Wolga, bist du das?

Nach dem Moskwitsch wird in Russland eine weitere Automarke aus Sowjetzeiten neu aufgelegt: der Wolga. Dass die aktuellen Modelle unter dieser Bezeichnung wenig mit ihren Vorgängern gemein haben, liegt nicht nur an der Zeit, die seit dem Produktionsstopp 2010 vergangen ist.

Wo Volga draufsteht, ist ziemlich wenig Wolga drin. (Foto: Pressedienst Volga)

Der Wolga gehört zum Besten, was die russische Automobilindustrie je hervorgebracht hat. Auch wenn sein Ruhm lange dadurch gespeist wurde, dass für gehobene Ansprüche in der Sowjetunion keine anderen Wagen verfügbar waren, löst er bei vielen Russen dennoch zärtliche Gefühle aus. Die meisten haben dabei nie einen Wolga gefahren, weil der vor allem der Nomenklatura vorbehalten, als Taxi vorgesehen oder aber schlicht zu teuer war. Doch eine Rarität im Straßenbild stellte er nicht dar. Die ersten beiden Modelle wurden vom Gorki-Autowerk (GAZ) in Nischni Nowgorod in riesigen Stückzahlen produziert. Vom GAZ-21 liefen rund 640.000 Stück vom Band, von seinem Nachfolger GAZ-24 fast 1,5 Millionen.


West-Ost-Rochade

Früher war der Wolga ein sowjetischer Westwagen, vor allem in den ersten Modellen steckte eine Menge Ford. Der neue Wolga ist dagegen ein russischer Ostwagen und nahezu komplett made in China. Die Limousine C40 sowie die Crossover K30 und K40 entsprechen den Changan-Modellen Raeton Plus (2017), X5 Plus (2020) und Uni-Z (2022). Nur der Kühlergrill wurde leicht an die charakteristische Wolga-Frontpartie angepasst. Auf ähnliche Weise war zuvor bereits die Marke Moskwitsch aus der Versenkung geholt worden.


Das waren auch die beiden stilbildenden Pkw der Marke. Was danach kam, baute mehr oder weniger auf dem GAZ-24 auf. Sehen lassen konnte es sich für sowjetische Verhältnisse immer noch. Doch zunehmend bremste die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage den Eifer der Designer und Ingenieure. Und als mit dem Zusammenbruch der Sowjet­union die staatliche Finanzierung wegfiel, ging GAZ schnell das Geld und dann auch die Luft aus.

„Raumschiff“ vs. Stagnation

Unter die Räder kamen damit auch Wolgas, die das Zeug zum Hit gehabt hätten. Wie der GAZ-3105, von dem nur etwa 50 Stück in Serie gebaut wurden, für den sich mancher aber auch heute noch erwärmen kann. Als „Durchbruch“ und (potenzielle) „Revolution“ wird das Modell in einem flammenden Text auf RBK Autonews verteidigt. Eine neue Karosserie mit Anleihen beim Audi 100, V8-Motor, Allradantrieb, 170 PS, elektrisch verstellbare Spiegel und Sitze – das nennt man ein gutes Paket. Doch allein schon der Stückpreis von 80.000 US-Dollar ließ das Unterfangen floppen. Dennoch, heißt es bei RBK, sei dieses Auto in Relation zur russischen Autoindustrie, die in den 1970er Jahren verharrt sei, „geradezu ein Raumschiff“ gewesen.

Die Wolga-Modellgeschichte von 1956 bis 2009

1956–1970: GAZ-21 (Foto: Wikimedia)
1968–1986: GAZ-24 (Foto: Wikimedia)
1981–2008: GAZ-3102 (Foto: drive2.ru)
1985–1993: GAZ-24-10 (Foto: Za ruljom)
1991–1997: GAZ-31029 (Foto: Avito)
1992-1996: GAZ-3105 (Foto: Avito)
1997-2004: GAZ-3110 (Foto: Wikimedia)
2003-2009: GAZ-31105 (Foto: Tino Künzel)

2010 wurden bei GAZ schließlich die Bänder angehalten. Das letzte Modell war schon kein klassischer Wolga mehr, sondern der Volga Siber, bei dem Chrysler Pate gestanden hatte. Aber der Wagen, eigentlich für den Massenmarkt konzipiert, verkaufte sich schlecht. Insgesamt wurden weniger als 9000 Stück davon gebaut, obwohl man sich ein Vielfaches davon versprochen hatte.

Mischustins Forderung

Mehr als zwei Jahrzehnte später soll der Wolga nun wieder Autoherzen höherschlagen lassen. Bei einer Industriemesse Ende Mai in Nischni Nowgorod wurden gleich drei neue Modelle vorgestellt. Allerdings haben sie außer dem Namen nichts mit der Traditionsmarke gemein, sondern sind die nächste Technologieinfusion aus China. Um die Produktion in den GAZ-Hallen kümmert sich eine bisher unbekannte Firma. Dafür sollen die früheren Fertigungslinien von VW und Skoda genutzt werden. Die Höhe der Investitionen ist mit 60 Milliarden Rubel veranschlagt, umgerechnet etwa 625 Millionen Euro.

Zu denen, die als Erste auf dem Fahrersitz der ausgestellten Modelle Platz nahmen, gehörte Premier Michail Mischustin. Er nahm sich auch gleich die Verantwortlichen zur Brust. Wenigstens das Lenkrad möge doch aus Russland kommen, das könne schließlich nicht so schwer sein. Die „Nowyje Iswestija“ kommentierte in einem ausführlichen Beitrag, ohne massive Preisabschläge, das zeige das Beispiel Moskwitsch, werde das neue Wolga-Trio kaum Erfolg haben.

Tino Künzel

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