Ukraine vor der Stichwahl: Von Schaschlyk und Verrätern

In der Ukraine läuft der Wahlkampf um das Amt des Präsidenten heiß. Am 21. April findet die Stichwahl zwischen Amtsinhaber Petro Poroschenko und dem Komiker Wolodymir Selenskij statt. Heute treffen sich die beiden Kandidaten zum Rededuell im Kiewer Olympiastadion. Herausforderer Selenskij hatte im ersten Wahlgang mit 30,24 Prozent fast doppelt so viele Stimmen geholt wie Poroschenko. Danach rechneten Journalisten aus dem Poroschenko-Lager in den sozialen Netzwerken schon mal mit den Wählern ab.

In bislang 28 postsowjetischen Jahren wurde Russland von nur drei Präsidenten regiert – und keiner je abgewählt. Boris Jelzin trat 1999 zurück und räumte das Feld zu Gunsten von Wladimir Putin. Dieser wiederum machte Dmitrij Medwedew zu seinem Nachfolger, als er 2008 entsprechend der russische Verfassung nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte. 2012 kehrte Putin nach vier Jahren als Premierminister in den Kreml zurück und tauschte mit Medwedew die Ämter.

Im selben Zeitraum erlebte die Ukraine fünf Präsidenten. Nur einer davon, der als „russlandfreundlich“ geltende Leonid Kutschma, erhielt das Mandat für eine zweite Amtszeit und legte bei seiner Wiederwahl 1999 sogar noch an Stimmanteilen gegenüber 1994 zu. Alle anderen – Leonid Krawtschuk, Viktor Juschtschenko, Viktor Janukowitsch, Petro Poroschenko – verloren massiv an Unterstützung. Nahezu sämtlichen Kredit verspielte in seinen fünf Regierungsjahren Juschtschenko, der im Zuge der „Orangen Revolu­tion“ 2005 mit 51,99  Prozent an die Macht kam und sich 2010 mit nur noch 5,45 Prozent in die politische Bedeutungslosigkeit verabschiedete. Janukowitsch, der ihn ablöste, floh vier Jahre später nach Russland. Und auch Poroschenko, der 2014 mit 54,7 Prozent gleich im ersten Wahlgang triumphierte, wäre fast in der Versenkung verschwunden, als er am 31. März erneut antrat. 15,95 Prozent der Stimmen gab ihm das Wahlvolk noch – ein Debakel. Dass Poroschenko damit immerhin die Stichwahl erreichte, ist nur medialem Begleitschutz und dem Mangel an fähiger Konkurrenz geschuldet.

Die Ukraine hat gewählt – aus einer überlangen Liste mit den Namen von 39 Kandidaten. Für die Stichwahl sind davon zwei Namen übriggeblieben: Poroschenko und Selenskij. @ RIA Novosti

Man kann es für einen Ausweis demokratischer Verhältnisse und einer intakten Zivilgesellschaft halten, wenn ein Präsident nach dem anderen beim Versuch der Wiederwahl scheitert, gerade mit Blick auf Russland, wo das von vornherein ausgeschlossen erscheint. Vor allem aber zeugt die Geschichte der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine von breiter Unzufriedenheit, uneingelösten Versprechen und enttäuschten Hoffnungen.

Wie scharf dabei die gesellschaftlichen Gegensätze sind und mit welchen Bandagen gekämpft wird, zeigte sich nach der Wahlschlappe Poroschenkos in der Rhetorik derer, die für ihn geworben und ihn vor allem für seine kompromisslose Haltung gegenüber Russland verteidigt hatten. Der Fernsehjournalist Taras Beresowez deutete das Ergebnis auf seiner Facebook-Seite so: „Mehr als die Hälfte der Ukrainer fühlt sich nicht als Bürger dieses Landes. Das sind keine Bürger, das ist Bevölkerung.“

Kräftig vom Leder zog auf Facebook und im LiveJournal wie üblich der Journalist und Blogger Arkadij Babtschenko, der es im vergangenen Jahr weltweit in die Nachrichten geschafft hatte, als er zusammen mit dem ukrainischen Geheimdienst seine eigene Ermordung vortäuschte  – angeblich um von Moskau beauftragte wahre Attentäter auffliegen zu lassen. Danach empfing ihn Poroschenko vor laufenden Kameras.

