Die Könige der Unterwelt

Die Duma hat ein Gesetz zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität verabschiedet. Demnach können künftig sogenannte „Wory w Sakone“ – Diebe im Gesetz – allein für ihre Führungsposition in der kriminellen Welt verurteilt werden. Doch was ist ein „Wor“ eigentlich?

Sogenannte „Wory“ mit Danzig Baldajew, dem Erforscher der Welt der russischen Schwerkriminellen.  /Foto: www.sensum.pro

Diebe im Gesetz

Wann und wie die ersten „Wory“ auftauchten, lässt sich nicht mehr mit völliger Gewissheit feststellen. Fachleute sind sich aber einig, dass der Begriff spätestens ab den 1930er Jahren in sowjetischen Gefängnissen zirkulierte. Als „Wory w Sakone“ – Diebe im Gesetz – wurden demnach besonders einflussreiche Schwerverbrecher bezeichnet. Diese bildeten die Führungskaste in der inoffiziellen Hierarchie der Kriminellen. Ihre Anweisungen waren für die niederen Ränge der Gauner, Mörder und Betrüger absolutes Gesetz. Der Titel wurde in einer speziellen Zeremonie, der sogenannten Krönung, ausschließlich von anderen „Wory“ verliehen. Dafür musste sich der Kandidat das Vertrauen der altgedienten Autoritäten verdient haben. Selbst-Krönungen wurden mit dem Tod bestraft. Diebe im Gesetz hassten das sowjetische System und sahen sich als Hüter der sogenannten „Ponjatija“, der vorrevolutionären Traditionen der Kriminellen.

Das Diebesgesetz

Das Gesetz der Diebe ist ein System ungeschriebener Regeln, sogenannter „Ponjatija“, welche die „Wory“ und andere hochrangige Kriminelle befolgen müssen. Die inoffiziellen Vorschriften richten sich gegen alle üblichen Normen und Regeln der bürgerlichen Welt. Demnach dürfen „Wory“ beispielsweise nicht heiraten oder Familien gründen. Außerdem ist es untersagt, den Lebensunterhalt mit legaler Arbeit zu verdienen. Unter ein strenges Verbot fällt auch jegliche Kooperation mit der Staatsmacht. Die Diebe zahlen zudem in eine gemeinsame Kasse, den sogenannten „Obschtschak“, ein. Die Gelder werden von einem Anführer verwaltet und beispielsweise für die Unterstützung einsitzender Bandenmitglieder eingesetzt. Regelmäßig finden auch sogenannte „Schodki“, Gipfeltreffen mit Teilnehmern aus allen Landesteilen, statt. Auf diesen werden Geschäftsfelder aufgeteilt und sogar Urteile bei inneren Streitigkeiten gefällt.

Krieg der Hündinnen

Ab Ende des Zweiten Weltkrieges entbrannte in der Welt der sowjetischen Schwerkriminellen ein blutiger Konflikt auf Leben und Tod. Damals kehrten viele „Wory“, die sich für den Dienst an der Waffe entschieden hatten, von der Front in die Lager zurück. Die orthodoxen Hüter des Diebesgesetzes sahen in dem Dienst einen Verstoß gegen das Kooperationsverbot und bezeichneten die Rückkehrer abschätzig als Hündinnen. Die Spannungen zwischen den Gruppen eskalierten schließlich zum „Sutschja Wojna“, dem Krieg der Hündinnen, in dessen Verlauf hunderte Ganoven erstochen, erwürgt oder auf andere Weise umgebracht wurden.

Geheimsprache Fenja

Um sich vor ungebetenen Lauschern zu schützen, verständigten sich die „Wory“ auf Fenja, einer Geheimsprache mit Anleihen aus dem Russischen, Ukrainischen, Jiddischen und Griechischen, deren Wurzeln bis ins tiefe Mittelalter zurückreichen. Viele Wörter aus dem Umgangsrussischen gewinnen auf Fenja eine gänzlich neue Bedeutung. So werden Polizisten beispielsweise als „Abfall“ bezeichnet, und ein Gespräch heißt „Basar“. Menschen außerhalb der Kriminellenwelt werden als „Frajer“ bezeichnet. Fenja wurde von den Kriminellen auch benutzt, um sich in den Lagern gegenseitig zu identifizieren und den Stand in der inoffiziellen Hierarchie abzuklären.

Tätowierungen

Ein wichtiges Erkennungszeichen der Diebe im Gesetz sind ihre markanten Tätowierungen. Diese geben Auskunft über den Platz in der Hierarchie, die Dauer der Gefängnisaufenthalte, die Art der Verbrechen und sogar über die Einstellung gegenüber der Staatsmacht. So tragen Anführer beispielsweise sieben- oder achtzackige Sterne auf beiden Schlüsselbeinen, die Anzahl der Kuppeln auftätowierter Kirchen verrät die Jahre der Haftdauer und ein Dolch am Hals steht für einen im Gefängnis begangenen Mord. Wer sich mit Tätowierungen für Verbrechen schmückt, die er nicht begangen hat, wird hart bestraft und manchmal sogar ermordet. Zur Entschlüsselung der Symbolik der Gangster-Tattoos hat wesentlich der Moskauer Milizionär Danzig Baldajew beigetragen, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert mit der Entschlüsselung der Bilder beschäftigte.

Die neue Zeit

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geriet die Welt der „Wory“ heftig ins Wanken. Grund war die große Zahl jüngerer Krimineller, oft aus der Kraftsport-Szene, die überhaupt nicht daran dachten, sich bei ihren Raubtouren an den strengen Kodex zu halten oder auch nur in den „Obschtschak“ einzuzahlen. Die Neulinge wurden als Gesetzlose bezeichnet und kamen zu Dutzenden bei Schießereien, Messerstechereien und anderen Auseinandersetzungen mit den alten Autoritäten zu Tode. Die Überlebenden arrangierten sich mit den überlieferten Regeln oder beschränkten sich künftig auf legale Geschäfte.

Der Staat reagiert

Bisher gab es keine juristischen Voraussetzungen, um die „Wory“ für ihre führende Stellung in der Verbrecherwelt zu belangen. Im russischen Strafgesetzbuch fehlte ein entsprechender Artikel, der das alleinige Tragen des Titels unter Strafe stellt. Diese Lücke soll das von der Duma im März verabschiedete Gesetz nun ausgleichen.

Birger Schütz

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