Volkswagen-Markenchef Milz:„Das perfekte Auto für Russland wäre …“

Drei Kleinwagen, drei Kompakte, drei SUVs und ein Kombi – das waren 2019 die zehn meistverkauften Autos in Russland. Welche Schlüsse lassen sich daraus für den russischen Markt ziehen? Und was will der Kunde hierzulande? Das hat die MDZ Thomas Milz gefragt, den Leiter der Marke Volkswagen in Russland.

Sie sind mit Volkswagen in den letzten 20 Jahren viel herumgekommen in der Welt, waren von Nordamerika über Südeuropa bis Dubai an ganz verschiedenen Standorten tätig. Seit April 2019 leiten Sie nun die Marke Volkswagen in Russland. Wenn Sie hier morgens zur Arbeit fahren und abends wieder nach Hause, wie fremd oder vertraut kommt Ihnen das vor, was Sie sehen?

Moskau fühlt sich sehr vertraut an. Ich habe aber seit meinem Amtsantritt auch versucht, mir einen Eindruck vom Land zu verschaffen, habe mir andere Städte angeschaut, 70 von unseren 130 Händlern besucht. Aus Sicht des Automarktes unterscheidet sich die Situation in den Regionen sehr stark von der in Moskau und St. Petersburg. Und ganz im Osten von Russland ist sie noch einmal eine andere. Das ist extremer als alles, was ich bisher erlebt habe.

Thomas Milz vor einer Russland-Karte in seinem Büro im Süden Moskaus. (Foto: Tino Künzel)

Wenn Sie die Hitliste der populärsten Pkw in Russland durchgehen, ist Ihnen dann klar, warum gerade diese Fahrzeuge in dieser Reihenfolge darin vertreten sind?

Klar war mir manches nur nicht, als ich die ersten Wochen in Moskau gelebt habe. Denn wenn man sich hier umschaut, dann wundert man sich schon, wo denn das eine oder andere Auto ist, das in der Statistik vordere Plätze belegt. Aber wie gesagt, man muss einfach auch mal raus aus Moskau. Das hat zusammen mit St. Petersburg zwar einen Anteil von 40 Prozent am Gesamtmarkt, der größere Teil wird allerdings in den Regionen verkauft.

Und dort sind ganz andere Modelle gefragt?

42 Prozent der Neuwagen in Russland haben einen Verkaufspreis von unter eine Million Rubel (umgerechnet etwa 14.300 Euro – d. Red.). In Moskau sieht man solche Fahrzeuge nicht so häufig. Das kann trügerisch sein, insbesondere wenn man hier Besuch von Freunden hat und die dann denken, dass ganz Russland aus großen schwarzen SUVs und Limousinen besteht. Aber in Togliatti, Krasnodar oder Krasnojarsk sind die Autos meist kleiner, mit einfacherer Ausstattung, teils auch viel älter, das heißt die Haltedauer ist viel größer.

Sind die Trends in Russland dennoch dieselben wie anderswo?

Weltweit ist ein erheblicher Zuwachs im SUV- und Crossover-Segment zu beobachten. Das greift in Russland noch nicht so stark. Hier werden eher noch kleine Limousinen bevorzugt. Dass eine Entwicklung hin zum SUV stattfindet, sieht man aber am Tiguan. Ich könnte mir vorstellen, dass sich in dieser Richtung langfristig noch viel tut. 


Höhen und Tiefen

Das Yandex-Taxi, das den MDZ-Redakteur zum Interview in die Moskauer VW-Zentrale bringt, ist ein VW Polo. Das ist Zufall und auch wieder kein Zufall, weil der Polo sich in Russland eben gut verkauft.
2019 waren die Zahlen leicht rückläufig, das galt allerdings für den gesamten Neuwagenmarkt, der bei 1,76  Millionen Fahrzeugen lag – weniger als die Hälfte der 3,6  Millionen Neuzulassungen in Deutschland. Dabei war Russland 2012 (2,93 Millionen) schon einmal drauf und dran, Deutschland als größten Automarkt Europas abzulösen. Doch dann kam die Krise. Vom Tief (2016: 1,4 Millionen) hat man sich immerhin wieder etwas erholt.


Wodurch zeichnet sich der russische Markt noch aus?

Im Großen und Ganzen ist er schon sehr europäisch, was die Größe der Fahrzeuge betrifft und die Volumen in den unterschiedlichen Fahrzeugklassen. Beim Kundenverhalten gibt es aber schon einen gravierenden Unterschied. In Europa hat sich in den letzten Jahren das Leasing durchgesetzt. Es steht also die Nutzung im Vordergrund. Man fährt ein Auto einige Jahre lang und wechselt dann zum nächsten, ohne sich um den Wiederverkauf kümmern zu müssen. Dafür ist der russische Kunde noch nicht so zu haben. Er will sein Auto lieber finanzieren, es abbezahlen und dann auch lange besitzen.

Auch der sogenannte Fleet-Anteil ist in Russland deutlich geringer. In Europa haben viele Mitarbeiter von Großkunden die Möglichkeit, als Privatperson zu vergünstigten Konditionen ein Fahrzeug zu bekommen, das auf die Firma zugelassen ist. Auf den meisten europäischen Märkten machen diese Geschäftsfahrzeuge zwischen 60 und 75 Prozent des Gesamtmarktes aus. In Russland liegen wir bei 30 bis 40 Prozent. Hier überwiegt tatsächlich noch der Privatmann als Einzelkunde.

