Kreislauf stabil: Die Moskauer Ringbahn im Alltagsbetrieb

Moskau hat eine neue Sehenswürdigkeit: Besucher und die Moskauer selbst drehen dieser Tage aus reiner Neugier gern mal eine Runde auf der kürzlich eingeweihten Ringbahnlinie. Das ist fürs Erste sogar kostenlos. Aber auch bei Alltagsnutzung macht der Kreisverkehr Spaß.

 

An der Station Kutusowskaja zeigen die Bahnhofsuhren nur zweimal am Tag die richtige Zeit an. Ihre Zeiger stehen auf der Zwölf und bewegen sich nicht vom Fleck.

Eine Station weiter, in Luschniki, fiel neulich an einem Dienstagabend der Strom aus. Am oberen Ende der Rolltreppe stand eine Mitarbeiterin mit der Taschenlampe, die den Passagieren wenigstens etwas Licht spendete, auf dass die den Weg zum Bahnsteig finden und dabei nicht stolpern.

Es sind kleinere Kalamitäten wie diese, von denen die ersten Wochen der neuen Moskauer Ringbahn begleitet waren. Nicht alles ist fertig geworden bis zur Inbetriebnahme beim Stadtfest am 10.  September, fünf der 31 Stationen sind noch in Arbeit. Vieles war ganz offenkundig mit heißer Nadel gestrickt, mancherorts wird bis heute gewerkelt.

Ringbahn

Sehen und gesehen werden: „Lastotschka“ der Ringbahn auf einer Brücke über der Moskwa. / Tino Künzel

Doch dass es keine ernsthafteren Probleme zu berichten gibt, ist zweifellos eine Leistung. Denn bei dem sogenannten Moskauer Zentralring (auf Englisch als MCC ausgewiesen) handelt es sich um ein grandioses Unterfangen, das nach jahrzehntelangen Gedankenspielen nun binnen vier Jahren realisiert wurde. Der 1908 eröffnete Ring diente zunächst auch dem Personenverkehr, doch ab den 30er Jahren rollten hier ausschließlich Güterzüge, die Großfabriken an der Peripherie mit den Moskauer Bahnhöfen verbanden. In der jüngsten Vergangenheit verlor die Bahnlinie immer mehr an Bedeutung: Die Zahl der Indus­triebetriebe im Stadtgebiet hat stark abgenommen.

Von der Ringbahn und der besseren Anbindung solcher Blindflecken auf der Landkarte verspricht sich die Stadt nicht zuletzt eine Urbanisierung der Brachflächen, wie etwa des Geländes des früheren Autogiganten SIL. Außerdem wird mit einer Entlastung der Ringlinie der Metro um 15 Prozent und der Moskauer Bahnhöfe um 20 Prozent gerechnet. Für zahlreiche Mos­kauer und Pendler aus dem Umland bedeutet das neue Verkehrsmittel eine mehr oder wenige große Zeitersparnis auf ihrem Arbeitsweg. Ein Bonus ist dabei die Aussicht: Die Ringbahn verläuft 2,5 bis neun Kilometer jenseits des Gartenrings.

Ringbahn

Haltepunkt Luschniki. / Tino Künzel

Ringbahn

Reisende vor den neuen Metronetzplänen, die ebenfalls rund sind. / Tino Künzel

Im Vergleich zum Berliner S-Bahn-Ring ist der Moskauer Ring 17 Kilometer länger, eine Umrundung dauert knapp anderthalb Stunden. Wie die Stadt meldete,  liegt die Passagierzahl unter der Woche derzeit bei 200.000 pro Tag (Berlin: 500.000), bis 2020 soll sie sich mehr als verdoppeln.

Auf dem Ring verkehren im Abstand von sechs bis 15 Minuten  – je nach Tageszeit – Züge vom Typ „Lastotschka“, hergestellt in einem Joint Venture von Siemens und der russischen Sinara Group im Ural. Die jeweils fünf Waggons sind mit WiFi, Steckdosen, Toilette und Fahrradplätzen ausgestattet. Die Moskauer scheinen den Evolutions­sprung gegenüber den gewohnten Elektritschkas schätzen zu wissen. Eine Korrespondentin der populären Internetzeitung Gazeta.ru schrieb, als häufigster Kommentar sei ihr „Ganz wie in Europa“ zu Ohren gekommen.

Offenbar der besseren Übersichtlichkeit wegen wurde die Ringbahn als Linie 14 ins Metronetz integriert. Das Umsteigen zwischen Metro und Ring ist 90 Minuten ab Entwertung des Fahrscheins kostenlos. Damit kostet eine Fahrt etwa mit der „Troika“-Karte wie bisher 32 Rubel,  weniger als 50 Eurocent. Noch bis 10. Oktober ist die Nutzung des Rings sogar gänzlich frei.

Tino Künzel  

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