Russischer Siegesmarsch in deutschen Stiefeln

Sie sind in unterschiedlichen Branchen aktiv, doch ihre deutschen Wurzeln verbinden sie. Die Mitglieder des „Business Club der Russlanddeutschen (RDBC)“ sehen Russland als ihr Zuhause – hier leben sie, hier machen sie Geschäfte. Doch sie tragen deutsche Tugenden im Herzen.

Business Club der Russlanddeutschen
Von links nach rechts: Michail Komm, Sergei Pugachev, Ewgenij Ernst, der Autor, Nelly Putilina, Danil Krasulin, Denis Matis (Foto: Privat)

Wenn am 9. Mai jeden Jahres, dem erinnerungswürdigen sowjetischen Siegestag über Nazi-Deutschland, die Stiefel der Soldaten im vom preußischen Militär entlehnten Stechschritt und unter Begleitung kerniger Marschmusik über das geheiligte Kopfsteinpflaster des Moskauer Roten Platzes knallen, dann ist das sozusagen und kurioserweise deutsches Schuhwerk aus dem rus­sischen Altai. Genauer gesagt aus der Schuhfabrik von Michail Komm.

Das Qualitätssiegel „Deutsche Wertarbeit“ hat sich der rührige Firmenbesitzer selbst zugedacht – mit einigem Recht aufgrund seiner eigenen Familiengeschichte. Der 38-Jährige ist bekennender Russlanddeutscher. Der studierte Ingenieur hatte sich ab Mitte des ersten 2000er Jahrzehnts erstmal im Souvenir- und Einbauküchengeschäft versucht, bevor er kurz entschlossen einen heruntergewirtschafteten Schuhhandwerksbetrieb übernahm. Heute fertigen 30 Mitarbeiter jährlich über 15 000 „Heavy Duty“-Spezialschuhe für Ölwerker, die Polizei und eben für die Armee.

Umtriebige junge Geschäftsleute

Michail Komm ist Mitglied des „Business Club der Russlanddeutschen (RDBC)“. Unter der Ägide des Internationalen Verbands der deutschen Kultur (IVDK) in Moskau hatte vor acht Jahren in Sotschi eine ihrer regelmäßigen russlanddeutschen Konferenzen stattgefunden. Auf diesem Treffen wurde die Idee eines „Business Clubs“, einer Art Eliteverein für russlanddeutsche Geschäftsleute, aus der Taufe gehoben und wird seither von der Dachorganisation IVDK aktiv und nachhaltig unterstützt. Unter dem selbstbewussten, zielgerichteten Oberbegriff „Avantgarde“ wurde gleichzeitig auch ein „Creative Club“ etabliert, die „Künstlervereinigung der Russlanddeutschen“, der kulturell-kreativen Kräften in der Volksgemeinschaft eine förderliche Plattform bietet.

Für die russlanddeutschen Club-Kollegen, besser persönlichen Freunde, von Schuhwerker Michail Komm, die an diesem Spätaugust-Abend in Barnaul versammelt sind, sprechen ähnlich erfolgreiche Lebensläufe. Danil Krasulin, 42, ist schon fast ein Großunternehmer, nennt einen florierenden Metallverarbeitungsbetrieb mit 470 Arbeitnehmern sein Eigen und erscheint immer voller Ideen für neue Investitionsmöglichkeiten. Sergej Pugachev, 42, dessen Großeltern nach Kasachstan deportiert worden waren und dessen „halbe Familie“ inzwischen in der Bundesrepublik lebt, wie er sagt, hat sich eine zukunfts­trächtige IT-Outsourcing-Firma und unter dem Namen „LEVEL UP“ einen Headhunting-Ableger aufgebaut.

Zuhause in Russland

Denis Matis, 42, betreibt gleich drei Unternehmen. Der Doktor der Psychologie erwirtschaftet sein Einkommen mit seinem Spieleanbieter „Lasergun“, einer Beratungs- und Trainingsfirma für Management und Marketing, und zusammen mit seiner russischen Frau einen Kindergarten. Generell den Leuten zu helfen, das sei sein nimmermüder Antrieb, erklärt er seinen Aktivismus. Club-Mitglied Ewgenij Ernst, 46, ist ein freiberuflicher, begnadeter Übersetzer vom Deutschen ins Russische – und umgekehrt – für geschäftliche und literarische Belange. Und da ist nicht zuletzt Nelly Putilina, die weit über ihren Wohn- und Arbeitssitz Barnaul hinaus im „RDBC“ ihre initiative Rolle spielt, professionell passend zum Erfolg ihres eigenen Öffentlichkeitsarbeit- und Kommunikationsunternehmens.

Die fünf Männer und die Dame treffen sich in schönster Regelmäßigkeit, oft noch mit einigen anderen Gleichgesinnten aus ihrer Gegend, und von Zeit zu Zeit auf Konferenzen und Seminaren an anderen Orten in Russland, da, wo sich auch „RDBC“-Gruppen zusammengefunden haben. Insgesamt zählt diese Vereinigung russlanddeutscher Unternehmer rund 50 Mitglieder, allein etwa 30 nennen das Gebiet in und um Bar­naul ihre Heimat – persönlich wie geschäftlich. Rund um den Tisch in einem der besseren Restaurants der Altai-Metropole sind sich diese sechs einig: „Hier kann man doch auch gut leben.“ – Und ganz offensichtlich auch ebensolche Geschäfte machen.

Man vertraut und hilft sich gegenseiteig

Das Lokal ist wohl mit Bedacht gewählt, heißt „Loft“ und ist im obersten Stockwerk eines der höheren Geschäftsbauten der Stadt angesiedelt – getreu der hohen Karrierestufen, die diese Gruppe schon erklimmen konnte. Nein, an eine Ausreise ins Deutsche, dem einstigen Herkunftsland ihrer Vorfahren, hat kaum einer von ihnen je gedacht. Hierzulande geboren, aufgewachsen und ausgebildet, mit wohl kaum ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen, erschien jedem von ihnen ein so radikaler Neustart in einem eigentlich doch fremden Land, in ein weitgehend unbekanntes Leben, Tausende von Kilometern entfernt, wenig sinnvoll.

Allerdings erfüllt sie ihre einzigartige Ahnentafel, die deutschen Wurzeln, genauso auch mit einiger Genugtuung und unverhohlenem Stolz. Sie wissen, welche ungeheuer schwierigen bis tragischen Schicksalswendungen die russlanddeutsche Gemeinschaft gerade in den letzten gut hundert Jahren hat durchleben müssen. Das hat die verbliebenen Familienverbände zusammengeschweißt, bewundernswerte Widerstandskraft und unbändigen Überlebenswillen gezeitigt.

Einer Meinung sind die sechs auch – da sind sie sich ganz sicher, dass sie so manche treudeutsche Mentalitätseigenschaften geerbt hätten, die sich bis ins tägliche Geschäftsleben als äußerst nützlich erwiesen. Da nennen sie einmütig die üblichen Verdächtigen wie Pünktlichkeit, Planungsprinzipien, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit. Bindeglieder, die ihren Russlanddeutschen Business Club nicht zuletzt zu einer geradezu verschworenen Gemeinschaft haben werden lassen: „Wir haben ein starkes Vertrauensverhältnis zueinander und helfen uns gegenseitig“, gestehen sie so freudig wie freimütig. Weiter viel Erfolg und noch mehr Spaß dabei.

Frank Ebbecke

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