Hoch die Daumenschrauben

Russland gilt nach den USA als das Land mit den meisten Einwanderern. Die russische Politik versucht hartnäckig, den Zustrom zu begrenzen. Neue Gesetze, Krise und Rubelverfall sorgten zuletzt für einen Rückgang der Migration. Jetzt kommen auch noch erste Berufsverbote in den Regionen. Was steckt dahinter?

Gastarbeiter

Hier läuft nichts ohne sie: Arbeiter, vermutlich aus Zentralasien, bauen in Jekaterinburg das Stadion für die Fußball-WM 2018 / RIA Novosti

Bei der Arbeitsmigration gibt sich Russland bewusst abweisend: Stadtverwaltungen und der Föderale Migrationsdienst FMS versuchen seit einigen Jahren, den Zuzug der bei vielen Russen unbeliebten Gastarbeiter – so lautet die in Russland gebräuchliche Bezeichnung für Migranten aus Ländern der GUS – zu beschränken. Der Gouverneur des Gebiets Nowosibirsk, Wladimir Gorodezkij, hat jetzt eine radikale Maßnahme ergriffen: Arbeitgeber in Nowosibirsk dürfen bis zum 31.  Dezember 2016 keine Migranten beschäftigen. Das Berufsverbot umfasst 16 Berufe wie Erzieher, Lehrer, Bus- und Taxifahrer, Jäger, Angler, Finanzier, Buchhalter, Manager sowie die Förderung von Bodenschätzen.

Der Beschluss gilt für Gastarbeiter, die über ein „Arbeitspatent“ verfügen, das Migranten aus visumfreien Ländern der GUS erhalten. Deutsche Expats sind von der neuen Verordnung nicht betroffen. Noch unklar ist, ob das Berufsverbot 2017 fortgesetzt wird. Die Stellvertretende Arbeitsministerin von Nowosibirsk, Nadeschda Zwetkowa, begründet diesen Schritt mit der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Man wolle russische Staatsbürger bevorzugen und den inländischen Arbeitsmarkt schützen.

Experten befürchten einen Anstieg der Schwarzarbeit. Natalja Subarewitsch, Geschäftsführerin des „Unabhängigen Instituts für Sozialpolitik“, kritisiert die Entscheidung scharf. Nach ihrer Einschätzung können es sich viele Unternehmen nicht leisten, Arbeitnehmer legal zu beschäftigen und Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen. Deshalb würden sie trotz Verordnung weiterhin auf Gastarbeiter zurückgreifen.

Bildschirmfoto 2016-09-02 um 17.41.57Olga Tjangajewa, Anwältin für Arbeitsrecht, erklärt gegenüber der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“, das Ziel der Regierung sei der Ausschluss von Migranten aus strategischen Berufszweigen wie Logistik, Administration und Medien. Die Berufsverbote beträfen auch Berufe als Führungskräfte oder Finanziers, die ohnehin kaum von Migranten ausgeführt werden.

Ähnliche Berufsverbote gibt es bereits in den Gebieten Sachalin und Omsk. Arbeitgeber dürfen Gastarbeiter aus postsowjetischen Staaten nicht im Lebensmittelverkauf und in der Lebensmittelverarbeitung einstellen. In Tscheljabinsk existiert eine Verordnung für Bus- und Taxifahrer. St. Petersburg plant Berufsverbote für Marschrutka-Fahrer und Krankenschwestern in Kindergärten. In Moskau dagegen sind keine Veränderungen bekannt.

Auf föderaler Ebene hat ein verschärftes Aufenthaltsgesetz bereits Anfang 2015 für den Rückzug von Gastarbeitern gesorgt. Spätestens der dramatische Absturz des Rubelkurses hat zahlreiche Migranten dazu gezwungen, in ihre Heimat zurückzukehren.

Diese Entwicklung spiegelt sich in zahlreichen Statistiken wider. Das Gaidar Institut für Wirtschaftspolitik, eine liberale Moskauer NGO, stellt in einer Studie fest, dass 2015 die Zahl der Ausreisen von langfristig in Russland arbeitenden Migranten im Vergleich zum Vorjahr um 13,7 Prozent auf 350 000 angestiegen sei. Bei den Einreisen habe es nur einen Anstieg um 1,3 Prozent auf etwa 600 000 Personen gegeben. Die Statistik des FMS bestätigt darüber hinaus einen deutlichen Rückgang von GUS-Ausländern in Russland insgesamt (siehe Tabelle).

Nicht alle Experten sind der Meinung, dass die neue Verordnung in Nowosibirsk eine absichtliche Berufsdiskriminierung von Ausländern zum Ziel hat. Alexey Sapozhnikov vom Moskauer Büro der Anwaltskanzlei Rödl & Partner bezeichnet die Maßnahme als „Gefahrenabwehr“. Erstens betreffe die Verordnung nur Personen, die ein Patent haben. Wer über eine normale Arbeitserlaubnis oder eine Erlaubnis für hochqualifizierte Fachkräfte (WKS) verfügt, dürfe weiterhin in Nowosibirsk arbeiten. Zweitens sei es in Berufen im Transportwesen notwendig, Einschränkungen zu machen. Die hohe Zahl von Unfällen von Personen ohne russische Fahrerlaubnis hätte gezeigt, dass man reagieren muss.

„Es ist keine Berufsdiskriminierung. In Nowosibirsk ist das Verbot in den Bereichen Rechnungswesen, Finanzen und Rechtsberatung etwas zu weit gegriffen. Das halte ich für übertrieben. Alles andere kann man unter Gefahrenabwehr summieren und als gerechtfertigt ansehen“, so Sapozhnikov. Es sei weder Willkür noch eine Besonderheit. Auch gelte das Verbot nur bis Ende 2016 und sei eine kurzfristige Maßnahme.

Sapozhnikov verweist da­rauf, dass der Lehrerberuf auch in Deutschland nur von deutschen Staatsbürgern ausgeführt werden darf. Ähnliches gilt für Taxi- und Busfahrer, die eine deutsche Fahrerlaubnis benötigen. Am 1. Juni 2017 tritt auch in Russland ein Gesetz in Kraft, wonach eine russische Fahrerlaubnis obligatorisch wird. „Die Behörden wollen Ordnung schaffen und Gefahren abwehren.“

Ob die Maßnahme in Nowosibirsk zum Abbau von Arbeitslosigkeit unter russischen Bürgern führen wird, bleibt laut Sapozhnikov abzuwarten. Um das zu beurteilen, seien die Maßnahmen zu kurzfristig.

Thorsten Gutmann

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