Diversity Festival: Minderheiten-Nachwuchs probt das Teambuilding

Das Jugendfestival der europäischen Minderheiten fand dieses Jahr in und um Moskau statt. Die Vielfalt sollte am Ende in Kunst münden, so jedenfalls der Plan: Mit einem getrennt eingeübten, aber gemeinsam gespielten Theaterstück.

Diversity Festival

Beim finalen gemeinsamen Theaterstück trug man Schwarz / Anastassija Buschujewa

Alex steht am Roten Platz, die Sonne scheint ihm in den Rücken. Er ist zum ersten Mal in Moskau und fasziniert von der Schönheit, die man in dieser Stadt finden kann. Er ist jedoch nicht als Tourist aus seiner Heimat Rumänien gekommen. Mit anderen jungen Menschen will er ein Theaterstück aufführen. Das Besondere daran: Alle Schauspieler gehören wie Alex europäischen Minderheiten an. In dem Projekt soll der Zusammenhalt und der Austausch zwischen Minderheiten gestärkt und die Vielfalt der verschiedenen Kulturen einem breiten Publikum gezeigt werden.

Alex, eigentlich Alexandru Bujicu, kommt aus Bukarest und ist Aromune. Deren Lage in Rumänien ist schwierig, da sie nicht als Minderheit anerkannt werden. Von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden sie sich durch Sprache, Geschichte sowie Sitten und Bräuche. Für den Staat sind sie jedoch rumänische Bürger wie jeder andere auch. Spezielle Schulen oder finanzielle Hilfe gibt es nicht. Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Sie wird von hunderten Minderheiten weltweit geteilt. Alex ist stolz auf seine Herkunft. Für ihn bedeutet das Angehören einer Minderheit vor allem den kulturellen Reichtum seiner Minderheit zu wahren. „Aromune zu sein, ist ein Teil von mir. Wenn ich das nicht weitergebe, fühle ich mich, als würde ich einen Teil von mir verlieren.“

Andere wie Lena Baute haben mehr Glück. Sie gehört der dänischen Minderheit in Deutschland an. Dort wird die dänische Kultur durch eine eigene Zeitung, Bibliotheken, Alten- und Kinderheime und Privatschulen gestärkt, finanziert mit Eigenmitteln, Spenden und Geldern von beiden Staaten. Zu der dänischen Minderheit in Deutschland zu gehören, bedeutet für Lena vor allem, in der Minderheitengemeinschaft zusammenzuhalten. „Wir unterstützen einander, wir kennen und verstehen uns.“ Sie selbst fühlt sich weder als Dänin noch als Deutsche. „Für mich steht die Minderheit an erster Stelle, ihr fühle ich mich verbunden und zugehörig. Hier fühle ich mich zu Hause.“

So wie Alex und Lena, nahmen insgesamt 30 Russlanddeutsche sowie 30 Vertreter anderer europäischer Minderheiten am diesjährigen Diversity Festival teil, das Mitte August in Moskau und Umgebung stattfand und von der „Jugend Europäischer Volksgruppen (JEV)“, dem „Jugendring der Russlanddeutschen“ sowie der „Deutschen Jugend in Europa (djo)“ organisiert wurde.
Eine Woche lang wohnten die Teilnehmer in einem Erholungsgebiet außerhalb der russischen Hauptstadt. Trotz der vielen verschiedenen Sprachen schienen sie alle gut miteinander zurecht zu kommen.

Sie konnten zwischen fünf Workshops von Gesang bis Tanz wählen. Ihre einstudierten Nummern sollten sie als abschließenden Höhepunkt in Moskau präsentieren, unterstützt von einer professionellen Regisseurin.

Was in den fünf Workshops entstand, war zunächst völlig unabhängig voneinander. „Ein vorgefertigtes Stück würde wenig Sinn machen, da verschiedene Menschen verschiedene Ideen und Meinungen haben“, so die Regisseurin des Theaterstücks, Milena Olip, die Kärntner Slowenin ist. Erst gegen Ende der Festivalwoche fügten die Teilnehmer die einzelnen Stücke zusammen und stimmten sie in gemeinsamen Proben aufeinander ab. Dabei fungierten die Theaterstücke als Bindeglieder zwischen den vorgetragenen Tänzen und Gesängen. Die drei Hauptsprachen waren Deutsch, Russisch und Englisch, wobei ebenfalls darauf geachtet wurde, Sprachen anderer Minderheiten in die Vorstellung einzubinden.

Alex (l.) singt ein aromunisches Volkslied / Anastassija Buschujewa

Alex (l.) singt ein aromunisches Volkslied / Anastassija Buschujewa

Es ist Samstagabend, der Tag der Aufführung. Alle Sitzplätze des kleinen Saals in der Flacon Designfabrik sind restlos belegt. Kompott wird ausgeschenkt, die Stimmung ist ausgelassen. Einige Darsteller tummeln sich vor dem Theaterhaus, um draußen noch einmal tief Luft zu holen und sich gegenseitig Mut zuzusprechen.

Auch Alex ist vor seinem Auftritt sichtlich aufgeregt. Er fragt sich, ob die einstudierte Choreografie problemlos ablaufen wird. Ehe sein Lampenfieber überhand nimmt, ist er an der Reihe, um mit seinen neuen Freunden einen rumänischen Volkstanz aufzuführen. Seine Aufregung verschwindet im Nu. Auf der Bühne kann er voll und ganz er selbst sein. „Ich bin Aromune. Das spüre ich, wenn ich singe, das spüre ich, wenn ich tanze.“

Die 60 Teilnehmer präsentierten ihrem Publikum eine abwechslungsreiche Vorstellung, bestehend aus Volkstänzen, folk­loristischen und modernen Liedern sowie einem mitreißenden Theaterspiel. Das gespielte Stück unterhielt mit wenig Text und viel Körpereinsatz. Es braucht nicht viel Sprache, um Emotionen wie Freude, Trauer, Vertrauen, Angst und Wut zu vermitteln. Die Botschaft des Theaterstücks ist, dass die Sprache die eigentliche Heimat ist. Solange man diese behält und pflegt, ist man überall in der Welt zu Hause.

Zum Abschluss wurde das russische Volkslied „Kalinka“ von den Teilnehmern gesungen und getanzt. Das Publikum quittierte mit lautstarkem Jubel und Applaus. Die jungen Darsteller waren mit ihrer Leistung zufrieden.

Am Ende der Veranstaltung mischte sich dann doch noch etwas Wehmut unter die Freude. Denn viele Minderheitenvertreter traten am nächsten Tag die Heimreise an. Wann, wo und ob sie sich überhaupt wieder sehen werden, bleibt ungewiss.

Jana Weber

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