Trotz verlängerter EU-Sanktionen bleibt Russland für ausländische Investoren attraktiv. Laut einer vor kurzem veröffentlichten Studie von Ernst und Young gehörte Russland 2015 damit überraschenderweise zu den Top-8-Zielen ausländischer Direktinvestitionen (ADI).
Insgesamt 201 Projekte wurden der Studie zufolge im Jahr 2015 umgesetzt – 10-Jahres-Rekord. Dies bedeutet eine Steigerung von 61 Prozent im Vergleich zu den 125 Projekten des Vorjahres. Die weiterverarbeitende Industrie ist dabei der „Magnet“ ausländischer Finanzspritzen: 171 Investitionsprojekte und 96 Prozent aller geschaffenen Arbeitsplätze fielen in diesen Bereich. Dies entspricht einem Anstieg von 80 Prozent gegenüber 2014. Doch auch der Agrarsektor erfreut sich steigender Beliebtheit. Begünstigt durch das Dauertief des Rubels, ist Russland zusätzlich durch niedrige Gehälter attraktiv für ausländische Unternehmen: Das Lohnniveau sank in diesem Zeitraum um etwa 40 Prozent im Vergleich zur EU.
EU und USA mit meisten Projekten
Vor allem europäische, aber auch amerikanische und chinesische Investoren sind an Russland interessiert. Allein 106 von 201 Projekten 2015 sind EU-finanziert. Das entspricht mehr als der Hälfte und einem Wachstum von 77 Prozent. Aufgeteilt nach Mitgliedsländern nehmen Deutschland (36), Frankreich (20) und Italien (12) die vorderen Ränge ein. Außerhalb der EU dominieren USA (29) und die VR China (12). Nach geschaffenen Arbeitsplätzen sieht die Statistik 2015 wieder ganz anders aus. Auf Spitzenreiter USA (etwa 3000) folgen Deutschland (2000), Japan (1500), China (1350) und Polen (950).
Doch obwohl die Anzahl der einzelnen Projekte im Vergleich zum Vorjahr stieg, fiel die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze 2014-2015 von 18 248 auf 13 627. Trotzdem belegte Russland 2015 Platz vier des Rankings geschaffener Arbeitsplätze im europäischen Vergleich. Davor lagen nur Großbritannien, Polen und Deutschland.
Der russische Markt hat sich wohl an die neuen Umstände gewöhnt. Während die Investitionen steigen, fällt zugleich der Kapitalabfluss. Im Vergleich zu 57 Milliarden Euro 2015 war die Summe im Vorjahr mit 153 Milliarden noch dreimal so hoch. Der Trend setzt sich fort: Laut „RIA Nowosti“ erwartet Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew einen Kapitalabfluss von weniger als 35 Milliarden Euro für das laufende Jahr.
Begehrte Sonderinvestitionsverträge
Zwar sinkt der bilaterale Handel aufgrund der formalen Handelsbeschränkung, doch setzt die Russische Regierung weiterhin gezielt Anreize, um Geld aus dem Ausland anzulocken.
Die Mitte 2015 eingeführten Sonderinvestitonsverträge (siehe unten) versprechen neben der Möglichkeit, die Sanktionen durch „Lokalisierung“ der Produktion zu umgehen, vor allem Rechtssicherheit für ausländische Investoren. Mit Hilfe des Instruments konnte Vorbild China die ADIs zwischen 1991 und 1998 von 4,4 auf 45,5 Millionen Dollar hochschrauben und damit mehr als verzehnfachen. Weiteres Vorbild ist Ungarn.
Zum Thema: Sonderinvestitionsverträge
Mitte 2015 schuf die Regierung mit den Sonderinvestitionsverträgen (auch Spezinvestvertrag) ein lukratives Instrument für ausländische, aber auch lokale Investoren. Sie bieten vor allem Rechtssicherheit. Weitere Vorteile umfassen Steuervergünstigungen, geringere Pachtzahlungen und andere Gesetzesvorteile. Bedingung ist eine Investition von mindestens 750 Mio. Rubel in die lokale Produktion in einer von 15 bestimmten Branchen. Vergünstigungen hängen vom Produktionsanteil lokaler Anbieter ab. Die Verträge gelten bis zu zehn Jahre.
Als erstes deutsches Unternehmen unterzeichnete der Landmaschinenhersteller Claas auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum Mitte Juni einen solchen Vertrag. 120 Millionen Euro wurden unlängst in ein neues Werk in Krasnodar investiert. „Es ist kein Zufall, dass ein deutsches Unternehmen den Zuschlag für den ersten speziellen Investitionsvertrag erhalten hat“, freut sich Matthias Schepp, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Dabei galt der japanische Autobauer Mazda lange als Kandidat für den ersten Vertrag.
Deutsche Firmen investieren
Claas ist jedoch nicht das einzige Unternehmen mit großen Plänen für Russland. Der deutsche Pumpenhersteller Wilo stellte im Juni sein 35 Millionen Euro schweres Werk im Industriepark Noginsk fertig. Ende Mai eröffnete Henkel für 30 Millionen in Perm. Daimler plant bis 2019 ein neues Werk im Moskauer Gebiet. Im Gespräch ist der Industriepark „Jesipowo“. Der Stuttgarter Autokonzern soll kurz vor Abschluss eines Spezinvestkontraktes stehen.
Auch das größte deutsche Molkereiunternehmen Deutsches Milchkontor (DMK) steht laut „Kommersant“ unmittelbar vor der Beteiligung an mehreren lokalen Käseproduzenten im Woronescher Gebiet. Das DMK erhielt bereits die Genehmigung der Föderalen Antimonopolbehörde (FAS). Um mehr als 25 Prozent eines russisches Unternehmens aus 42 strategischen Branchen zu erwerben, wird diese Zustimmung benötigt. Für 2017 plant der pfälzische Naturarzneihersteller Bionorica den Bau einer 30 Millionen Euro schweren Produktionsstätte in Woronesch. Das Unternehmen ist bereits seit den 1990ern in Russland vertreten. Maschinenbauer Siebenhaar Antriebstechnik mit Repräsentanz in Moskau plant laut „Karavan.ru“ 30 Millionen in ein neues Werk im Gebiet Twer zu investieren.
„Deutsche Firmen sind nicht nur die Nummer eins, wenn es darum geht, nach Russland zu exportieren, sondern auch im Land zu produzieren“, so AHK-Chef Schepp in einer Pressemitteilung. Bereits im April trafen sich deutsche Unternehmensvertreter mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Christopher Braemer