Bei Stalin im Schlafzimmer: Reiseeindrücke aus Abchasien

Es dürfte im Kaukasus keine andere Region geben, die so sehr vom Tourismus lebt wie Abcha­sien. Für Menschen von weiter weg ist der selbsternannte Kleinstaat, der nach einem opferreichen Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre seine Unabhängigkeit von Georgien erklärte, dabei ein exotisches Reiseziel. Das Auswärtige Amt rät „dringend“ davon ob, dort Urlaub zu machen. Was es in Abchasien zu sehen gibt, wenn man sich davon nicht schrecken lässt, hat MDZ-Autor Ilja Brustein vor Ort erkundet.

Abchasien

Eines der Wahrzeichen von Abchasien: das Kloster Nowyj Afon. / Wikimedia/Evcamp

Seine letzten sechs Sommer soll er in Abchasien verbracht haben, der Diktator. Nach dem Krieg war eine Regierungsresidenz in den Hängen über dem Schwarzen Meer errichtet worden. Josef Stalins „Datscha“ ist heute ein Museum.

Der Historiker Armen Karnezjan führt Touristengruppen durch die Räumlichkeiten. „Stimmt es, dass man in Stalins Bett schlafen kann?“, fragt eine Besucherin, sie hat das im Internet gelesen. Karnezjan klärt das Missverständnis geduldig auf.

Nein, in Stalins Sommerhaus gebe es keine Übernachtungsmöglichkeiten, es diene musealen Zwecken. Auf 420 Quadratmetern könne viel Orginalausstattung besichtigt werden. „Alle Möbel­stücke sind echt, auch die Betten in Stalins drei Schlafzimmern. Sogar seine Matratzen sind erhalten geblieben.“

Genächtigt werden könne auf dem Gelände jedoch trotzdem. Nur wenige Schritte von der „Datscha“ befindet sich ein zweites Gebäude von annähernd gleicher Größe: das Gästehaus. Seinerzeit waren dort die wichtigsten Mitarbeiter Stalins und Freunde untergebracht.

Bezahlung mit russischen Rubel

Heute ist dieses frühere Gästehaus eine Touristenherberge, in der auch Ausländer jederzeit willkommen sind. Die Speisen werden in derselben Küche zubereitet, in der einst für Stalin und seine Gäste gekocht wurde. Mit Vollpen­sion kostet der Aufenthalt um die 7.000  Rubel pro Tag, etwas mehr als 100 Euro. Zwar hat sich Abchasien bereits 1992 für unabhängig erklärt, offizielle Währung ist allerdings der russische Rubel.

Aber ist es nicht unmoralisch, mit dem Namen des Sowjetherrschers Geschäfte zu machen? Abchasien hat sich Anfang der 1990er Jahre von Georgien abgespalten. Nun bedient es sich ausgerechnet des Georgiers Stalin als Tourismusmagneten. „Es geht nicht darum, seine verbrecherische Politik schönzureden“, sagt Karnezjan. „Doch er ist eine historische Persönlichkeit. Die Besucher wollen wissen, unter welchen Bedingungen er lebte, wie er die Zeit verbrachte.“

Die Residenz wurde 1947 im Städtchen Nowyj Afon, 18 Kilometer westlich von Suchumi, der heutigen abchasischen Hauptstadt, angelegt. Auch deutsche Kriegsgefangene kamen dabei zum Einsatz. Fast die gesamte Einrichtung und alle Möbel­stücke, die sich heute in dem Museum befinden, gelangten als Kriegsbeute aus Deutschland in die Sowjetunion.

Die gesamte Anlage erstreckt sich auf 120 Hektar. Zu Stalins Lebzeiten war sie hermetisch abgeriegelt. 800 Sicherheitsbeamte und anderes Personal schoben hier Dienst, unabhängig davon, ob der Hausherr gerade anwesend war oder nicht.

Athos zwei am Schwarzen Meer

Doch selbstverständlich gibt es in Abchasien viel mehr zu entdecken als die Gemächer Stalins. Auf einer Fläche von 8.600 Quadratkilometern finden sich zahlreiche Kultur- und Naturdenkmäler. So lohnt in Nowyj Afon der Besuch des gleichnamigen Klosters. Russische Mönche vom Heiligen Berg Athos  in Griechenland, die 1874 in den Ort kamen, haben es gegründet. Auch der Name Nowyj Afon  – Neu-Athos – geht auf sie zurück. Eröffnet wurde das Kloster in Anwesenheit des  letzten russischen Zaren Nikolaj II. Zur Anlage gehören sechs Kirchen. Die größte und schönste von ihnen ist die Heilige-Panteleimon-Kathedrale, deren zentrale Hauptkuppel eine Scheitelhöhe von 40  Metern hat.

