Ein Licht im Dunkel

Vor über drei Jahrzehnten gründete Maria von Moltke die St. Petersburger „Stiftung Rehabilitation des Kindes“. Das Behandlungszentrum für Kinder mit Zerebralparese lebt ausschließlich von Spenden teils hochrangiger Personen. Die Stifterin im Porträt.

Maria von Moltke
Maria von Moltke: über 30 Jahre im Einsatz für kranke Kinder (Foto: privat)

In Zeiten der andauernden Corona-Krise, die mit noch unübersehbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen die Welt überfallen hat, müsste das individuelle Bewusstsein für die Notwendigkeit einer humanitären Solidarität ohne Grenzen gleichsam zu einer menschlichen Grundverpflichtung werden. Dabei ist die persönlich engagierte, gegenseitige Hilfsbereitschaft, unter welchen nationalstaatlichen Rahmenbedingungen auch immer, schon zu weit ruhigeren Zeiten wie diesen, unabdingbar für eine halbwegs friedlich funktionierende Gesellschaft. Wo Regierungspolitik und staatliche Fürsorge vernachlässigt oder gänzlich versagt, da muss das ausgeprägte soziale Gewissen Einzelner eingreifen.

Gerade das zeichnet ihr Beispiel aus: Maria von Moltke, Gründerin und seit über 30 Jahren Vorsitzende der St. Petersburger „Stiftung Rehabilitation des Kindes“, einem Behandlungszentrum für Kinder mit Zerebralparese – bekannt als Spastiker – und seit 1998 eine privat-russische Stiftung, die erst vor Kurzem in einer Erhebung der internationalen Rating-Agentur RAEX bezüglich Transparenz und Administration unter 293 „NGOs“ auf den bemerkenswerten dritten Platz kam.

Flucht vor der Oktoberrevolution

Die registrierte „NGO“ ist überlebenswichtig angewiesen auf möglichst großzügige Gönner und Spender. Zu Hochzeiten reichte das Budget täglich dann auch für die kostenlose Therapie von bis zu 100 hilfsbedürftigen Kindern aus ganz Russland – von „winzig“ bis 18 Jahren. In den letzten drei Jahrzehnten konnten an die 8000 Kinder erfolgreich „auf die Beine gestellt und beweglich gemacht werden“, freut sich Maria von Moltke.

Der durchhaltend-rege bilaterale Gemeinsinn der heutigen Berlinerin erklärt sich vor allem aus einer turbulenten Familiengeschichte, die durch historische Ereignisse im letzten Jahrhundert geprägt wurde. Ihr Vater war Russe, ihre Mutter Russin mit französischen Vorfahren. Sie flohen 1917 vor der Oktoberrevolution. Tochter Maria wurde in Belgrad geboren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs entzog sich die Familie Atriaskin folgerichtig dem sowjetischen Einfluss und zügelte über Österreich ins bayerische München, wo sie ihre Kindheit verbrachte.

Von Amerika über London nach Hamburg

Des Vaters eigener Baufirma ging es dort zwar gut, aber trotzdem zog es ihn mit Familie in den 1950er Jahren über den großen Teich, genauer gesagt in eine russische Emigrantenenklave in Sea Cliff auf Long Island/New York. In den USA absolvierte Maria dann erfolgreich ihre Hochschulausbildung mit einem Master Degree (MA) von der Universität Yale. Wohin es die Familie auch verschlug: Halt fand sie immer in ihrer russischen Abstammung: in Sprache, Kultur und im unerschütterlichen russisch-orthodoxen Glauben.

Ihre berufliche Tätigkeit führte Maria schließlich in den 1960ern zurück nach Europa. In London heiratete sie Wulf von Moltke, zu Zeiten Repräsentant einer bedeutenden deutschen Stahlfirma auf den britischen Inseln. Sie wurden Eltern zweier Söhne, der Haushalt wurde zu einem treudeutschen, des Ehemanns Berufsweg führte später hinüber nach Hamburg. Dort, Ende der 1980er, schloss sich in gewissem Sinne ihr familiärer Lebenskreis: Fall der Berliner Mauer, Auflösung der Sowjetunion.

Engagement in Russland

Für Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg gehörte sie zu den gefragten Pionieren bei der karitativen Organisation dringend benötigte Hilfsgüter – mit ihrer tiefrussischen Seele und ihren perfekten Sprachkenntnissen. Durch reinen Zufall traf sie auf den St. Petersburger Arzt Gennady Romanow, der als ausgewiesener Experte unter menschenunwürdigen Verhältnissen in einem heruntergekommenen Hospital an Zerebralparese Leidende therapierte, und dessen Ehefrau Elena.

Schnell wurden die zwei zu aktiven Gründungsmitgliedern der spontanen Privatinitiative der Maria von Moltke. Neu gegründete Werkstätten für orthopädische Schuhe, Einlagen und Körperstützen kamen hinzu. Und mit der Zeit außer finanziellen Zuwendungen von internationalen sozialen Institutionen, Stiftungen, großen und kleinen Unternehmen und privaten Förderern auch die tatkräftige Unterstützung hochgestellter Persönlichkeiten wie Ernst-Jörg von Studnitz und seiner Ehefrau Polly – selbst Therapeutin – von 1992 bis 2005 deutscher Botschafter in Moskau, Wladimir Michailowitsch Grinin, von 2010 bis 2018 russischer Botschafter in Berlin, dem Russlanddeutschen German Gref, als er von 2000 bis 2007 Wirtschaftsminister hierzulande war.

Gelder werden knapp

Es ist zu hoffen, dass vielleicht gerade während der derzeit alles beherrschenden Pandemie auch der Hilferuf kleinerer, aber nicht minder wichtiger sozialer Projekte nicht gänzlich überhört wird. Selbst im Spätherbst ihres erlebnisreichen Lebens lässt sie nicht nach, in ihrem Netzwerk rund um den Globus, besonders aber bei deutschen Firmen, mit entschlossener, klarer Stimme um Unterstützung für ihr Lebenswerk zu bitten – wenn’s sein muss in sechs Sprachen: Russisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Serbisch.

Denn in diesen Tagen und nach zwangsweise viermonatiger Schließung reichen die Gelder gerade noch zur medizinisch-therapeutischen Betreuung für 20 Kinder, 30 mehr könnten derzeit eigentlich aufgenommen werden. Eine starke, mutige Frau, die schließlich selbst oft genug in ihrem Leben auch viel Leid und Armut durchzustehen hatte. Ihr anerzogener christlicher Glaube hat geholfen, zu helfen. Immer. So wird die leidenschaftliche Russisch-Deutsche, wie sie sich sieht, Maria von Moltke, nicht lockerlassen. Nie: „Ich lebe in der Gegenwart und für die Zukunft und ruhe mich in der Vergangenheit aus.“

Spendenkonten der Stiftung finden Sie hier.

Frank Ebbecke

Stiftung Rehabilitation des Kindes
Die Einrichtung könnte noch weitere Kinder aufnehmen. (Foto: Stiftung Rehabilitation des Kindes)
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