Babtschenko, der sich als Kriegsreporter zunächst einen Namen in Russland gemacht hatte, lebt seit gut anderthalb Jahren in Kiew. Wiederholt hat er erklärt, nach Moskau erst nach dessen „Befreiung“ durch die Nato zurückkehren, „auf dem ersten Abrams-Panzer, der über die Twerskaja rollt“. Zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine schrieb Babtschenko, 60 Prozent Wahlbeteiligung bei „historischen Wahlen“ – damit könne man schon einpacken. „Fast der Hälfte der Leute ist alles egal. Einfach scheißegal. Die Zukunft, das Land, ob man nun Putin kriegt, Poroschenko, Bojko, die Ukraine, Malorossija, Russland – sie kümmert das nicht. Schaschlyk auf der Datscha ist wichtiger.“

Von der anderen Hälfte hätten die meisten für Kandidaten gestimmt, die mit Russland verhandeln wollten, „also aufgeben“. Für zwei Drittel seien „Staatlichkeit, Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine“ letztlich keine „national bestimmenden Werte“ geworden.

Noch weiter ging Ajder Muschdabajew, auch er ein früherer russischer Journalist und seit 2015 in der Ukraine, wo er stellvertretender Chef des krimtatarischen Fernsehkanals ATR ist. Als am Wahlabend die Exit Polls bekannt wurden, postete er auf Facebook eine Karte der Ukraine mit den Stimmanteilen des Siegers Wolodymir Selenskij und kommentierte, das sei eine Illustration dessen, dass man mit „gewöhnlichen Verrätern“ in einem Land lebe. Es gebe offenbar keinen anderen Ausweg, als zu „schießen“, auch wenn die „neue Revolution“ weitere Gebietsverluste bedeute. Später löschte Muschdabajew den Post und entschuldigte sich.

Während der Rückhalt für Poroschenko so gering war, dass er nur in zwei Provinzen in der Westukraine die Mehrheit erringen konnte (in Lwiw mit 35 Prozent und in Ternopol mit 24 Prozent), holte sein ärgster Widersacher Selenskij in 19 Provinzen und in der Hauptstadt Kiew die meisten Stimmen. Seine besten Resultate fuhr der politisch völlig unerfahrene Komiker und Fernsehproduzent im Osten und Süden des Landes ein, mit Dnepr (45 %) und Odessa (41 %) an der Spitze. Am 21. April kommt es nun zur Stichwahl zwischen Selenskij und Poroschenko. Der Oppositionskandidat Alexander Wikul, auf den im ersten Wahlgang 4,15 Prozent entfielen, schrieb auf Facebook, das sei ein Duell des „absoluten Bösen gegen die absolute Ungewissheit“.

Tino Künzel

 

Keine Sehnsucht nach russischem Selenskij

Täte Russland ein Präsident vom Schlage Wolodymir Selenskijs gut? Das fragte das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM seine Respondenten. Mit „eher ja“ antworteten acht Prozent der Befragten, mit „eher nein“ 73 Prozent. Am meisten halten vom Favoriten der ukrainischen Präsidentschaftswahl Vertreter von außerparlamentarischen Parteien: Immerhin 16Prozent könnten sich einen russischen Selenskij im Kreml vorstellen. In der Stichwahl sind die Sympathien der Russen laut der Umfrage klar verteilt: Für 31Prozent gelten sie Selenskij, für lediglich ein Prozent Poroschenko. Eine große Mehrheit (63%) gab an, es mit keinem der beiden Kandidaten zu halten.

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