Neue Polikliniken, neue Probleme

In Moskau findet zurzeit ein Upgrade aller Polikliniken statt. Von außen sieht alles toll aus. Wie ist die Resonanz in der Öffentlichkeit? Und was sagen Menschen, die teils Tausende Kilometer von Moskau entfernt wohnen, über ihre Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen?

Eingang zur neuen Kinderpoliklinik am Moskauer Stadtrand (Foto: Presseabteilung der Moskauer Stadtregierung)

Am Eingang der neuen Poliklinik im Süden Moskaus befindet sich eine grüne Informationstafel. Darauf ist zu lesen, dass die Arbeit des medizinischen Zentrums nun auf den Grundsätzen Freundlichkeit, Patientenzentriertheit, Respekt, Vertrauen, Professionalität und Teamarbeit beruht. Diese „Werte der Moskauer Polikliniken“ sind Teil des neuen Standards für Ärztehäuser, der in Moskau seit einigen Jahren umgesetzt wird.

Wer Fieber hat, muss jetzt nicht mehr mit allen anderen Patienten rein in die Poliklinik: Für solche Patienten gibt es einen separaten Eingang. Im Erdgeschoss befinden sich die am meisten besuchten Räume, zum Beispiel die für die Blutuntersuchungen. Dort gibt es auch ein Café, früher gab es das nicht. In den anderen Etagen sitzen Haus- und Fachärzte.

Die Flure sind fast leer. Jeder kommt zu seinem Arzttermin. Die Kinderpolikliniken haben Spielbereiche. Alle Kliniken sind mit bunten Sofas, modernen Möbeln ausgestattet. Alles sieht gemütlich und komfortabel aus. Auch das Gelände der Polikliniken mutet ansprechend an, mit Grünflächen und Erholungsplätzen.

Die meisten Dienstleistungen in den Polikliniken sind kostenlos. Sie werden im Rahmen einer Versicherung erbracht, die jeder Russe hat. Aber es gibt auch kostenpflichtige Dienstleistungen.

Die Modernisierung der Polikliniken in Moskau ist Teil des föderalen Projekts „Modernisierung der medizinischen Grundversorgung in der Russischen Föderation“. Es wird seit 2022 umgesetzt. Wie bewerten die Menschen in Moskau und außerhalb Moskaus die Veränderungen?

Eine Kinderpoliklinik in Moskau bei der Eröffnung (Foto: AGN Moskwa)
Margarita Smirnowa (56), Lektorin aus Moskau

Ich bin mit den Veränderungen nicht zufrieden. Die Poliklinik, der ich angehöre, wird gerade renoviert. Ich gehe in die neue Poliklinik im Nachbarbezirk, die Anfang 2023 eröffnet wurde. Der Weg dorthin ist länger und unbequemer. Alle unsere Ärzte sind dort. Aber ich kann keinen Termin bei meinem Hausarzt vereinbaren. Ja, es gibt andere Arzttermine. Aber ich möchte zu einer bestimmten Ärztin gehen. Vielleicht hat sie die Poliklinik schon verlassen? Sie ist jung und aktiv. Es hat keinen Sinn, in der Klinik anzurufen. Jetzt werden die Anrufe im Callcenter entgegengenommen, und sie geben keine Auskunft über die einzelnen Ärzte. Es gefällt mir nicht, dass der Termin beim Hausarzt nur 12 Minuten dauert. Wenn es etwas Ernstes ist, was kann man in dieser Zeit tun?! Nichts. Vor allem, wenn es um alte Menschen geht, sind sie etwas langsam. Jetzt muss man die Testergebnisse in der elektronischen Patientenakte suchen. Und ich habe keinen Zugang dazu – diese Technologien sind für mich zu kompliziert. Also gehe ich normalerweise in eine Privatklinik, wenn ich wirklich eine Beratung brauche. Obwohl, wenn man oft hingeht, reicht natürlich das Gehalt nicht aus.

Aljona Isupowa (43), Krankenhausverwalterin in Orenburg

Ich würde sagen, in unserer Stadt klappt es mit der Medizin gut. Genau wie in Moskau. Die Einwohner haben seit etwa sechs Jahren mehrere Möglichkeiten, einen Termin beim Arzt zu vereinbaren – über die Webseite oder mit Hilfe des Callcenters. Es gibt auch elektronische Patientenakten – man kann jetzt in jede Poliklinik gehen und der Arzt sieht die Akte.

Natürlich gibt es Ärzte, die Menschen mit akuten Schmerzen ohne Termin behandeln. Die alten Menschen machen sich das zunutze: Sie kommen und sitzen vor der Praxis und warten darauf, dass der Arzt sie empfängt. Leider ist die Zeit für den Termin jetzt reguliert – nur 12 bis 15 Minuten, je nach Arzt. Das ist nicht genug. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Arzt eine Menge Unterlagen ausfüllen muss. Dadurch verschieben sich die Termine. Natürlich möchten wir, dass der Arzt mehr Zeit für die Patienten hat. Man versucht, das zu erreichen: Es werden Krankenschwestern eingestellt, die bei der Dokumentation helfen.

