Verbrecher als Vorbilder

Prügeln, erpressen, vergewaltigen: Die Jugendbewegung AUE glorifiziert Verbrechen und Gewalt. Nun wurde sie von Russlands Oberstem Gericht als extremistisch eingestuft - und verboten. Die wichtigsten Fakten über die Subkultur und ihren Einfluss auf russische Jugendliche.

„Einheit der Gefangenen“ (AUE): Ein Fan posiert vor einem Schriftzug der verbotenen Bewegung. (Foto: vk.com)

Was ist die AUE?

Über die genaue Bedeutung der Abkürzung AUE wird selbst unter erfahrenen russischen Kriminalisten gestritten. Ins Deutsche lassen sich die drei Initialen ungefähr mit der Parole „Einheit der Gefangenen“ übertragen. Die Losung stammt aus der kriminellen Unterwelt des zaristischen Russlands und überdauerte in Gefängnissen die gesamte Sowjetzeit. Mit der Kriminalitätswelle der 1990er Jahre wurde der Slogan zunehmend populär und zum Titel einer informellen Jugendbewegung, welche das Leben von professionellen Verbrechern, Gewalt und die russische Gefängniskultur romantisiert. AUE-Anhänger verbreiten ihre Ideologie unter Minderjährigen und erpressen in Schulen und Kinderheimen Schutzgelder, die in eine gemeinsame Kasse, den sogenannten „Obschtschak“, eingezahlt werden. Außerdem halten AUE-Aktivisten Kontakt zu einsitzenden Banditen und versorgen diese. Widerstand gegen die Sicherheitsorgane gilt als Norm. Die AUE soll etwa 34 000 Anhänger haben.

Die Ursprünge

Als Vater der AUE in ihrer heutigen Form gilt der Schwerverbrecher Jewgeni Jassin aus Transbaikalien. Der 2001 verstorbene Bandit mit dem Spitznamen „Dschem“ saß in den 1970er Jahren selbst erstmals als Minderjähriger im Gefängnis und bekam dort später den Titel eines „Wor w Sakone“ (Dieb im Gesetz) verliehen. Diesen dürfen nur besonders einfluss­reiche Unterweltführer tragen. Während seiner Haftzeiten schuf Jassin einen Kreis junger Krimineller, in welchem er zu Gewalt gegen Mithäftlinge, Mord, Vandalismus, dem Niederbrennen von Behörden und Flucht aus dem Gefängnis aufrief. Die von Jaschin geschaffene Bewegung blieb zunächst ausschließlich auf Lager und Besserungsanstalten beschränkt. In den 1990er Jahren verbreitete der Schwerbrecher seine Ideen dann in einem Ferienlager, das er mehrere Sommer hintereinander auf einer Insel im Amur abhalten konnte. Dort bekam der kriminelle Nachwuchs neben Tricks und Kniffen von Ganoven auch Kampfsporttechniken vermittelt.

In der Öffentlichkeit

Russische Medien wurden zum ersten Mal im Jahr 2011 auf das AUE-Phänomen aufmerksam. Anlass war der Überfall einer Bande von 20 Halbwüchsigen auf eine private Firma im Transbaikalgebiet. Die anschließenden Verhöre der 15-bis 22-Jährigen verblüfften selbst hartgesottene Ermittler: Die AUE-Anhänger hatten in der abgelegenen Kleinstadt ein verzweigtes Netzwerk geschaffen, um in der örtlichen Grundschule Schutzgelder zu erpressen. Dazu hatte die Bewegung in allen Klassen sogenante Aufseher in­­stallierte, welche unter Androhung von Gewalt die Gelder von den Kindern eintrieben. Einen großen Anteil der Beute leiteten die Nachwuchsmafiosi in das nächstgelegene Gefängnis weiter. Vier Jahre später zettelten 15 AUE-Anhänger einen Aufstand in einer Besserungsanstalt für Minderjährige in der Stadt Angarsk an. Dabei prügelten die Jugendlichen insgesamt vier Stunden mit Metallstangen auf Beamte und andere Mitgefangene ein, demolierten das Anstaltsgebäude und legten schließlich Feuer.

Verbrechen

Das Spektrum der von AUE-Anhängern verübten Straftaten ist breit. So wurden Anfang des Jahres in St. Petersburg fünf junge Männer in Sturmhauben festgenommen, die Passanten mit Reizgas besprühten. Im März vergewaltigten AUE-Anhänger eine Achtjährige. Diese habe sich nicht an die Spielregeln von „Wahrheit oder Pflicht“ gehalten, erklärten die beiden zwölf- und vierzehnjährigen Täter.Nur wenige Tage später riefen Besucher eines Einkaufszentrums in Kamensk-Uralski die Polizei, nachdem Jugendliche Einkaufende überfallen hatten. Beim Eintreffen der Sicherheitskräfte wurde diese angegriffen. In Nowosibirsk bedrohte ein 15-Jähriger AUE-Fan Ladenbesitzer mit einem Messer.

Im Internet

Von Moskau bis Wladiwostok: Die AUE besitzt mittlerweile in nahezu allen russischen Regionen Fans. Aber auch im Internet verzeichnete die informelle Bewegung in den vergangenen Jahren immer mehr Zulauf. So zählen Experten in russischen sozialen Netzwerken wie Vkontakte mittlerweile rund 39 000 AUE-Gruppen. Insgesamt verfolgen mehr als 6,5 Millionen russischsprachige User das Geschehen in den verschiedenen Fanforen, in denen immer wieder auch zu Gewalt gegen Polizisten und anderen Straftaten aufgerufen wird. Zudem genießt die Gruppierung auch unter Jugendlichen in den anderen postsowjetischen Staaten große Popularität. So gibt es beispielsweise in der Kaukasusrepublik Aserbaidschan rund 40 AUE-Online-Fanforen, beim Nachbarn Armenien sind es immerhin 22 und in Georgien sieben dem Thema gewidmete Seiten. In Kasachstan interessieren sich insgesamt 60 000 User für das Thema.

Birger Schütz

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