Als deutscher Professor an einer russischen Universität

Bereits zum vierten Mal fand die deutschsprachige Konferenz „Welt und Wissenschaft“ an der Higher School of Economics statt. Ein Mitorganisator ist der Deutsche Tim Jäkel, Dozent an der russischen Elite-Universität. Im Gespräch verrät er, warum die HSE ein guter Ort für Forschung und Lehre ist – auch für Ausländer.

Tim Jäkel lehrt und forscht an der HSE in Moskau.

Herr Jäkel, Sie sind Assistant Professor an der Higher School of Economics in Moskau. Wo haben Sie Ihre Ausbildung bekommen und wie kam es, dass Sie nach Russland umgezogen sind?

Studiert und promoviert habe ich an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Politikwissenschaft und Alte, Mittlere und Neue Geschichte. In meiner Doktorarbeit im Fach Politikwissenschaft habe ich einen neuen Index der Arbeitsmarktregulierung entwickelt und das Ausmaß der Regulierung für 16 Länder für die Zeit von 1950 bis 2008 im Detail berechnet. Ich habe damals mit statistischen Verfahren analysiert, ob sozialdemokratische Regierungen den Arbeitsmarkt stärker regulieren als christdemokratische oder ob etwa hohe Arbeitslosigkeit Flexibilisierungen im Arbeitsrecht angestoßen hat. Die Arbeit wurde mit summa cum laude bewertet und von der Landesgraduiertenstiftung des Landes Baden-Württemberg gefördert.Nach meiner Promotion habe ich als Forschungsreferent am Deutschen Forschungsinstitut für Öffentlichen Verwaltung (FÖV) in Speyer über Leistungsvergleiche in der Verwaltung in Deutschland, Schweden, England und der Schweiz geforscht. Parallel dazu habe ich an der Universität für Verwaltungswissenschaft in Speyer gelehrt.

Seit 2015 forsche und lehre ich über Public Management an der HSE. Einer meiner Forschungsschwerpunkte ist die Psychologie der öffentlichen Verwaltung: Sind hilfsbereite Verwaltungsmitarbeiter glücklicher als unhöfliche – und arbeiten deshalb besser? Zieht es die ehrlichen Menschen in die Verwaltung, wie es altruistische Theorien behaupten, oder die unehrlichen, wie manche Theorien der Korruption vorhersagen? Das sind einige der Fragestellungen, die ich in Russland zurzeit untersuche. Ich habe dazu mehrere Umfragen unter Verwaltungsmitarbeitern in verschiedenen Regionen Russlands und mit Studenten verschiedener Universitäten durchgeführt.

Was gefällt Ihnen an der HSE?

Was mir an der HSE gefällt, ist, dass es eine klare strategische Ausrichtung und Leistungsorientierung gibt. Das deckt sich mit meiner eigenen Motivation. Gleichzeitig gibt mir die School of Public Administration, an der ich arbeite, den Freiraum, den man für gute Forschung und Lehre braucht.

Sie kennen beide Perspektiven. In welchem Land hat Ihr Beruf mehr Ansehen?

In Russland begeistern sich die Menschen mehr für ihren Beruf. Russen sind leidenschaftlicher in dem, was sie tun, bei professionellen Menschen ist das natürlich sehr positiv.
Professoren und allgemein Dozenten sind sehr angesehen in Moskau. Wenn jemand an der Universität lehrt, wird das sehr respektiert. Wenn ich z. B. beim Arzt meinen Beruf angebe, kommt zuerst die anerkennende Nachfrage „Lehren Sie dort etwa auch?“, im Sinne von „er ist Assistenzprofessor an der HSE und lehrt sogar“. In Deutschland hat Lehre an der Uni nicht so einen hohen Stellenwert.
Und die Menschen in Russland bewundern Deutschland und alles, was damit zu tun hat. Das ist in Deutschland umgekehrt überhaupt nicht der Fall. In Deutschland neigt man dazu, alles, was Russland betrifft, ins Lächerliche zu ziehen

Gibt es Unterschiede zwischen deutschen und russischen Studierenden?

Ich kann sehr gut mit meinen Studentinnen (die Mehrheit in meinen Kursen ist weiblich) und Studenten arbeiten. Klar strukturierte Lehrveranstaltungen und eindeutige Arbeitsaufträge nehmen sie sehr ernst. Wenn ich Hausaufgaben aufgebe, dann werden die auch erledigt.

Wie fällt die Zusammenarbeit mit Ihren russischen Kollegen aus?

Sehr gut, die HSE und Moskau insgesamt ist ein unglaublicher Wissenspool. Es gibt allein bei uns an der HSE jeden Tag diverse Forschungskolloquien und Vorträge internationaler Kollegen in allen Fachrichtungen.
Ich habe an unserer School of Public Administration selbst ein Forschungskolloquium aufgebaut. Kolleginnen und Kollegen von unserem Institut und Gäste aus dem Ausland präsentieren dort ihre aktuellen Forschungen, die wir dann diskutieren.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Veröffentlichen, forschen und gute Lehre machen. Moskau ist eine großartige Stadt, anstrengend und oft schonungslos, aber immer spannend. Ich genieße es im Moment einfach, hier zu arbeiten und zu leben.

HSE

Die Higher School of Economics ist eine junge Universität. 1992 gegründet, entwickelte sie sich aus einem Wirtschaftsinstitut zu einer umfassenden und führenden Forschungseinrichtung des Landes. Seit 2013 ist sie Teil der russischen „5-100“-Exzellenz-Initiative. Im QS World University Ranking 2018 belegte die HSE den Platz 382 von 959. Das zieht viele ausländische Wissenschaftler an. Heute studieren an den vier Filialen in Moskau, St. Petersburg, Nischnyj Nowgorod und Perm 35 000 Menschen.

Das Gespräch führte Natalia ­Klimenko.

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