Bayer Leverkusen und die grenzenlose Liebe

Es waren nicht unbedingt viele Anhänger von Bayer Leverkusen, die Ende November die Reise zum Auswärtsspiel bei Lok Moskau antraten. Dafür wurden sie hier schon von einem rot-schwarzen Fanclub erwartet. Und nahmen neben drei Punkten auch sehr spezielle Eindrücke von Moskau mit nach Hause.

Budenzauber auf dem Gelände des Lok-Stadions (Foto: Lucian Bumeder)

Ein Schlagzeuger auf dem Führerhaus, Flammen aus den Schornsteinen und bedrohliches Rumpeln aus den Lautsprechern. Die Lokomotive, die vor der RSchD-Arena im Moskauer Stadtteil Tscherkisowo aufgebaut ist, wäre sicher dazu angetan, die deutschen Fans zu beeindrucken, die Ende November für das Champions-League-Spiel von Bayer Leverkusen bei Lok Moskau angereist sind. Das klappt aber nur bedingt  – vielleicht, weil sie zu analytisch denken. „Endlich hab ich verstanden, warum hier eine Lokomotive steht“, hört man jemanden lachen, nachdem er von der Geschichte des Klubs erfahren hat. Der wurde 1922 nach der kommunistischen Revolution aus Arbeitern der Sowjetischen Eisenbahn gegründet und wird auch heute von der Russischen Bahn (RSchD) gesponsert.

Mit knapp 300 Fans stellt das Gast-Team nur einen Bruchteil der beinahe 30.000 Zuschauer im Stadion. Doch für diese 300 ist die Fahrt nach Moskau etwas Besonderes im Fußballkalender.

Russland ist „wie Legoland“

Zuerst liegt das am Spielort selbst. Denn Russland ist das einzige Land in der UEFA Champions League, für das Deutsche ein Visum benötigen. Trotzdem sei Moskau das attraktivste Reiseziel unter all den Städten, in denen er mit seiner Mannschaft schon war, legt einer der mitgereisten Fans dar. „Weil es ganz anders ist als Europa“, sagt Christian über die Stadt, die in Russland als eine der europäischsten Städte des Landes gilt. „Die bunten Lichter, Zwiebeltürme, die roten Mauern – das ist wie Legoland!“ Seit seiner Kindheit, als Vereinslegende Ulf Kirsten noch spielte, ist er Leverkusen treu geblieben und auch auswärts mit dabei. Noch nie habe er sich dabei so verloren gefühlt auf einer Fußballreise. In anderen Städten dominiere ein Champions-League-Spiel das ganze Stadtbild. Aber hier wüssten die meisten nicht mal, dass heute ein Spiel ist.

Für die „Russischen Pillendreher“ war es ein Höhepunkt, dass ihre Mannschaft nach Russland kam. (Foto: Lucian Bumeder)

Doch die Fahrt nach Russland ist für die Leverkusener Fans noch aus einem anderen Grund besonders. Denn sie besuchen denjenigen Fanclub ihres Vereins, der am weitesten von Leverkusen entfernt ist. 2008 haben sich hier die „Russischen Pillendreher“ aus einem Internetforum von osteuropäischen Bayer-Fans gegründet. „Pillendreher“, ein Namensvorschlag aus Deutschland, ist ein langjähriger Spitzname der Mannschaft, angelehnt an das Pharmaunternehmen Bayer. Im neuen Fanclub war man sehr einverstanden damit, vielleicht auch, weil sich Pillendreher ins Russische als Mistkäfer übersetzen lässt, der ebenfalls eine Pille dreht. Inzwischen zählt der Fanclub knapp 50 Mitglieder aus dem gesamten postsowjetischen Raum. Eine junge Frau etwa reiste extra aus Karaganda in Kasachstan an. Mit drei Stunden Fahrt in die Hauptstadt und dem Flug nach Moskau war sie länger unterwegs als die Anhänger aus Deutschland.

Eine gewisse Unsicherheit herrscht bei den Fans wegen möglicher Gewalt. Vom Verein wurden sie explizit gewarnt, nicht mit Fanbekleidung durch die Stadt zu laufen. „Aber mehr Sorgen machen uns die da“, deutet Christian auf die blaugrau uniformierten OMON-Polizisten. Ein Schlagstock in der Kniekehle eines betrunkenen Fans oder eine harte Räumung des Blocks, das sei schon häufiger vorgekommen, berichtet er. Aber Russland überrasche ihn: „Normalerweise stehen vor der Bar immer mindestens 40 Polizisten.“ Hier scheinen die angereisten Fußballfans niemanden zu interessieren.

Nicht alle Fans konnten ausreisen

Mehr Probleme gab es in Deutschland. Am Tag der Abreise wurden etwa 20 Fans durch die Bundespolizei an der Ausreise gehindert, ihre Reisepässe bis nach dem Spiel eingezogen. Grund war ein Stadion­verbot in Deutschland, das gegen sie nach einer Massenschlägerei im April vor einem Spiel gegen Stuttgart verhängt worden war.

Die erfolgreiche Krönung der Fahrt nach Moskau kommt von der Mannschaft selbst. Mit 2:0 gewinnt sie das Spiel, sichert sich so vorläufig den dritten Platz in der Gruppe und damit die Möglichkeit, im Frühjahr zumindest in der Europa League vertreten zu sein. Die Rückkehr in die Innenstadt erfolgt entsprechend in guter Stimmung und sogar warm. Um Kontakt mit den Moskauer Fans zu vermeiden, hat Bayer Leverkusen drei Busse organisiert. Die bringen die Fans direkt zum Roten Platz. Hier, unter den Mauern des Kremls, verabschieden sich russische Fans und deutsche Fans – getrennt durch Grenzen, aber verbunden von der Liebe zum selben Verein.

Lucian Bumeder

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