Aus ideologischen Gründen: Migration aus dem Westen

Das am 1. September 2024 in Kraft getretene Präsidialdekret eröffnet neue Möglichkeiten für potenzielle Einwanderer aus westlichen Ländern. Der Migrationsexperte Timur Beslangurow erzählte der MDZ, wer in der Vergangenheit nach Russland kam, wer jetzt kommt und wen er gerne im Land sehen würde.

Migration aus dem Westen
Timur Beslangurow rechnet mit einem Zustrom von Europäern.
(Foto: Moving to Russia)

Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit dem Thema Mirgation?

Das ist seit 2003 ein Kernbereich meiner Kanzlei. Angefangen hat es mit der Betreuung von Spezialisten für westliche Unternehmen. Mit dem Start der Sonderoperation gab es einen deutlichen Rückgang an Ausländern. Viele sind gegangen. Es ist schwer zu sagen, wie viele. Wahrscheinlich zwischen 70 und 80 Prozent. Aber seit dem Ende der Pandemie haben wir eine große Anzahl von Anträgen auf Einwanderung nach Russland erhalten. Es geht um die Migration aus dem Westen aus ideologischen Gründen.

Können Sie ein Porträt dieser Antragsteller zeichnen?

Die meisten sind 40+, also Leute der alten Schule. Es gibt aber auch Ältere, bis zu 75 Jahre alt. Eine recht große Zahl von 20 bis 30 Prozent sind Familien mit vielen Kindern, die mit der Kinderpolitik in den westlichen Ländern, der Transgenderpolitik usw. nicht zufrieden sind. Unter den Antragstellern sind Menschen aus verschiedenen Berufen: IT-Spezialisten, Ingenieure, Landwirte.

Auf der Webseite Ihres Unternehmens ist der Einwanderung der Landwirte ein eigener Bereich gewidmet. Warum?

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele landwirtschaftliche Flächen einfach mit Wald zugewachsen. Aber es gibt ein staatliches Programm, um diese 13 Millionen Hektar wieder der Landwirtschaft zuzuführen. Der Staat hat dafür fast 800 Milliarden Rubel bereitgestellt. Wir werden es nicht selbst schaffen. Landwirte aus Nordamerika wollen auf diesem Land arbeiten. Sie wissen, wie man damit umgeht.

Die Leute werden Ihnen sagen: Wir haben bereits viele ausländische Bauern, vor allem Chinesen. Was ist an denen auszusetzen?

Ich habe in meinem Leben noch nie eingebürgerte Chinesen gesehen. Nirgendwo. Ich meine, sie leben in ihren eigenen Chinatowns und integrieren sich nicht in die Gesellschaft. Kanadier hingegen kommen hierher, um sich niederzulassen. Ihre Kinder werden alle Russen heiraten, und ihre Enkelkinder werden von Geburt an Russen sein. Deshalb brauchen wir auch keine chinesischen Bauern. Sie vernichten das Land, vergewaltigen es. Für Russland bringt das nichts Gutes. Das ist meine persönliche Meinung.

Kanadische Landwirte kamen hierher, und dann begannen sie zu schreiben, wie entsetzt sie waren.

Sie meinen die kanadische Familie aus Nischni Nowgorod? Nein, das haben die Medien verdreht. Ich bin der Fallmanager für diese Familie und weiß alles über sie. Sie haben einen eigenen Social-Media-Kanal. Als sie ihr Publikum dazu aufforderten, für sie zu spenden, erreichte sie noch am selben Tag eine Lawine von Überweisungen. Die Sberbank hielt das für verdächtige Aktivitäten und sperrte das Konto. Ich sagte dem Familienvater, er solle sich keine Sorgen machen, wir würden die Sperrung in 2–3 Tagen aufheben.

Aber er hörte nicht auf mich und nahm ein Video auf, das für viel Aufregung sorgte. Jeder braucht etwas Hype. Kommentatoren verwiesen auf seine Veröffentlichung – und siehe da, es geht ihm gut.

Vor einem Jahr sprach man noch von einem ganzen Dorf für US-amerikanische Migranten. Ist das kein Einzelfall mehr, sondern ein Trend?

Ende August meldete das Innenministerium, dass im Laufe des Jahres 400 Personen aus westlichen Ländern einen Antrag auf vorübergehendes Asyl gestellt haben. Und dabei handelt es sich nicht um Arbeitsmigranten, sondern um Einwanderer, die sich von ideologischen Gründen leiten lassen. Ich glaube, etwa 350 von ihnen kommen aus Deutschland. 400 sind nur diejenigen, die vorübergehend Zuflucht suchen.

