Das neue Teilen: Warum Carsharing & Co. in Russland so erfolgreich sind

App aufmachen, wischen und bestellen: So einfach und spontan sind Mobilitätsdienstleistungen. In keiner anderen europäischen Metropole wächst Carsharing so rasant wie in Moskau.

Ein Carsharing-Auto des Anbieters Delimobil in Moskau wartet auf den nächsten Kunden./Foto: Corinna Anton.

Ein Mann bleibt auf der geschäftigen Pjatnizkaja-Straße vor einem Auto mit einem orangefarbenen Logo stehen. Er schaut auf sein Smartphone, wischt mit dem Finger ein paar Mal über den Bildschirm. Sekunden später blinkt das Auto, die Tür geht auf. Eine Szene, die recht häufig in Moskau zu beobachten ist. Das Auto gehört nicht dem jungen Mann, sondern dem Unternehmen Delimobil. Der Dienst ist 2015 als einer der ersten in Moskau auf den Markt gegangen. Er startete mit 100 Fahrzeugen, heute bilden 1500 Autos seine Flotte. Bis Ende des Jahres sollen es 2000 sein. Neben Delimobil buhlen noch vier weitere Anbieter um die Gunst der Großstädter: Car5, YouDrive, Anytime und Belka Car.

Sie alle funktionieren nach dem gleichen einfachen Prinzip: Ein Anbieter stellt Fahrzeuge gegen eine Gebühr für den privaten Gebrauch zur Verfügung. Der Nutzer kann das Auto entweder an einer festen Station (Point-to-Point) abholen und abstellen, oder an einem frei wählbaren Parkplatz (Free-Floating). In Moskau sind für den Service durchschnittlich 7,5 Rubel pro Minute fällig. In diesem Preis sind Sprit, Versicherungen und die Parkgebühren inbegriffen. Damit sind Carsharing-Dienste günstiger als Taxifahren, das in Moskau durchschnittlich rund 15 Rubel pro Minute kostet.

Jung, männlich, Akademiker

Auch das ewige Problem mit der Parkplatzsuche treibt viele Moskauer in die Arme von Carsharing-Diensten. Denn seit 2013 wurden Parkplätze nicht nur schrittweise reduziert, sondern auch Gebühren erhoben. Seit letztem Jahr werden bis zu 200 Rubel (rund drei Euro) pro Stunde verlangt.

Doch wer nutzt eigentlich dieses Mobilitätskonzept? Der typische Nutzer ist männlich, zwischen 26 und 36 Jahre alt, hat einen Universitätsabschluss und arbeitet als Spezialist, vornehmlich im IT-Sektor. Das geht aus einer Studie hervor, die die Stadt Moskau in Auftrag gegeben hat. Nur zehn Prozent der Kunden sind Frauen. Obwohl in Moskau nur zwei Jahre seit dem Start von Carsharing-Diensten vergangen sind, verzeichnen sie eine rasante Nachfrage. Moskau sei auf dem gleichen Stand wie manche anderen europäischen Metropolen, wo die Branche über Jahre gewachsen ist, heißt es in der Studie.

„Carsharing wird in Zukunft eine dominante Form der Mobilität sein und den Verkehr in der Stadt entlasten“, sagt Konstantin Trofimenko, Leiter des Instituts für Transportwirtschaft und Politik an der Higher School of Economics. „Aber diese Technologien brauchen noch zehn bis 15 Jahre, damit sie sich in Russland voll entwickeln können.“  Gerade bei der jungen Generation der Stadtbewohner sei zu beobachten, dass das Auto nicht mehr ein Statusobjekt sei, sondern lediglich ein Fortbewegungsmittel.

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Ein Carsharing-Auto ersetzt 20 private Pkw

Eine Studie des Bundesverbandes Car-Sharing scheint diese Prognose zu bestätigen. In Deutschland ersetzt ein Carsharing-Auto in zwölf untersuchten Großstädten mittlerweile zwischen acht bis 20 private Pkw. Tendenz steigend. Diesen Trend haben im Westen große Automobilhersteller wie Mercedes und BMW schon längst vernommen und angefangen eigene Carsharing-Modelle zu entwickeln, beispielsweise Drive Now oder Car-2go. In Russland sind sie noch nicht vorgeprescht. Bei den Carsharing-Unternehmen handelt es sich um eigenständige Business-Modelle, die mit Autoherstellern wie Skoda oder Kia kooperieren.

Neben Carsharing ist in Russland auch das Ridesharing beliebt: Autobesitzer bieten online über einen Dienst Sitzplätze in ihrem Wagen an. Mitfahrgelegenheit hieß früher ein großer Dienst in Deutschland, bis er vom französischen Start-up Blablacar aufgekauft wurde. Heute ist das Unternehmen in Osteuropa führend. Vor allem in Russland. „Es ist ein Schlüsselmarkt“, sagt Sergej Awakjan-Rschewskij, Pressesprecher von Blablacar in Russland. „Bei uns sind rund zehn Millionen Nutzer registriert. Und jeden Monat steigt die Zahl.“

So ein eindeutig, wie das Profil eines Nutzers beim Carsharing ausfällt, so unterschiedlich ist es beim Ridesharing. „Blablacar nutzen alle, die zwischen Städten pendeln oder eine Reise unternehmen wollen. Jede Altersgruppe ist gleich vertreten“, sagt Awakjan-Rschewskij. Denn eine durchschnittliche Fahrt um die 500 Kilometer kostet rund 500 Rubel (etwa 7,30 Euro). Die am häufigsten gefahrene Strecke ist unter anderem von Nischnyj Nowgorod nach Kasan.

Luft nach oben für Carsharing & Co.

Doch warum ist dieses Prinzip so beliebt in Russland? Das Klischee, dass Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion Unbekannten nicht vertrauen, stimme so nicht, meint Awakjan-Rschewskij. Dafür gebe es ausführliche Fahrerprofile und Bewertungen. Zudem überzeugt, dass Ridesharing 30 Prozent günstiger ist als öffentlicher Verkehr. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass man von Tür zu Tür gefahren wird und während der Fahrt einen Gesprächspartner hat.

Carsharing & Co. haben weltweit großes Potenzial. Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die dieses Jahr erschien, werde der Markt für neue Mobilitätsdienste bis 2030 auf über zwei Billionen US-Dollar wachsen. Das entspreche einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 28 Prozent weltweit. Vorreiter in Sachen neue Mobilität sind China (24 Milliarden USD Umsatz) und die USA (23,4 Milliarden USD). Weit dahinter befindet sich Europa (5,7 Milliarden USD). Als Grund für diesen Rückstand nennt die Studie das Fehlen von einheitlichen Regulierungen in Europa, zu fragmentiert seien sie. Doch für die Entwicklung solcher Dienste gibt es in Russland sowie in Europa sehr viel Luft nach oben.

Katharina Lindt 

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