Tomsker Rechnung: Was das Leben kostet und was man nicht kaufen kann

Wenn Sie wissen wollen, wer die Königinnen von Sibirien sind, dann lesen Sie einfach diesen Text bis zum Schluss. Matthias Frey, ein Deutscher im sibi­rischen Tomsk, schreibt in seiner MDZ-Kolumne diesmal über Lebenshaltungskosten.

In den Lebensmittelgeschäften fehlt es an nichts. Man muss es sich nur leisten können. (Foto: Matthias Frey)

Als ich vor 16 Monaten mit meinen Ersparnissen nach Tomsk kam, fühlte ich mich am Anfang wie der König von Sibirien. Wenn man hier arbeitet und lebt, sieht es allerdings etwas anders aus. Meine Frau und ich kommen zusammen auf ca. 100.000 Rubel (etwa 1100 Euro) im Monat und gehören damit eigentlich zu den Besserverdienern. Nach Abzug aller laufenden Kosten bleibt trotzdem nicht viel übrig.

Als Privatlehrer verdiene ich mit 1000 bis 1500 Rubel pro Stunde (11 bis 16,50 Euro) recht gut im Vergleich zu meinen Kollegen. Unsere Mathe-Nachhilfe kommt für 500 Rubel (5,50 Euro) zu uns nach Hause. Die Putzfrau und die Nanny bieten ihre Dienste sogar schon ab 100 Rubel (1,10 Euro) an.

Taxi oder Stadtbus, Pizza oder Döner?

Mindestens einmal pro Woche gönnen wir uns eine Pizza beim Italiener für 500 Rubel oder gehen auf ein Bierchen (0,3 Liter) für 150 Rubel in einen der drei Irish Pubs. Mit dem Taxi kostet die 20-minütige Fahrt in die Stadt von unserem Randbezirk aus 200 Rubel (2,20 Euro). Diesen Luxus gönnen wir uns ab und zu. Ansonsten kann man auch den Stadtbus für 23 Rubel (0,25 Euro) nehmen und sich mit einem Döner oder Blini für 150 Rubel begnügen.

Matthias Frey schreibt in der MDZ über Land und Leute in Russland

Ich würde sagen, dass die Mehrheit der Tomsker ganz gut über die Runden kommt. Die Miete entfällt für die meisten, da im Zuge der Privatisierungen in den 90ern viele Eigentumswohnungen verschenkt oder günstig verkauft wurden. Der Steuersatz ist mit 13 Prozent niedrig und der für Tomsk veranschlagte Nordkoeffizient von 1,3 (ein Ausgleich für die klimatisch bedingt erschwerten Arbeits- und Lebensbedingungen) sorgt für einen Lohnzuschlag. Dass die Mittelschicht wächst, spiegelt sich unter anderem auf den Straßen wider: Die alten Ladas weichen zunehmend passablen Mittelklassewagen.

110 Euro Rente

Obwohl die Lebenshaltungskosten relativ moderat ausfallen, ist es eine Herausforderung, vom Lohn etwas zurückzulegen – von der Rente ganz zu schweigen. Unsere Oma, die gegenüber lebt, hat ihr Leben lang als Tierärztin gearbeitet. Aus der Rentenkasse bekommt sie knapp 10.000 Rubel, also ungefähr 110 Euro. Damit den Lebensunterhalt zu bestreiten, geht nur mit Sparsamkeit und Bescheidenheit. Meine Schwiegermutter kauft Wasser für drei Rubel pro Liter vom Automaten und weiß immer, wo gerade die Äpfel oder der Buchweizen im Angebot sind. Wie eine stolze Jägerin präsentiert sie uns jedes Schnäppchen, das sie günstig erbeutet hat.

Im Sommer werden Pilze, Kräuter und Beeren gesammelt, die dann als Vorrat für den Winter dienen. Im Restaurant zu essen, kommt für Oma nicht in Frage. Lieber lädt sie uns zu sich nach Hause ein, das sei billiger, sagt sie. Wobei dann trotzdem aufgetischt wird, als gäbe es kein Morgen.

Teurere Anschaffungen und Dienstleistungen werden nach Möglichkeit umgangen. Anstatt den Friseur für 1000 Rubel in Anspruch zu nehmen, schneidet sich Oma selbst die Haare. Und als sie ein neues Sofa brauchte, haben wir ihr eines gekauft.

Einmal nach Thailand

Neulich waren wir wieder bei ihr zum Essen eingeladen. Es roch gut, als sie uns die Tür aufmachte und uns in ihrem verwaschenen „I love Phuket“-T-Shirt hereinwinkte, einem Andenken an ihren einzigen Urlaub. Wenigstens einmal hatte sie etwas Anderes sehen wollen als die eigenen vier Wände im Wohnblock. Wir haben damals alle zusammengelegt, um ihr diesen Traum zu erfüllen.

Die liebste russische Lebensweisheit unserer Oma lautet „Nicht im Geld liegt das Glück“. Viel wichtiger seien Werte wie Treue und Zuverlässigkeit. Wie zur Bestätigung beklagt sie sich trotz ihres spartanischen Lebens nicht. Sie fühlt sich wohl hier, hat alles, was sie braucht, und ist mit ihrer Situation zufrieden. Leute wie Oma sind die wahren Königinnen von Sibirien – nicht reich, aber stark und weise.

Gekocht hatte sie für uns übrigens Lammeintopf mit Gemüse, ihre Spezialität. Nur 300 Rubel habe das Kilo Lamm gekostet, verkündete die Schnäppchen-Jägerin. Der Eintopf nach Großmutters Art hat allen geschmeckt. Welch ein Glück, so eine Oma zu haben!

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