Aber es gibt auch solche, die eine befristete Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Dabei handelt es sich nicht um Familienangehörige, nicht um Landsleute, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Bürger anderer Staaten entpuppten. Hier geht es um diejenigen, die niemanden und nichts in Russland haben. Mit ihnen zusammen sind es wahrscheinlich 600 Personen. Ich denke, dass wir mit der Verabschiedung des Präsidialdekrets in den nächsten ein bis zwei Jahren von Tausenden sprechen werden. Und dann steigt die Zahl, wenn in der Welt alles so bleibt wie jetzt und sich in unserem Land nichts ändert. Ich denke, es kann sich um Zehntausende von Migranten handeln.

Was ist das Wichtigste an diesem Erlass?

Die Tatsache, dass diese Kategorie über die festgelegten Quoten hinausgeht und man keinen russischen Sprachtest bestehen muss. Es wurde ein dreimonatiges Privatvisum eingeführt, obwohl es sich im Wesentlichen um ein Migrationsvisum handelt.

Dieses Visum wird per Entscheidung des Botschafters erteilt. Eine Einladung aus Russland ist nicht erforderlich, und alles läuft über das Konsulat. Früher haben US-Amerikaner und Kanadier hundertmal überlegt, ob es sich für die ganze Familie lohnt, nach Russland zu reisen und dort einen Antrag zu stellen. Ein dreimonatiges Visum reicht aus, wenn man darauf vorbereitet ist. Bei guter Planung können wir alles innerhalb von zwei Wochen einreichen. Das ist auf jeden Fall positiv, denn wenn man sich das gesamte System der Einwanderungsgesetzgebung ansieht, war es bis vor kurzem noch ziemlich unausgegoren.

Was zum Beispiel?

Hier ist ein Bürger der Ukraine. Er kann nach Russland kommen und überall im Land sofort die Staatsbürgerschaft beantragen. Aber zum Beispiel ein ethnischer Russe, der aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion in Kasachstan, in den baltischen Staaten, in derselben Ukraine war und dann von dort in den Westen ausgewandert ist und die entsprechende Staatsbürgerschaft erhalten hat, kann dies nicht tun. Warum ist es für ukrainische Bürger, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, einfacher als für ethnische Russen? Ein Präsidentenerlass aus dem Jahr 2022 ermöglicht es ukrainischen Bürgern, innerhalb von drei Monaten die russische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Ich bin nicht gegen Ukrainer, aber sie sollten Russen die gleiche Möglichkeit geben, alles genauso einfach zu machen.

Werben Sie bei potenziellen Einwanderern?

In den letzten drei Jahren haben wir einfach mit bestimmten Telegram-Kanälen in verschiedenen Ländern gearbeitet. Was Deutschland betrifft, so ist es selbstverständlich, dass der größte Strom von dort kommen wird. Sowohl Russlanddeutsche als auch Deutsche im Allgemeinen.

Was bedeutet „bestimmte Telegram-Kanäle“ im Fall von Deutschland?

Bei Telegram gibt es den Kanal „Moya Rossiya“, der etwa 14.000 Abonnenten hat. Das sind keine Russlanddeutschen, sondern unsere ehemaligen Landsleute. Die Betreiber dieses Telegram-Kanals werben auf jede erdenkliche Weise für diese Geschichte. Deshalb bieten wir dort unsere fachliche Unterstützung an.

14.000 ist keine kleine Zahl, aber Sie sprachen einmal von Millionen potenzieller Einwanderer.

Ich habe gesagt, es gibt zwei Millionen Katholiken, die an die Prophezeiung von Fatima glauben. Im frühen 20. Jahrhundert erschien die Jungfrau Maria drei Kindern in Portugal. Den Prophezeiungen zufolge wird Russland das einzige christliche Land und die einzige Hochburg des Christentums in der Welt bleiben. Im vergangenen Monat kamen übrigens Pilger aus dem portugiesischen Dorf auf den Roten Platz in Moskau. Sie waren vier Jahre lang zu Fuß unterwegs. Das sind sehr ernsthafte Menschen. Und es gibt zwei Millionen von ihnen in Amerika, viele in Frankreich. Es sind alles kinderreiche Familien, anständige, religiöse Menschen. In Amerika wächst die Zahl der orthodoxen Christen ebenfalls, es gibt etwa sechs Millionen von ihnen. Das heißt aber nicht, dass sie alle umziehen werden, aber sie sind potenzielle Migranten.

Das Gespräch führte Igor Beresin.

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