Was muss ein Auto haben, um in Russland massentauglich zu sein?

Der russische Kunde legt tendenziell Wert auf ein äußeres Erscheinungsbild, das er mit einem gewissen Stolz vorzeigen kann, während innen eher die Funktionalität dominiert. Das perfekte Fahrzeug hätte also eine hochwertige Anmutung und wäre gleichzeitig sehr alltagstauglich.

Ein Pkw soll hochwertig wirken, aber auch praktisch sein – das wünscht sich doch so ziemlich jeder Kunde, oder?

Es gibt schon andere Märkte, wo das Funktionale eine größere Bedeutung hat. In Norwegen sind 50 Prozent der Fahrzeuge elektrifiziert. Für den dortigen Kunden spielt es offenbar eine untergeordnete Rolle, wie das Auto von außen aussieht und ob es schöne große Alufelgen hat. Da überwiegt der Gedanke des Elektroantriebs.

(Quelle: AEB, KBA)

Auch der VW Polo und der VW Tiguan gehören zu den Bestsellern in Russland. Wie bewerten Sie das Abschneiden der eigenen Marke?

Ich bin sehr zufrieden damit. Wir lasten unsere Produktionskapazitäten sehr gut aus. Und wir haben auch ein hervorragendes finanzielles Ergebnis. Der Polo als unser Volumenmodell ist mit fast 60.000 verkauften Fahrzeugen im Jahr unglaublich erfolgreich. Beim Tiguan haben wir es im dritten Jahr seines Lebenszyklus entgegen dem normalen Trend wieder einmal geschafft, das Volumen zu steigern. Darauf sind wir sehr stolz.

Inwiefern stellt sich Volkswagen mit seinen Produkten auf den hiesigen Markt ein?

Anders als in nahezu allen anderen Märkten wird der Polo in Russland als Stufenheck angeboten. Der russische Markt ist noch sehr sedanlastig. Ich vermute, dass das historische Gründe hat und eine Limousine mit einer hohen Attraktivität verbunden wird, neben dem größeren Kofferraum. Aber es gibt außer der Karosserie auch andere russlandspezifische Features wie etwa ein beheizbares Lenkrad. Auch beim Tiguan ist es so, dass wir sehr stark auf eine marktgerechte Konfiguration achten. Und beide Modelle werden lokal in Kaluga produziert.

Welchen Stellenwert hat Russland für Volkswagen?

Einen strategischen. Wir Deutschen sind ja eher langfristig orientiert. Und langfristig hat Russland mit seinen 140 Millionen Einwohnern unheimlich viel Potenzial. Da sind 1,7 Millionen verkaufte Autos wie jetzt eher die Untergrenze und 2 bis 2,5 Millionen der Normalfall. Wir haben hier jedenfalls eine langfristige Strategie und wollen in Russland noch erfolgreicher werden.

Kommt Ihnen dabei entgegen, dass die Russen so aufgeschlossen gegenüber Deutschland, deutschen Waren, deutschen Auto sind?

Im täglichen Leben merke ich eine sehr große Verbundenheit zu Deutschland. Ich bin letztens von der Polizei angehalten worden und musste meinen deutschen Führerschein vorzeigen. Da hat der russische Polizist „Deutschland“ gesagt, gegrinst und mich weiterfahren lassen. Ich spüre das überall, ob im Restaurant ist oder bei den Händlern. Alle versuchen, mal ein Wort oder einen Satz auf Deutsch zu sagen, und freuen sich, wenn ich etwas auf Russisch antworte. Man hat eine hohe Affinität für Deutschland, die deutsche Kultur und das, was man mit Deutschen verbindet: Zuverlässigkeit, Organisiertheit, Strukturiertheit, Qualität. Auf dieser Basis macht man auch gern Geschäfte mit uns.

Wie ist es um die Infrastruktur für das Autofahren in Russland bestellt?

Ich bin unglaublich beeindruckt, das muss ich ganz ehrlich sagen. Die Infrastruktur, insbesondere in Moskau, ist hervorragend. Die Straßen sind breit, die Parkmöglichkeiten sind durchaus ausreichend vorhanden, man hat schon viel Verkehr, aber er läuft doch relativ geordnet ab. Ich war in der Verkehrsleitzentrale ZODD, um mir selbst mal ein Bild davon zu machen, wie er gemanagt wird. Da werden 115.000 Kameras allein für den Verkehr genutzt, davon sind 9000 hochauflösend. Es ist phänomenal, mit welcher Geschwindigkeit stockender Verkehr oder auch Verkehrsunfälle registriert werden und wie darauf reagiert wird.

Wenn man weiter rausfährt, ist es auch vollkommen vergleichbar mit europäischen Straßenverhältnissen. Dass die Straßen außerhalb von Moskaus in einem schlechten Zustand wären, ist nicht meine Wahrnehmung.

Fahren die Russen anders Auto als die Deutschen?

Meine Erwartungshaltung war, dass man hier einen etwas aggressiveren Fahrstil pflegt. So wurde mir das vorher gesagt. Das kann ich aber nicht bestätigen. Man wird genauso bereitwillig oder widerwillig in eine Schlange gelassen, wie das auch in Europa der Fall ist. Und dass sich an der Ampel mal einer vordrängelt, um bei der nächsten Grünphase als Erster loszufahren, das kenne ich zumindest von Südeuropa sehr wohl. Ich würde da gar keine großen Unterschiede machen.

Das Interview führte Tino Künzel.

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