Phönix Russland und Kosmos Moskau

Metropläne, Webseiten, Firmenlogos: Das Moskauer Designstudio von Artemi Lebedew (49) ist in Russland ein Branchenkrösus. Lebedew selbst hat sich auch als Blogger einen Namen gemacht. Systemkritikern gilt er als kremlnah, die Ukraine hat Sanktionen gegen ihn verhängt. Unlängst hat sich Lebedew in einem Interview für den Youtube-Kanal „One Moscow“ wieder ausführlich zu seinen Anschauungen geäußert. Auszüge lesen Sie hier.

Artemi Lebedew beim St. Petersburger Wirtschaftsforum (Foto: St. Petersburger Wirtschaftsforum/RIA Novosti)

Wenn sogar zu Sowjetzeiten die Flugzeuge von Moskau nach Washing­ton geflogen sind, dann fliegen sie in ein paar Jahren auch wieder dorthin. Die Turbulenzen werden sich legen und die Grenzen sich öffnen. Alles wird gut.

Dass wir im Moment isoliert oder auch nicht wirklich isoliert sind, man sich eben gegenseitig den Rücken zugekehrt hat und wir uns um uns selbst kümmern, hat uns nicht geschadet. Bei uns entsteht eine neue Kultur, wir sind in einer Phase aktiver Entwicklung. Das ist kein Rück-, sondern ein Fortschritt. Und wenn die Grenzen wieder geöffnet werden, dann können wir das gesammelte Wissen auch ins Ausland exportieren. Die Nachfrage danach wird groß sein, denn wir haben in dieser Zeit ein objektiv sehr, sehr hohes Niveau auf den verschiedensten Gebieten erreicht.

Früher haben wir die Besten ihres Faches immer nur zu uns eingeladen. Das ist historisch gewachsen, man weiß, dass die Italiener unseren Kreml gebaut haben. Irgendwann werden wir diejenigen sein, die anderen Kreml bauen. Und das wird ganz normal sein.

Wenn man den russischen Menschen nicht mit Revolutionen behelligt oder ihn zwingt, als Leibeigener 18 Stunden am Tag zu arbeiten, dann ist er zu Großem fähig.

Russland ist wie ein Phönix, der ständig wiederaufersteht. Manchmal macht es sich selbst das Leben schwer und stagniert für eine bestimmte Zeit, aber dann folgt wieder eine Phase gewaltigen Wachstums. Dieses Potenzial ist einfach da, das lässt sich an jedem Geschichtsbuch ablesen. Heute befinden wir uns in der besten Phase, die dieses Land jemals erlebt hat. Moskau ist dabei noch ein Kosmos für sich. Ein Staat im Staate, wo die Standards unglaublich hoch sind. Für mich ist Moskau der progressivste und zivilisierteste Staat Europas. Früher haben wir zu europäischen Städten aufgeschaut und gedacht: Das werden wir nie erreichen. Wir haben uns angestrengt, Stück für Stück aufzuholen. Und sie längst überholt.

Unsere Restaurants sind top. Du fährst nach Rom, Paris oder Barcelona und ja, auch dort gibt es gute Restaurants. Aber im Großen und Ganzen ist das Niveau bei uns höher. Und dann der Service! Früher konnten die Wörter „Service“ und „Russen“ nur dann in einem Atemzug genannt werden, wenn man sich einen Spaß daraus gemacht hat. Heute ist der Service super. Nur bei den Hotels hinken wir noch hinterher. Und bei Wochenendhäusern auf dem Land. Da waren wir Anfang des 20. Jahrhunderts schon mal viel weiter.

Wir arbeiten viel, verdienen gut und können uns viel leisten, wofür wir uns auch nicht genieren. Ich meine die Moskauer, die nie genug kriegen können und die höchste Ansprüche haben. Sie wollen nur das Beste für sich, und zwar nicht an einem isolierten Ort, sondern in der gesamten Stadt mit ihren fast 15 Millionen Menschen. Wir reden hier nicht von Tausenden oder Zehntausenden, denen es sehr gut geht, sondern von Millionen.

Die Qualität der Verantwortlichen in den Behörden ist stark gestiegen. In Moskau war das schon seit Jahren so. Die Leute haben wirklich was drauf, die könnten überall auf der Welt arbeiten. Echte Profis. Und jetzt beobachte ich dasselbe auch in der Regierung. Es macht einfach Spaß, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten. Und ich bin guter Dinge, dass die Situation sich weiter verbessern wird. Ich schaue entspannt in die Zukunft.

Ich habe auch ganz andere Zeiten erlebt. Nehmen wir meine Kindheit in den späten Breschnew-Jahren. Ich bin inzwischen viel rumgekommen in der Welt und vergleiche diese Periode mit Afrika. Man hat auch damals sein Leben gelebt, mehr aber auch nicht. Stattdessen Warteschlangen, Armut, Verantwortungslosigkeit, Schlamperei und Trunksucht, Geld hatte keinen Wert, für alles brauchte man Beziehungen. Selbst was damals gebaut wurde, demonstriert das Ausmaß des Verfalls. Ein absolut ungesunder Zustand, an dem man aber nichts ändern konnte. Heute stehen dir alle Türen offen, man braucht nur Mittel, Kraft und Wissen. Dann kannst du dich verwirklichen, wie du willst.

Unser Land erschließt sich nicht auf frontalem Wege, wie mit dem Brecheisen. Hier sollte man Sinne auf unterschiedlichen Frequenzen lesen können. Russland, russische Kultur ist ein unendlich schwieriges System, von dem niemand behaupten kann, dass er es bis zum Schluss durchdrungen hat. Neben den geschriebenen Gesetzen gibt es eine Unmenge ungeschriebener Gesetze. Das ist wie mit russischer Literatur, die man so oder so verstehen kann, auch wenn der Text immer derselbe ist.

Übersetzt von Tino Künzel

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