Wie sind die Russen?
Wie sind sie, die Russen? Sie verlassen sich auf den Zufall, auf das Vielleicht, auf Russisch „awos“. Es ist ein rein russischer Begriff. Die Russen treffen unglaubliche Entscheidungen, gehen ein Risiko in der Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang ein – und gewinnen. Das bedeutet, dass diese Entscheidungen erfolgreicher waren als die pragmatischen. Der Rationalismus hat im nationalen Charakter nicht Fuß gefasst, weil das sich ständig verändernde Wetter viele Überraschungen bereithielt.
Neben dem harten Klima beeinflussten auch die Größe des Landes und die Notwendigkeit des Widerstandes gegen Angreifer aus Ost und West den Charakter. Für einen Russen war das Verhältnis zwischen Moral und Recht immer problematisch. Der Moral würde er den Vorrang geben. Für ihn sind Anerkennung und soziale Werte wichtig.
Was ist Russland?
Wie ist denn Russland so? Facettenreich. Eine dieser Facetten ist, dass Russland nicht mehr um jeden Preis ein Teil Europas sein möchte. Die Bemühungen der 1990er Jahre, Russland nach europäischen Standards umwandeln zu wollen, waren beinahe tödlich. Russland will eine Kommunikation auf Augenhöhe. Es ist eine selbständige Zivilisation. Die Bewahrung der eigenen Identität bildet eine der Hauptsäulen der neuen Außenpolitik Russlands.
Grundlagen des russischen Staatswesens
Das sind nur einige Positionen, mit denen die Studenten in der ersten Stunde des neuen Lehrfachs „Grundlagen des russischen Staatswesens“ bekannt gemacht werden. Es ist für 72 Stunden ausgelegt und besteht aus Vorlesungen und Seminaren. Dabei gibt es fünf Blöcke: „Was ist Russland?“, „Der russische Staat – eine Zivilisation“, „Russische Weltanschauung und die Werte der russischen Zivilisation“, „Das politische Gefüge“ und „Herausforderungen der Zukunft und die Entwicklung des Landes“.
Über die neue Vorlesungsreihe berichteten die Medien bereits vor einem Jahr. Als Ziel der Reihe wurde die „Einordnung der weltanschaulichen Aspekte der Studenten“ genannt, schrieb der „Kommersant“. Die Kritiker des Projektes „Russlands DNA“ bezeichneten den Kurs als „ideologisch“ und verglichen ihn mit der sowjetischen Reihe „Geschichte der „KPdSU“. Die Zeitung „Rossijskaja Gaseta“ schrieb über die „besondere Rolle des weltanschaulichen Hochschulkurses bei der ideologisch-patriotischen Erziehung der russischen Jugend“. Und über die „großen Anstrengungen und Mittel“, die Russland für die Schaffung dieses Kurses aufgewendet hat.
Seitdem waren über 3000 Lehrkräfte an seiner Ausarbeitung beteiligt. Tausende Hochschullehrer haben Weiterbildungskurse besucht.
Die MDZ kontaktierte zwei von ihnen. Sie lehren die Geschichte Russlands an einer Hochschule in Saratow. Wenige Tage vor Beginn des neuen Studienjahres meinten sie, dass sie nicht genau wissen, worüber sie mit den Studenten sprechen werden. Worauf letztendlich die Schwerpunkte gelegt werden, soll im September entschieden werden. „Lassen Sie uns mit Kommentaren für die Zeitung noch ein paar Wochen warten“, baten sie. An ihrer Hochschule haben ein paarmal die Lehrstühle gewechselt, deren Pädagogen mit den Vorlesungen beauftragt werden sollen, denn diese Vorlesungsreihe liegt an einer Nahtstelle der Geschichte Russlands, der Politikwissenschaften, der Philosophie und der Ethnografie.
Lehrbücher dazu gibt es noch nicht. Aber Videos zu „Russlands DNA“. Sie sind nun im Netz frei zugänglich. Die Aussagen am Anfang dieses Artikel stammen aus einem der Filme.
Von Olga Silantjewa