit der deutschen Sprache verbunden“, erzählt ein Achtklässler. Früher habe es auch einen regen Schüleraustausch mit deutschen Partnerschulen gegeben. „Wenn ich die Möglichkeit bekomme, dann besuche ich Sie gern mal in Deutschland und rede mit Ihnen Deutsch“, sagt er. Doch einstweilen ist der Schüleraustausch eingestellt.
Tino Künzel, Olga Silantjewa