Säure, Jugend, Berlinale

Auf der Berlinale tritt Russland in diesem Jahr mit den beiden Filmen „Acid“ und „A Russian Youth“ an. Für Kritiker Anton Dolin ist allein das schon ein Erfolg. Ein Gespräch über die wichtigsten Kinotrends.

Der bekannte russische Kinokritiker Anton Dolin erklärt die neuesten Kinotrends.  /Foto: img.tv3.ru

War die Teilnahme von „Acid“ an der Berlinale ein logischer Schritt?
Ja, das war eine schlüssige Entscheidung. In diesem Film gibt es eine starke jugendliche Energie, die manche auch Aggression nennen würden. Das entspricht dem Geist Berlins und der Berlinale. Zum anderen wird Kirill Serebrennikow in Deutschland sehr geschätzt, er hat hier eine Menge Aufführungen gehabt, sein Schicksal wird von vielen verfolgt. Dass der Film von einem seiner Schüler (Anm.d.Red.: Regisseur Alexander Gortschilin ist Schauspieler im von Serebrennikow geleiteten Gogol-Zentrum.) und vielen Mitarbeitern des Gogol-Zentrums gedreht wurde, war natürlich ein wichtiger Faktor für die Berlinale. Das heißt nicht, dass der Film nicht auch sonst genommen worden wäre. Aber die Umstände halfen. Die Geschichte des zweiten Films „A Russian Youth“ ist ähnlich (Anm.d.Red.: Regisseur Alexander Solotuchin). Den ganzen Streifen durchweht die Aura von Alexander Sokurow. Sein Name ist weit bekannt und sein Werk wird geschätzt. Da die Filme der meisten seiner Schüler auf Festivals große Erfolge feiern, wurde auch „A Russian Youth“ gern genommen.

Warum gibt es auf der Berlinale diesmal so wenig russische Filme?
Zwei Filme sind gar nicht so wenig. Immerhin ist die Berlinale ein Festival mit Filmen aus aller Welt. Zwei russische Filme in zwei von drei Hauptprogrammen (Anm.d.Red.: Panorama und Forum) sind durchaus ein gutes Resultat. Beim Kino sieht sich Russland immer noch zu sehr als Sowjetunion, wo es eine große Kinotradition gab, die weltweit Anerkennung und Bewunderung einforderte. Heute ist der Betrieb aber wesentlich kleiner und deshalb sind zwei Debütfilme auf der Berlinale ziemlich gut. Vor allem, wenn wir noch berücksichtigen, dass Russland im vergangenen Jahr am Hauptwettbewerb teilgenommen und einen Preis gewonnen hat. Das gelingt eben nicht in jedem Jahr.

Gibt es russische Filme, die Sie auf der Berlinale vermisst haben?
Ich weiß ja nicht, welche Filme bis zum Festival  sonst noch fertig waren. Aber mir hat „Sheena667“ von Grigorij Dobrygin sehr gut gefallen. Der Film wurde im Januar beim Kinofestival in Rotterdam gezeigt. Das ist ein ziemlich experimenteller Streifen, der für die Berlinale nicht so gut gepasst hätte. Ihm fehlte das politische Bewusstsein, welches für deutsche Festivals wichtig ist. Die Berlinale ist ein sozial und politisch engagiertes Festival, rein künstlerische Filme können zwar in den Wettbewerb kommen, haben aber meist keine Chance auf den Hauptpreis. Ich kann mich zumindest an kein einziges Beispiel in der letzten Zeit erinnern.

Auf der Berlinale ging es in diesem Jahr auch viel um die Probleme von Regisseurinnen. Allerdings stammen 10 von 17 Filmen Hauptprogramms weiblicher Hand. Haben es Frauen in der Branche wirklich so schwer?
In Europa nicht, in Amerika aber schon. Berlin war gegenüber Frauen schon immer sehr aufmerksam. Vergessen wir nicht, dass die sowjetische Regisseurin Larissa Schepitko hier für „Aufstieg“ einen Goldenen Bären bekam. Kira Muratowa wurde für „Das asthenische Syndrom“ auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären geehrt. Auch im vergangenen Jahr gewann in Berlin eine Frau. In Russland sieht es mit Filmen junger Frauen auch nicht schlecht aus. Wir haben Regisseurinnen wie Anna Melikjan, Walerija Gaj-Germanika, Nigina Saifulajewa, Oksana Bytschkowa und Natalija Meschtschaninowa.

Gibt es bestimmte Themen, die russische Regisseure besonders interessieren?
Generelle Themen gibt es nicht. Das russische Kino ist sehr verschieden. Aber es gibt eine allgemeine deprimierende Erscheinung: die Furcht vor heißen Eisen und aktuellen Themen. Die Regisseure flüchten sich davor in Stilisierungen, abseitige Genres, in die Vergangenheit oder in die Zukunft. Hauptsache weit weg von der Realität. Das ist wahrscheinlich eine politische Tendenz. Die Künstler wollen sich gegen alle Eventualitäten schützen und suchen sich dementsprechende Themen.

Das Gespräch führte Ljubawa Winokurowa.

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