Schimpf und Schande: Olympia aus russischer Sicht

Das gab es seit Zarenzeiten nicht mehr: Nur 15 russische Sportler starten bei den Olympischen Sommerspielen. Und auch das nicht für Russland, sondern nur für sich selbst. In der Heimat haben sich viele vorgenommen, die Pariser Olympiade unmöglich zu finden. Und sie fingen gleich bei der Eröffnung damit an.

Paris und der Triumphbogen stehen diesen Sommer im Zeichen der olympischen Ringe. (Foto: Wikimedia Commons)

Im ewigen Medaillenspiegel der Olympischen Sommerspiele von 1896 bis 2021 nimmt Russland den zweiten Platz ein. Mit einigem Abstand zu den USA zwar, aber immerhin. Leistungssport wurde in der Nation schon immer großgeschrieben. Man hatte sich und anderen ständig etwas zu beweisen. Und nun, wo Russland von den Spielen in Paris ausgeschlossen ist und nur 15 Einzelsportler in einem neutralen Status dort an den Start gehen, ohne Flagge und Hymne, da überzeugen sich viele nur zu gern davon, dass diese Olympiade sowieso keinen Pfifferling wert ist. Zumal sie im russischen Fernsehen erst gar nicht übertragen wird.

Dass es keine bewegten Bilder vom Olympiaort gibt, ist das erste Mal seit 40 Jahren. Damals, während der von der Sowjetunion boykottierten Olympiade 1984 in Los Angeles, schickte die Sportzeitung „Sowjetski Sport“ ihren Korrespondenten von Moskau nach Tallinn. Dort konnte man das finnische Fernsehen empfangen und Reportagen zum Geschehen verfassen. Derweil übertraf sich die Sowjetpresse in Berichten, was für unhaltbare Zustände doch in Los Angeles herrschen, erst recht im Vergleich zu Moskau vier Jahre zuvor.

Viel scheint sich seitdem nicht geändert zu haben. Für die öffentliche oder zumindest die veröffentlichte Meinung scheint Olympia 2024 mehrheitlich ein Sinnbild für den Verfall der Sitten in Europa zu sein. Nachfolgend einige ausgewählte Stimmen zur Eröffnungsfeier.

„Das kulturelle Europa und das Frankreich, von dem wir in den Büchern von Dumas, Hugo und Jules Verne gelesen haben, sind am Ende. Heute stehen sie für wüste und hässliche Tänze, für Vulgarität und Unzucht, für Geschmacklosigkeit. Mit dieser Olympiade wird das Europa der Kultur vor den Augen der gesamten Welt zu Grabe getragen.“ (Anna Kusnezowa, stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma, in ihrem Telegram-Kanal)

„Es gab da total abstoßende Momente. Und die Hauptsache: So etwas verbieten die Gesetze unseres Landes. Bloß gut, dass unsere Zuschauer das nicht gesehen haben.“ (Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber TASS)

„Die Menschheit muss diesen Wahnsinn stoppen und sich Schönheit und Grazie zurückholen (noch mal die Eröffnungsfeier von Sotschi schauen). […] Ich habe nicht vor, diese Olympiade zu verfolgen. Sie interessiert weder mich noch die Mehrheit der Russen, wie Umfragen gezeigt haben. Ich bin froh, dass die Spiele nicht im Fernsehen laufen. Gut, dass die ganze Welt gesehen hat, in welchen Abgrund man uns stürzen will. Und warum wir dagegen kämpfen müssen.“ (Sergej Karjakin, Vize-Schachweltmeister 2016, in einer Kolumne für die Sportzeitung „Sport-Express“)

„Wie sehr sich die Organisatoren auch bemühen: Es klappt einfach nichts. Die Pariser sind dagegen, die Gäste unzufrieden. Auf den Straßen Dreck, Bettler, Obdachlose, Diebstähle. Und das ist erst der Anfang. Die wissen einfach nicht, wie man Veranstaltungen dieser Größenordnung organisiert. Aber warum haben sie sich dann dafür beworben?“ (Dmitri Swisch­tschjow, Vorsitzender des Ausschusses für Körperkultur und Sport in der Staatsduma, auf „Match TV“)

„Wieder einmal kann man sich nur freuen, wie die SWO (die „militärische Sonderoperation“ in der Ukraine – d. Red.) unser Land und, davon bin ich überzeugt, die Welt als Ganzes verändert. Wobei mich ehrlich gesagt die im Sterben liegende europäische Zivilisation – genauer gesagt die westeuropäische – zutiefst kalt lässt. Ihre Zeit ist gekommen. (German Kulikowski, Militärblogger mit über 600.000 Followern auf seinem Telegram-Kanal „Starsche Eddy“)

Tino Künzel

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