Ihr Verband trägt die deutsche Kultur im Namen. Was hat es mit dieser Ausrichtung auf sich?
Alle föderalen Organisationen der Russlanddeutschen stellten sich in den 90er Jahren politische Ziele. Die deutsche Kultur blieb dabei auf der Strecke. Der IVDK hat hier die Initiative ergriffen.
Je öffentlichkeitswirksamer Ihr Verband wurde, desto mehr geriet er in die Schusslinie anderer Vertreter der Russlanddeutschen. Ist die Kritik heute weniger geworden?
Das ist sie, aber in dieser Zeit haben sich ja auch die Menschen, hat sich das gesamte Land verändert. Und auf diese Veränderungen musste man ständig reagieren. Mir scheint, dass das unserer Organisation gelungen ist und sie über diese 25 Jahre stark gemacht hat.
Darin sehen Sie also das Erfolgsrezept des IVDK?
Ja. Es geht darum, bei der eigenen Arbeit die Leitlinien der Vergangenheit im Auge zu behalten, aber auch ständig zu hinterfragen, zu korrigieren. In unserer pragmatischen Zeit hängt die junge Generation keinen alten Idealen mehr nach, von denen die heutigen Veteranen der gesellschaftlichen Bewegung in der Ära der Romantik erfüllt waren.
Erinnern Sie sich an diese Ideale?
Kaum. Ich bin in einem deutschen Dorf in Sibirien aufgewachsen, habe fließend Deutsch gesprochen und mich nicht diskriminiert gefühlt. Uns Kinder verschonte man von den schlimmen Geschichten. Erst als ich 1988 das Stück „Auf den Wogen der Jahrhunderte“ im Deutschen Theater Temirtau sah, bekam ich eine Ahnung von der Tragödie des Volkes und begann mich für das Thema zu interessieren. In die gesellschaftliche Bewegung bin ich über die Kultur gekommen, mich haben die Schauspieler und Literaturschaffenden angezogen. Aber ich kenne viele, die an der Schwelle zu den 90er Jahren den Politikern gefolgt sind, die für die Wiederherstellung der Wolgarepublik gekämpft haben.
Wem folgen die Russlanddeutschen heute?
Die heutige Generation mag sich an jemandem orientieren, aber sie läuft niemandem mehr hinterher. Wenn sie einen Nutzen für sich sieht, dann macht sie davon Gebrauch und ist gern zu einer Gegenleistung bereit. Das ist für mich nichts Verwerfliches, ich würde auch von meinen Kindern nicht verlangen, für eine Idee auf die Barrikaden zu gehen. Ich bin glücklich, dass sie ihre Geschichte kennen und Deutsch sprechen, sogar im Dialekt.
Aber es war doch gerade eine Idee, auf der die gesellschaftlich-politische Bewegung der Russlanddeutschen fußte.
An deren Anfängen standen Leute, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, die alles verloren haben. Das war eine furchtbare Tragödie, die mich zutiefst schmerzt. Es ist auch die Geschichte meiner Familie. Wir werden das nie vergessen, aber die Tragödie ist vorbei, und wir müssen nach vorn schauen. Ich frage mich: Worauf verwende ich mein Leben? Auf den Kampf für etwas, das mir nicht gelingen kann? Die Wahrheit ist: Was ich und Gleichgesinnte tun können, sind kleine und große Dinge zur Bewahrung unserer Sprache und Kultur, zum Wohle konkreter Menschen und Organisationen überall in unserem Land.
Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem Jubiläums-Forum entgegen?
Mit gemischten. Unser Verband hat gegen alle inneren und äußeren Widerstände viel erreicht und ist ein vollwertiger Teil der deutsch-russischen Beziehungen geworden. Wir können jetzt nicht zurückstecken. Dabei wird die Aufgabe angesichts der generellen Veränderungen in der russischen Gesellschaft nicht leichter. Im Wissen darum macht man sich schon jetzt Gedanken über die nächsten 25 Jahre.
Das Interview führte Olga Silantjewa.