Soloj tanzt mit Haube

Jenseits von krachledernen Klischees und inspiriert von Jahrhunderte alten Traditionen: Drei junge Designerinnen aus Moskau und Karelien haben eine Modekollektion entworfen, die an die Trachten der Russlanddeutschen angelehnt ist.

Traditionelles ganz modern: Auch Hauben gehören zu der russlanddeutschen Modekollektion. (Foto: Aljona Ignojewa)

Weder tief ausgeschnittene Dirndl, noch Spitzenschürzen oder stramme Lederhosen mit Hosenträgern: Die Modekollektion „Soloj, Göttin des Tanzes“ widerspricht weit verbreiteten Klischees über deutsche Trachten und steht für eine traditionell inspirierte Mode jenseits des Oktoberfestes.

Am Anfang war ein Jubiläum

Begonnen hatte alles im Jahr 2018. Damals bereitete Lidija Knoll, Vorsitzende der Petrosawodskaer „Nationalkulturellen Autonomie der Deutschen“ sowie Leiterin des Tanzensembles „Volkskarussell“, das 20-jährige Jubiläum ihrer Tanzgruppe vor. „Schon länger träumte ich davon, Tänze der Deutschen Sibiriens auf die Bühne zu bringen“, erzählt Lidija Knoll. Diese Stücke solle man aber auch in den entsprechenden Trachten aufführen. Lidija Knoll schrieb Förderanträge, um Geld für ihr Projekt zu sammeln. Beim Ministerium für nationale und regionale Politik der Republik Karelien stieß ihr Vorhaben auf offene Ohren, die Behörde genehmigte finanzielle Unterstützung. Das Projekt bekam den Namen „Neuer Raum für Traditionen“. Jedoch wurde das Konzept erweitert. Nun ging es nicht mehr ausschließlich um traditionelle Trachten für das Tanzensemble. Auch moderne Mode mit Anleihen bei den Traditionen der Völker Kareliens sollte entstehen – darunter auch der Russlanddeutschen. Auf dieser Erweiterung der Ursprungsidee bestand Jewgenija Makkojewa, die kreative Leiterin des Projektes. Sie will in der Region die Modebranche voranbringen.

Ein Impuls für Kareliens Designer

„Die Situation in Karelien ist schwierig“, erklärt die Designerin, „die Kreativindustrie befindet sich noch in einem rudimentären Zustand, es gibt nur wenig staatliche Unterstützung.“ Alles beruhe ausschließlich auf privater Initiative. „Das Handwerk als Ausdruck der Kultur wird unterstützt – aber für seine Modernisierung wird nichts getan“. Die Entwicklung einer Modekollektion mit traditionellen Anleihen könnte auch andere karelische Designer zu eigenen Schöpfungen inspirieren, hofft Makkojewa. Bei ihrer Arbeit wird die Modeschöpferin von Lada Dymkina aus Petrosawodsk und Mascha Andrianowa aus Moskau unterstützt. Die Frauen kennen sich aus gemeinsamen Projekten. Bei ihren Entwürfen lassen sich die Schneiderinnen von russlanddeutschen, litauischen und karelischen Trachten inspirieren. Für Jewgenija Makkojewa und Mascha Andrianowa war die Arbeit auch ein persönliches Anliegen – beide Frauen haben deutsche Wurzeln. „Deshalb wollte ich mich möglichst genau mit allem auskennen“, erklärt Mascha. Auf ihrer Suche nach Inspiration beschäftigten sich die Frauen daher intensiv mit der Kultur der Russlanddeutschen, ihren Tänzen und traditionellen Liedern. „Trachten sind im Alltag ja nicht mehr so verbreitet und auch die jungen Leute werden sie nicht tragen“, erzählt Mascha. „Deshalb mussten wir alles etwas modernisieren, um attraktiv zu wirken.“

Die an einen Kaftan erinnernden Männerjacken sind mittlerweile auch in Moskauer Geschäften zu finden. (Foto: Aljona Ignojewa)

Modeschau in einer Scheune

Als Ergebnis dieser Beschäftigung ist nun eine leichte Modelinie entstanden, in deren Stücken man sich unbeschwert und locker bewegen kann und die sich daher gut für die Freizeit eignet. Aber auch auf der Arbeit machen sich die unkomplizierten Kreationen gut. Kleider, Jackets, Hauben, Westen, Hemden, Hosen, Überröcke wurden aus Stoffen in ruhigen Farbtönen in sechs Monaten von Hand genäht. Die dabei verwendeten Knöpfe, Verschlusshaken und Gürtelschnallen stellte der Petrosawodskaer Künstler Alexej Pyrjakow aus Messing und Kupfer her. Der Name der Kollektion – „Soloj, Göttin des Tanzes“ – atmet lokales Kolorit. Er leitet sich von einem traditionellen karelischen Frauennamen ab. „In der Folklore gab es eine solche Göttin eigentlich gar nicht“, erklärt Lada Dymkina. „Wir haben sie ausgedacht – und damit existiert sie jetzt!“ Erstmals wurde die Kollektion in einer Scheune im karelischen Dorf Widany vorgeführt. Dort fand im November 2019 eine Modenschau zum 20-jährigen Jubiläum des Tanzensembles „Volkskarussell“ statt. Die Modeschöpfer und einige Freiwillige traten selbst als Models auf. Die Röcke, Hemden und Hosen mit deutschem Einschlag kamen gut an. Jewgenija, Lada und Mascha ernteten viel Lob vom Publikum. Besonders beliebt sind die Hemden sowie gesteppte Hauben, die sogar von Kunden aus Schweden bestellt werden. Die an einen Kaftan erinnernden Hemden für Männer sind mittlerweile auch in Moskauer Geschäften zu finden. Maßanfertigungen ihrer Stücke versenden die Schneiderinnen ins gesamte Land. Wer die traditionell inspirierte Mode einmal selbst unter die Lupe nehmen möchte, kann sich im Internet auf folgenden Seiten umschauen:

Lada Dymkina: vk.com/designiremeslo
Jewgenija Makkojewa: instagram.com/designiremeslo
Mascha Andrianowa: mashaandrianova.com

Ljubawa Winokurowa

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