Abchasien

Neben Badeorten am Schwarzen Meer und viel Geschichte kann Abchasien auch mit einer wilden Bergkulisse aufwarten. / Tengis Tarba

Die Umgebung des Klosters hat weitere Sehenswürdigkeiten zu bieten, darunter die malerischen Ruinen der antiken Festung Anakopija aus dem 4. und 5. Jahrhundert auf dem Iwiron-Berg. Einen Besuch ist auch die Kapelle des Heiligen Simon aus dem 10. Jahrhundert wert. Seit 1961 ist die Tropfsteinhöhle von Nowyj Afon für Touristen zugänglich. Sie besteht aus mehreren Hallen und Sälen. Der größte Saal ist 260 Meter lang, bis zu 75 Meter breit und bis 50 Meter hoch.

Andere Gegenden Abchasiens sind nicht weniger sehenswert. Besonderer Beliebtheit bei Urlaubern erfreuen sich die Küstenorte mit ihren Strandpromenaden, Parkanlagen und Cafés.

Kriegserbe und Badetraditionen

Zwar sind die Wunden des Krieges, der im Zuge der Sezessionsbestrebungen Abchasiens hier von August 1992 bis September 1993 zwischen abchasischen Milizen und der georgischen Armee wütete, noch immer nicht ganz verheilt. Überall stößt man auf halbzerstörte, verlassene Häuser und Fabrikanlagen. Es werden jedoch spürbar große Bemühungen unternommen, den Tourismus anzukurbeln. Jedes Jahr entstehen neue Hotels und Pensionen, die teilweise durchaus westeuropäischen Standards und Erwartungen entsprechen. Die Strände sind gepflegt.

Ein Klassiker unter den Urlaubszielen am Schwarzen Meer ist Gagra, 65 Kilometer nordwestlich von Suchumi gelegen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts war dieses Städtchen ein beliebter Kurort im russischen Zarenreich. Viele Villen und Sanatorien stehen bis heute, auch wenn sie oft renovierungsbedürftig sind. Zu den  beein­druckendsten Bauten zählt die 1904 errichtete Jugendstilvilla des Herzogs Alexander von Oldenburg, der ein Schwager von Nikolaj II. war.

Visum auf elektronischem Wege

Abchasien

So ein Visum bekam unser Autor Simon Barthelmess, als er Ende 2016 in Abchasien weilte.

Anerkannt ist Abchasien lediglich von vier UN-Mitgliedsländern. Visafrei bereist werden kann das Land von Besuchern aus Russland, Nicaragua, dem pazifischen Inselstaat Tuvalu sowie aus Transnistrien und Südossetien, um deren internationale Anerkennung es auch nicht besser steht. Von der Visapflicht ausgenommen sind darüber hinaus Ausländer, die an organisierten Ein-Tages-Touren teilnehmen.

Die Sicherheitslage ist heute weitgehend entspannt. Die meisten Urlauber kommen aus Russland und anderen GUS-Staaten. Der russisch-abchasische Grenzübergang befindet sich praktisch am Ortsausgang von Sotschi, wenige Kilometer von dessen Flughafen und vom Olympiagelände entfernt. In Sotschi halten auch Züge, die von mehreren russischen Städten aus nach Suchumi verkehren.

Deutsche sind mit einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes konfroniert und können im Falle des Falles nicht auf konsularische Hilfe hoffen. Die Einreise über Georgien ist schwierig, über Russland normalerweise unkompliziert. In jedem Falle muss Abchasien auf demselben Wege wieder verlassen werden. Es ist kein Transitland.

Das Visum wird per E-Mail oder Fax beim abchasischen Außenministerium beantragt, dessen Webseite in neun Sprachen verfügbar ist, darunter auch auf Deutsch. Ein einfaches Visum kostet umgerechnet 10 US-Dollar, ein Mehrfachvisum 60 Dollar. Innerhalb von sieben Tagen erhält der Antragsteller Antwort, dass er die Grenze passieren darf. Darüber werden auch die Grenzbeamten informiert. „Alles ganz einfach“, sagt Tengis Tarba, Leiter der Informationsabteilung des Außenministeriums. Nach der Einreise muss sich der Besucher innerhalb von drei Tagen beim konsularischen Dienst des Außenministeriums in Suchumi melden.

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