In unserer Stadt ändert sich allmählich alles. Es werden neue Krankenhäuser und Polikliniken gebaut – innerhalb von drei Jahren wurden zwei neue in Betrieb genommen – ein Krankenhaus für Infektionskrankheiten für Erwachsene und ein Kinderkrankenhaus mit Poliklinik.

Swetlana Luschkina (61), Krankenschwester aus dem Dorf Schumanowka, Altai, jetzt im Ruhestand

Jedes Dorf im Deutschen Nationalrayon im Altai hat eine Arztpraxis. Die Arztpraxis in Schumanowka ist kürzlich renoviert worden. Sie sollte einen Hausarzt, einen Sanitäter, eine Krankenschwester, einen Zahnarzt und eine Hebamme haben. Aber jetzt arbeitet unser Hausarzt in Halbstadt. Das ist ein Rayonzentrum, 7 Kilometer entfernt. Bei uns gibt es weder einen Zahnarzt noch eine Hebamme. Es gibt nur drei Hebammen für 12 Dörfer im Rayon. Also gehen wir zu einem Allgemeinmediziner in Halbstadt. Dort gibt es eine sehr gute Poliklinik. Vor zwei Jahren wurde sie renoviert. Sie ist so schön! Ich war sogar traurig, dass ich in Rente gegangen bin und keine Zeit hatte, in den frisch renovierten Räumen zu arbeiten. Die Termine kann man unterschiedlich vereinbaren, auch elektronisch. Es ist sehr schwierig für uns, einen Termin bei einem HNO- oder einem Augenarzt zu bekommen. Wenn es einen Termin bei einem Facharzt in Slawgorod gibt, fahren wir in die Stadt. Die ist etwa 50 Kilometer entfernt. Neuerdings gibt es mehr Privatärzte. Die Leistungen der Orthopädietechniker sind zum Beispiel alle kostenpflichtig. Für die Dorfbewohner ist das sehr teuer. Auch die Medikamente sind teuer. Aber was soll man tun? Man muss sich behandeln lassen.

Nadeschda Bass (57), ­Hilfsärztin aus dem Dorf Swonarjew Kut, Gebiet Omsk

Wir haben eine Arztpraxis im Dorf. Sie ist ganz neu. Wir haben lange darauf gewartet. Sie beschäftigt einen Hausarzt, einen Sanitäter, einen Zahnarzt und eine Krankenschwester. Es sollte auch eine Hebamme geben, aber es gibt keine. Eine Hebamme aus dem Rayonkrankenhaus kommt an einem bestimmten Tag. Man kann den Termin beim Arzt auf verschiedener Weise vereinbaren. Junge Ärzte wollen nicht im Dorf arbeiten. Besonders schwierig ist es für Sanitäter, denn wenn es auf dem Dorf nur eine Sanitätsstation gibt, wie zum Beispiel im benachbarten Dorf Gauf, tragen sie die ganze Verantwortung. Wahrscheinlich lässt sich die Situation nicht ändern.

Ruslan Weber (41), Geschäftsmann aus Anapa, Gebiet Krasnodar

Anapa als Ferienort kann keine gute Medizin haben. Stellen Sie sich vor: Im Sommer kommen mehr als 3 Millionen Urlauber in die Stadt, in der etwas mehr als 80.000 Menschen leben. Natürlich haben die Krankenwagen, von denen es 50 gibt, keine Zeit für alle Anrufe. Das Gleiche gilt für die Ärzte. Wir, die Einwohner von Anapa, haben dafür Verständnis. Das gleiche Problem gibt es in allen Kurorten im Gebiet Krasnodar.

Jelena Kisner (55), Angestellte einer Versicherungsgesellschaft aus Chanty-Mansijsk

In unserer Stadt gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Termin bei einem Arzt zu vereinbaren. Aber es ist schwierig, zu manchen Fachärzten vorzudringen. Wenn die bei uns Versicherten keinen Termin bekommen, schreiben sie uns. Wenn wir ihnen nicht innerhalb von zwei Tagen einen Termin besorgen können, schreiben wir einen Brief an die Poliklinik bzw. an das Krankenhaus mit der Bitte um Unterstützung. Wir haben viele Beschwerden, aber immerhin weniger als beispielsweise in der Region Omsk. Alle Polikliniken sehen gut aus, sie werden instand gesetzt. Es gibt neue Hightech-Ausrüstung. Aber oft gibt es niemanden, der sie bedient. Der Mangel an Fachkräften ist das Hauptproblem.

Aufgeschrieben von Olga Silantjewa

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