Nach 80 Jahren: Eine Synagoge kommt nach Hause

Kaliningrad ist die einzige russische Stadt, in der vor 80 Jahren die Synagogen brannten. Damals, in der Kristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938, war sie nämlich noch deutsch und hieß Königsberg. Jetzt wird an alter Stelle eine Synagoge wiedereröffnet, die bei den Pogromen den Flammen zum Opfer fiel.

Die Kristallnacht und ein neuer Morgen: In Kaliningrad wird eine Synagoge eingeweiht, wie Königsberg sie einmal hatte. © FEOR

Von der alten Lindenstraße ist in Kaliningrad wenig übrig geblieben. Das einzige Gebäude, das Naziterror, Krieg und den städtebaulichen Kahlschlag der neuen Landesherren überstanden hat, ist das ehemalige jüdische Waisenhaus. Es beherbergt heute ein Wohnheim.

Früher einmal stand in der Lindenstraße eines der stolzesten Gebäude im stolzen Königsberg. 1896 wird dort die Neue Liberale Synagoge eingeweiht, ein 46   Meter hoher Kuppelbau im Stile von Eklektizismus und Historismus. 712 Plätze im Parterre für die Männer, 600 Plätze auf der Galerie für die Frauen. Vis-à-vis der Pregel und der Dom. Bis zum Schloss ist es ein Katzensprung.

Doch nach der Machtergreifung der Nazis gerät die jüdische Gemeinde, die zu diesem Zeitpunkt sechs Synagogen zählt, schnell ins Kreuzfeuer. Von rund 4000 Juden, die Anfang der 1930er Jahre in der Stadt leben, sind am Ende des Jahrzehnts nur noch 1500 übrig. Während der Kriegsjahre kommen allein 1000 Königsberger Juden im KZ Theresienstadt um.

Zum Fanal für die Judenverfolgung, die im Holocaust enden soll, wird die sogenannte Kristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Auch in Königsberg wütet der braune Mob. Vitrinen werden eingeschlagen, Juden verprügelt, die Kinder aus dem jüdischen Waisenhaus mitten in der Nacht auf die Straße getrieben. Die benachbarte Neue Liberale Synagoge geht in Flammen auf, wird verwüstet und geschändet. Von den sechs Synagogen werden fünf so schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass nur in einer fortan noch Gottesdienste stattfinden können, zumindest bis 1942. Die Überreste der Neuen Liberalen Syna­goge werden 1939 gesprengt. Die Juden selbst müssen den Schutt beräumen. Bebaut wird die Fläche mit Wohnbaracken für Kinder, die einen jüdischen Elternteil haben.

Und nun, 80 Jahre nach der Kristallnacht, ist die Synagoge wieder aufgebaut. Äußerlich an ihr historisches Vorbild angelehnt, ist nur der Maßstab ein klein wenig anders. Der Neubau ist zehn Meter niedriger und auch ein wenig schmaler als sein Vorläufer. Damit wird den Vorgaben der Stadt und den örtlichen Gegebenheiten Tribut gezollt. Doch Russlands westlichste Synagoge ist auch in ihrer jetzigen Form beeindruckend. Der Davidstern thront jedenfalls wieder über der Lindenstraße, die heute Oktoberstraße heißt und auf der Oktoberinsel im Oktoberviertel liegt. Schräg gegenüber von der Synagoge wurde vor einigen Jahren das Fischerdorf errichtet, eine Art altes Königsberg auf dem Bierdeckel. Ganz in der Nähe ist auch das WM-Stadion von Kaliningrad.

Die Architektur folgt der des in der Kristallnacht gestürmten und niedergebrannten Vorläuferbaus von 1896: Damit soll die historische Kontinuität betont und ein Bogen zu Hunderten Jahren jüdischer Geschichte in der Stadt geschlagen werden. © FEOR

Der Bau der Neuen Kaliningrader Synagoge, so der offizielle Name, wurde zu einem maßgeblichen Teil von Mäzen Wladimir Kazman finanziert, einem der bekanntesten Unternehmer in der Region. Dennoch gerieten die Arbeiten immer wieder ins Stocken. Ein Zirkus musste umgesiedelt, ein jahrelanger Rechtsstreit mit der Stadt ausgefochten werden. Doch nun, sieben Jahre nach der Grundsteinlegung, ist Eröffnung.

Zu dem Festakt am 8. November hat sich hoher Besuch angesagt. Erwartet werden Berel Lazar, der Oberrabbiner von Russland, und Alexander Boroda, der Präsident des Bundes der Jüdischen Gemeinden in Russland (FEOR). Auch der Deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch ist angekündigt. Aus Deutschland wird Staatsminister Michael Roth die Veranstaltung besuchen. Im Vorfeld sprach er von einem „großartigen Zeugnis der Rückkehr jüdischen Lebens nach Kaliningrad“, an dessen deutsche Geschichte die Einweihung erinnere. „Der Wiederaufbau der Synagoge ist ein Zeichen der Hoffnung für unsere Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden und die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen“, so Roth.

Die jüdische Geschichte Königsbergs begann 1671, als der preußische König Friedrich I. die Ansiedlung von Juden erlaubte, die vor den Launen des Habsburger-Königs Leopold I. aus Wien geflohen waren. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs wanderten viele Juden aus dem konservativen Preußen in andere deutsche Regionen ab. Dennoch gehörten jüdische Einwohner von Kaliningrad in zahlreichen Berufen weiter zu den einflussreichsten und geschätztesten Fachleuten. Die erste Bernsteinmanufaktur in Palmnicken, dem heutigen Jantarnyj, wurde 1872 von dem Juden Moritz Becker gegründet. Die meisten Kaufhäuser waren um die Jahrhundertwende in jüdischer Hand, die meisten Banken im 19. Jahrhundert ebenso. Nach dem Bankier Walter Simon wurde das Stadion benannt, in dem einmal der Fußballklub Baltika spielen sollte. Bei Ärzten, Apothekern, Rechtsanwälten, Journalisten, Immobilienmaklern und Kunstschaffenden war der Anteil von jüdischen Vertretern hoch. In Königsberg wurde 1928 Leah Schloßberg geboren, die einmal den späteren israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin heiraten sollte.

Fixpunkt im Stadtbild: die alte Synagoge, die auch schon Neue Synagoge hieß, nämlich Neue Liberale Synagoge. © Wikipedia

Doch dieses jüdische Leben kam in Hitlerdeutschland schnell zum Erliegen. In der Kristallnacht wurde der Oberrabbiner Josef Dunner verhaftet, dem es später gelang, sich nach England abzusetzen. 1944 gab es in Königsberg nur noch ein paar Dutzend Juden. Im selben Jahr wurde die Stadt durch britische Luftangriffe praktisch gänzlich zerstört. Die letzten deutschen Juden mussten Königsberg, das inzwischen sowjetisch geworden war,  1948 verlassen.

Zu Sowjetzeiten war Kaliningrad die vermutlich gottloseste Stadt des Landes: Jedenfalls gab es kein einziges Gotteshaus. Eine jüdische Gemeinde existiert erst seit 1998 wieder. Bisher musste sie sich Räumlichkeiten mieten, um etwa den Sabbat zu feiern. Doch FEOR-Chef Alexander Boroda hofft, dass die Neue Synagoge dem Gemeindeleben kräftig Auftrieb verleiht und dass von 5000 Juden, die nach seinen Angaben in der russischen Exklave Kaliningrad leben, mehr an den gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen. Der Bau sei aber nicht nur für die Gemeinde von großer Bedeutung, sondern „für ganz Russland“.

Tino Künzel

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